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Zitronensaft und Salz sind kein Wundermittel gegen Migräne

Bei einem Migräneanfall leiden Menschen unter extremen Kopfschmerzen, Übelkeit und Lichtempfindlichkeit. Im Netz verspricht ein einfaches Rezept aus Zitronensaft und Salz schnelle Linderung bei akuten Beschwerden. Das ist falsch. Experten und Mediziner haben gegenüber AFP erklärt, dass dieses Hausmittel keine Wirkung bei Migräne hat.

In mehreren Posts auf Facebook, die tausende Male geteilt wurden, verspricht ein „Rezept mit Zitrone und Salz, (…) die Migräne sofort zu stoppen“. Unter dem Beitrag ist ein Blogeintrag verlinkt, in dem das „natürliche Heilmittel gegen Migräne“ angepriesen wird. Ähnliche Behauptungen wurden auch auf Telegram geteilt.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 31. August 2023

Im Blogeintrag wird das Rezept beschrieben: „Saft einer Bio-Zitrone / 1 Teelöffel rosa Himalaya-Salz / 1 großes Glas Wasser“. Diese drei Zutaten sollen gemischt und getrunken werden und dann müsse man lediglich auf „die wundersame Wirkung dieses Mittels“ warten.

Salz und Zitrone sind kein Migränemittel

Laut Definition der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) ist die Migräne „eine komplexe neurologische Erkrankung, eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns. Ihr Hauptsymptom sind wiederkehrende Kopfschmerzattacken, die von neurologischen und vegetativen Störungen begleitet werden können.“ Eine Migräne ist ursächlich nicht heilbar. Zur Linderung akuter Beschwerden empfiehlt die DMKG Schmerzmittel wie Aspirin, Ibuprofen und Paracetamol und eine abgedunkelte, geräuscharme Umgebung.

„Es gibt kein Mittel, welches Migräne oder einen Migräneanfall sofort stoppt. Das wäre auch pathophysiologisch vollkommen unlogisch.“ Das schrieb Karl Messlinger, Professor für Physiologie und Pathophysiologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, in einer E-Mail an AFP am 29. August 2023. Die beiden Hauptbestandteile des Rezeptes aus dem Internet seien bei Migräne wirkungslos. „Es gibt keinen wissenschaftlichen Anhalt dafür, dass Zitronensaft oder eine andere Säure die Migräne beeinflussen kann.“

Auch die Einnahme von großen Salzmengen hat keinen positiven Einfluss auf einen akuten Migräneanfall, so Messlinger. „Himalayasalz ist normales Salz, dem alle möglichen Effekte zugeschrieben werden, die sich wissenschaftlich nicht belegen lassen.“ Salz zu essen sei sogar ungesund und gegebenenfalls gefährlich, denn es könne zu Bluthochdruck führen, so der Arzt. Dies bestätigen auch Untersuchungen der Verbraucherzentrale Deutschland.

Dies sieht Arne May, Professor für Neurologie und Leiter der Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, genauso: „Das Himalaya-Salz, also Kochsalz mit gewissen Verunreinigungen, hat keinen Effekt auf die Migräne.“ Ein typisches Symptom der Migräne sei Übelkeit. „Wenn man dann zusätzlich so viel Salz zu sich nimmt, kann ich mir vorstellen, dass dies zu Erbrechen führt.“ Ohnehin gehe es vielen Patientinnen und Patienten bei einem Migräneanfall so schlecht, dass sie nicht einmal die empfohlenen Tabletten schlucken könnten, geschweige denn eine Lösung aus Zitronensaft und Salz.

Studie zu Zitronensirup

Tatsächlich haben Forscher der Schiras-Universität für Medizinische Wissenschaften, Iran, im Jahr 2016 in einer Studie (Link hier archiviert) die Wirkung von Zitronensirup (ohne die Zugabe von Salz), einem traditionellen persischen Mittel, bei Migränepatienten getestet. Laut der Studie habe der Sirup eine „vorläufige positive Wirkung“ bei der „Verringerung der Schmerzintensität und der Dauer der Attacken bei Patienten mit Migränekopfschmerzen“. Auf die Häufigkeit der Attacken habe das Mittel keinen Einfluss.

