Nein, dieses Video zeigt nicht, wie Bauern die ukrainische Botschaft in Paris mit Gülle besprühen - Featured image

Nein, dieses Video zeigt nicht, wie Bauern die ukrainische Botschaft in Paris mit Gülle besprühen

Ende Januar 2024 kam es auch in Frankreich zu Protesten von Landwirten gegen Agrarreformen der dortigen Regierung. User teilen dazu in sozialen Medien Videos, die mit dem Logo des Fernsehsenders Euronews versehen sind. Es wird fälschlich behauptet, der Clip zeige, wie Landwirte Gülle auf die ukrainische Botschaft in Frankreich sprühen. Diese hätte die Bauern zur Beendigung der Proteste aufgefordert, heißt es. Auch der Vorsitzende des französischen Bauernverbands FNSEA wird zitiert. Das Video wurde jedoch nicht von Euronews erstellt und zeigt ein regionales Regierungsgebäude in Dijon bei Protesten im Dezember 2023. Die ukrainische Botschaft sowie die Gewerkschaft bestätigten gegenüber AFP, sich nicht wie dargestellt geäußert zu haben.

„Die ukrainische Botschaft in Frankreich forderte die streikenden Bauern auf, den Protest zu beenden. Bauern dafür bombardierten die Botschaft mit Gülle“, heißt es in einem Facebook-Beitrag, der seit Mitte Februar 2024 kursiert. User teilen dazu ein Video, das angeblich vom paneuropäischen Fernsehsender Euronews gedreht wurde.

Es zeigt einen Traktor, der den Eingang eines Gebäudes, auf dem die französische, die ukrainische und die EU-Flagge weht, mit Gülle besprüht. Darin wird auf Englisch behauptet, dass „der Aufruf der ukrainischen Botschaft, die Demonstrationen zu beenden, die französischen Landwirte verärgert hat“. Es kursieren auch zahlreiche längere Versionen des Clips – etwa auf Telegram und X.

In dem angeblich von Euronews erstellten Video heißt es, französische Landwirte hätten von der „ukrainischen diplomatischen Vertretung“ ein „offizielles“ Schreiben erhalten. Ein angeblicher Auszug davon ist im Video zu sehen: „Das ukrainische Volk bedauert, dass französische Landwirte, die kaum mit ersten wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, ihre Wut gegen die Behörden ihres Landes und das ukrainische Volk gerichtet haben. Ukrainerinnen und Ukrainer rufen die französischen Bauern auf, ihrem Beispiel zu folgen und sich zum Wohle ihres Heimatlandes zu vereinigen.“

Die angeblich vom ukrainischen Botschafter in Frankreich, Vadym Omeltschenko, unterzeichnete Nachricht hätte Arnaud Rousseau, Chef des französischen Bauernverbands FNSEA, zu einer Antwort veranlasst, heißt es weiter: „Ich würde der ukrainischen Botschaft raten, sich um die Ukraine zu sorgen. Ich würde niemandem, auf dessen Kosten ich seit zwei Jahren lebe, irgendetwas melden. Die Ukraine hat nicht das Recht, etwas von der französischen Bevölkerung zu verlangen oder zu fordern. Behalten Sie Ihre Meinung für sich.“

Die Behauptung wird auch auf Französisch auf unterschiedlichen Plattformen (etwa hier und hier) verbreitet. Sie kursiert zudem auf Russisch und Englisch.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 16. Februar 2024

Wegen des mittlerweile teilweise zurückgenommenen Vorhabens der deutschen Bundesregierung zu Subventionskürzungen für Agrarbetriebe riefen zunächst Landwirtinnen und Landwirte in ganz Deutschland zu Protesten Anfang Januar 2024 auf. Tausende nahmen mit ihren Traktoren teil und demonstrierten in Städten und auf Autobahnauffahrten.