Die von AFP befragten Wissenschaftler sahen die Studie kritisch: „In der Studie wurden drei Substanzen gegeben. Das Zitronensirup. Ein Placebo, also eine andere Substanz, die auch zitronig schmeckt. Und einer dritten Gruppe wurde Propranolol (ein Medikament zur Migräneprophylaxe, Anm. d. Red.) gegeben“, so Arne May. Der Studienaufbau sei aber bereits fehlerhaft, allein weil einmal eine Tablette und zweimal ein Trank gegeben wird. So finde keine Verblindung statt, also die Verschleierung, welches Medikament ein Studienteilnehmer bekommt. „Laut der Studie soll Zitronensaft einen Effekt auf die Intensität der Schmerzen und die Dauer der Anfälle haben. Ich halte die Wirkung, wenn sie überhaupt existiert, aber für so schwach, dass ich sie nicht empfehlen würde. Wir haben Medikamente, die das Hundertfache an Wirksamkeit haben.“ Die DMKG gibt hier einen Überblick über akute und prophylaktische Medikation bei Migräne.

Charly Gaul, Professor für Neurologie und spezielle Schmerztherapie und Gründer des Kopfschmerzzentrums Frankfurt bemerkt, dass die Studie nicht in einem „Standard-Kopfschmerz Journal“ publiziert sei, was ihn nicht verwundert, da sie den Qualitätsanforderungen nicht entspreche. Auch er kritisiert die mangelnde Verblindung der Substanzen. Zudem erfolgte „die Behandlung nur über 4 Wochen. Ein Zeitraum, der zu kurz ist, um migräneprophylaktische Effekte mit Substanzen zu messen, deren Wirkeintritt etwas Zeit braucht.“ Studien müssten eine Behandlung von mindestens drei Monaten zugrundelegen, so Gaul. Die Richtlinien für Studien der internationalen Kopfschmerzgesellschaft seien bei der Studie offensichtlich nicht zur Anwendung gekommen.

Hausmittel: Zitronensaft und Kaffee

Arne May kennt den Rat, bei akuter Migräne Zitronensaft zu trinken: „Es wird oft in Verbindung mit Kaffee empfohlen. Manchmal wird noch ein rohes Eigelb dazu gegeben.“ Diese Idee stamme noch aus einer Zeit, in der keine wirksamen Medikamente zur Verfügung standen. „Wenn überhaupt, hat hier das Koffein aus dem Kaffee eine schmerzlindernde Funktion und nicht der Zitronensaft. Aber auch Koffein wird schon seit 20 Jahren nicht mehr empfohlen.“

Die Mirgäneforschung habe in den letzten 30 Jahren riesige Fortschritte gemacht, so May. „Wir verstehen mittlerweile bis auf die molekulare Zellebene, wie Medikamente wirken.“ Inzwischen könne den allermeisten Patienten sehr gut geholfen werden. „Bei der Behandlung haben wir ein riesiges Arsenal an Medikamenten, die akut sehr gut und sicher funktionieren. Und wir haben Medikamente, die dafür sorgen, dass die Migräne langfristig deutlich seltener auftritt.“

Auch Charly Gaul sieht in der Mischung aus Kaffee und Zitronensaft keine adäquate Behandlung für Migräne: „Möglicherweise führt dies bei einigen Betroffenen zur Linderung der Attacke, eine voll ausgeprägte schwere Migräneattacke kann man nach klinischer Erfahrung basierend auf vielen Jahren Behandlung von Migränepatienten so sicherlich nicht behandeln.“

Fazit: Im Netz wird behauptet, dass Zitronensaft gemischt mit Meersalz ein wirksames Mittel gegen Migräne sei. Das stimmt nicht. Ärzte erklärten gegenüber AFP, dass das Mittel keine positiven Effekte bei einer Migräneattacke hat. Das Salz der Rezeptur könne sogar schädlich sein.

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Gesundheit

Autor(en): Till EICHENAUER / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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