Auch in Frankreich demonstrieren Bäuerinnen und Bauern seit Ende Januar 2024 gegen niedrige Einnahmen, Umweltvorschriften der EU und die hohe Besteuerung von Agrardiesel. Es kam zu Straßenblockaden, die Hauptstadt Paris war besonders von den Protesten betroffen. Die französische Regierung ist den Forderungen der Landwirtinnen und Landwirte nach tagelangen Autobahnblockaden weit entgegengekommen. Sie sagte ein Hilfspaket im Umfang von 400 Millionen Euro sowie eine Verringerung der bürokratischen Auflagen zu. Die EU-Kommission in Brüssel lockerte zudem die Vorschriften für einen Mindestanteil an Brachland auf Ackerflächen in der EU. Nach der Beendigung der jüngsten Proteste üben die Landwirte weiterhin Druck auf die Regierung in Frankreich aus. „Wir sind zu neuen Aktionen bereit“, warnte Bauernverband-Vorsitzender Arnaud Rosseau am 13. Februar 2024 gegenüber dem französischen Sender TF1.

In sozialen Medien kursieren zahlreiche Falschbehauptungen zu den Bauernprotesten in Frankreich, die AFP etwa hier und hier überprüft hat. Auch im Zusammenhang mit den Demonstrationen von Landwirten in Deutschland hat AFP bereits Falschmeldungen überprüft (etwa hier, hier, hier und hier).

Auch die aktuell geteilten Behauptungen sind falsch. Obwohl der verbreitete Clip die grafisch den Videos des Senders Euronews gleicht und vorgibt, einen Vorfall zu zeigen, der sich während der Massenmobilisierung der französischen Landwirte Anfang 2024 ereignet hat, ist dies nicht der Fall. Das Video reißt Aufnahmen aus dem Kontext, die im Dezember 2023 in Dijon gefilmt wurden. Es werden Aussagen zitiert, die nie gemacht wurden – weder vom ukrainischen Botschafter noch vom Präsidenten von FNSEA. Zudem wird die Identität von Euronews missbraucht, das derartige Inhalte nie veröffentlicht hat, wie auf der Website des Senders nachgeprüft werden kann.

Gebäude im Video ist nicht französische Botschaft

Die ukrainischen Botschaft in Frankreich befindet sich in der Avenue de Saxe im siebten Bezirk von Paris. Auf Google Street View (hier archiviert) ist zu sehen, dass der Eingang der ukrainischen Botschaft in keiner Weise dem im Video gezeigten Gebäude ähnelt.

Die in dem geteilten Video sichtbaren Bilder zeigen stattdessen das Hôtel de Région de Bourgogne-Franche-Comté, ein regionales Regierungsgebäude in der französischen Stadt Dijon (hier archiviert), in dem die Versammlungen des Regionalrats der französischen Region Bourgogne-Franche-Comté stattfinden.

Eine Stichwortsuche ergab, dass die Aufnahmen (hier archiviert) am 15. Dezember 2023 von dem französischen Journalisten Luc Aufret auf X hochgeladen wurden. Darunter schrieb er: „Landwirte schütten Mist und Stroh auf den Regionalrat in Dijon.“

„Aus Protest gegen die schlechte Verwaltung der ELER-Mittel (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, Anm. d. Red.) durch die Region Burgund-Franche-Comté demonstrieren Landwirte am Freitag vor dem Sitz der Region“, präzisierte Benoît Montaggioni, Journalist bei der französischen Zeitung „Journal de Saône-et-Loire„, in einem anderen, am 15. Dezember 2023 auf X veröffentlichten Beitrag (hier archiviert). Dazu postete er Fotos, auf denen der Eingang des Gebäudes, das in dem angeblichen Euronews-Video fälschlicherweise als ukrainische Botschaft in Frankreich dargestellt wird, deutlich zu erkennen ist.

In einem Artikel vom 15. Dezember 2023 (hier archiviert) berichtete die französische Zeitung „Le Journal du Centre“ ebenfalls – mit eigenen Videoaufnahmen – über diese große Mobilisierung mehrerer „Landwirte aus Nièvre und Côte-d’Or“, die „über die erhebliche Verzögerung der Region bei der Bearbeitung ihrer Beihilfeanträge verärgert waren“.

Bildaufnahmen passen nicht zur geteilten Behauptung

Die italienische Faktencheck-Plattform „Open“ stellte in einem Artikel (hier archiviert) außerdem fest, dass die Unterschrift des ukrainischen Botschafters in Frankreich, Vadym Omeltschenko, wie sie in dem angeblich an die französischen Landwirte verfassten Schreiben erscheint, nicht der echten Unterschrift des Diplomaten entspricht. Diese ist in einem Schreiben vom Juni 2023 an den Bürgermeister des Pariser Vororts Neuilly-sur-Seine (hier archiviert) zu sehen.

 

angebliche Unterschrift im geteilten Video (links) und Unterschrift in einemSchreiben aus 2023 (rechts), Screenshots vom 21. Februar 2024, Hervorhebungen durch AFP

 

Auf der Website der ukrainischen Botschaft finden sich keine Hinweise über ein angebliches Schreiben an französische Landwirte. Am 13. Februar 2024 teilte die Botschaft AFP mit, dass das Video „ebenso wie dieses Schreiben, das nie von der ukrainischen Botschaft in Frankreich verfasst oder verschickt wurde, falsch ist“. Während Euronews bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht auf Anfragen von AFP reagierte, teilte der Sender dem Faktencheck-Team von „Les Observateurs“ (hier archiviert) des französischen Auslandsfernsehens France 24 mit, dass er nicht der Urheber des Videos sei.

Zudem stammen die Bilder im geteilten Video, auf denen der Präsident von FNSEA, Arnaud Rousseau in ein Mikrofon spricht, aus einem Interview mit dem französischen Fernsehsender BFMTV am 2. Februar 2024 (hier archiviert). Darin ging er ebenso wenig auf den angeblichen Brief ein, der im Mittelpunkt des vermeintlichen Euronews-Videos steht. „Arnaud Rousseau (…) hat diese Äußerungen nie gemacht“, bestätigte die Gewerkschaft FNSEA am 13. Februar 2024 gegenüber AFP.

Identitätsdiebstahl eines westlichen Mediums

Das geteilte Video ist nicht das erste Mal, dass die Identität eines anerkannten Mediums für die Verbreitung eines ukrainekritischen Narratives missbraucht wird, wie AFP bereits 2023 hier berichtete.

Zu den umfangreichsten Kampagnen gehört die Operation „Doppelgänger„, die der französische Geheimdienst Russland zuschreibt. Dabei wird prorussische Propaganda in einer Aufmachung im Internet verbreitet, die glauben lässt, es handle sich um Artikel oder Videos seriöser westlicher Medien.

Eine weitere russische Taktik ist, Journalistinnen und Journalisten mit Falschinformationen zu überhäufen, und sie damit beschäftigt zu halten, ukrainefeindlichen Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Eine solche Kampagne war die Operation „Matrjoschka„, die im Januar von AFP aufgedeckt wurde.

Fazit: Online kursieren Videos, versehen mit dem Logo des Fernsehsenders Euronews, in denen fälschlich behauptet wird, sie zeigen Landwirte, die Gülle auf die ukrainische Botschaft in Frankreich sprühen. Diese hätte die Bauern aufgefordert, die Proteste zu beenden, heißt es. Auch der Vorsitzende des französischen Bauernverbands FNSEA wird zitiert. Das Video wurde jedoch nicht von Euronews erstellt und zeigt ein regionales Regierungsgebäude in Dijon bei Protesten im Dezember 2023. Die ukrainische Botschaft sowie die Gewerkschaft erklärten AFP, sich nicht wie dargestellt geäußert zu haben.

Fact Checker Logo

Politik, Gesellschaft

Autor(en): Alexis ORSINI / Katharina ZWINS / AFP Frankreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen