Bewertung
Die Behauptungen des Posts sind mehr oder weniger falsch. Vom Hausbau über die Heirat bis zur Firmengründung galten schon vor 125 Jahren Regeln und waren Genehmigungen nötig. Manche Vorschriften waren früher sogar strenger als heute.
Fakten
Viele staatliche Vorschriften in Deutschland haben eine lange Geschichte. Oft waren Dinge lokal oder regional geregelt, bevor sie vereinheitlicht wurden. Wer ein Haus bauen wollte, musste sich schon in den Städten des Mittelalters an Vorgaben der Obrigkeit halten. Und der Erfinder Carl Benz ließ sich bereits im Jahr 1888 einen Führerschein für seinen Patent-Motorwagen ausstellen.
Das fragliche Facebook-Reel behauptet, «vor 125 Jahren musste man die Regierung nicht um Erlaubnis fragen», um eine Reihe von Dingen zu tun. Einige Behauptungen und ihre Überprüfung:
Regenwasser
Vorschriften für Bau und Betrieb von Regenwasser-Zisternen sind schon aus vorchristlicher Zeit überliefert. In der Stadt Pergamon wurde ein in Stein gehauenes Gesetz aus dem 2. Jahrhundert vor Christus gefunden, dass die Überwachung dieser Vorgaben beschreibt und bei Zuwiderhandlung auch Strafen androht.
In Deutschland ist eine staatliche Genehmigung für das Auffangen von Regenwasser in einer Zisterne nicht überall und in jedem Fall nötig. Die Rechtsvorschriften seien regional unterschiedlich, schreibt etwa die Seite bauprofessor.de. Wer nur Regenwasser zum Gießen des Gartens auffange, brauche meist keine Baugenehmigung. «Auch sind Zisternen mit einem Volumen von bis zu 50 m³ regelmäßig genehmigungsfrei», heißt es weiter. Das Umweltbundesamt verweist auf die Eigenverantwortung der Betreiber.
Grundbesitz
Im Mittelalter bestimmten weltliche und kirchliche Grundherren über Grund und Boden in Mitteleuropa. In der Schweiz beispielsweise änderte sich dies erst Ende des 18. Jahrhunderts. Dort war der Erwerb von Grundbesitz ab 1803 Sache der Kantone, was Historikern zufolge «zu einer Vielfalt an Bestimmungen führte».
Dass der Erwerb und Besitz von Grundeigentum an zahlreiche Regeln und Voraussetzungen geknüpft war, ist schon aus der Römerzeit und im Mittelalter in Deutschland und anderen Ländern belegt. Dabei blieb bestimmten Bevölkerungsschichten der Grunderwerb oft grundsätzlich versagt.
Hausbau
Auch der Hausbau unterlag bereits im Mittelalter bestimmten Regeln. Städtische Feuerordnungen bestimmten, wie Häuser gebaut werden mussten, um das Übergreifen der damals häufigen Brände auf Nachbargebäude möglichst zu verhindern. Im 19. Jahrhundert regelten Hunderte lokale Bauordnungen den Hausbau. Bayern legte 1861 den Grundstein für eine einheitliche Bauordnung.
Fahrzeugnutzung
Wer beabsichtigt, «ein Transportfahrzeug zu benutzen», braucht dazu in der Europäischen Union keine Erlaubnis der Regierung, sofern es sich bei diesem Fahrzeug etwa um ein Fahrrad, einen Linienbus, ein Taxi oder die Eisenbahn handelt. Die Benutzung dieser Transportmittel steht allen frei, in manchen Ländern ist sie sogar kostenlos.
Wer sich selbst ans Steuer eines motorbetriebenen Fahrzeugs setzen will, braucht dafür in der Regel eine Fahrerlaubnis. Die gibt es, anders als in dem Facebook-Beitrag behauptet, allerdings schon länger als 125 Jahre. Der Motorwagen-Erfinder Carl Benz bekam anno 1888 den ersten Führerschein ausgestellt. Mit zunehmender Motorisierung kam Anfang des 20. Jahrhunderts eine Prüfungspflicht hinzu.
Heirat
Eine Heiratserlaubnis war in der Vergangenheit an strenge Bedingungen geknüpft, wie Professorin Eleonora Kohler-Gehrig in ihrer «Geschichte der Frauen im Recht» darlegt. Über Jahrhunderte durften vor allem arme Menschen nicht heiraten. Fabrikarbeitern wurde eine Eheschließung auch im 19. Jahrhundert noch verweigert.
Heutzutage müssen Verlobte in Deutschland beispielsweise nachweisen, dass sie nicht (mehr) verheiratet sind oder das nötige Alter für eine Hochzeit haben. «Nach der Bestätigung der Ehevoraussetzungen durch das Standesamt kann die spätere Eheschließung innerhalb von 6 Monaten nach der Anmeldung in jedem deutschen Standesamt geschlossen werden», schreiben die Berliner Standesämter zum weiteren Verfahren.
Unternehmensgründung
Ähnlich wie Heirat oder Grunderwerb unterlag die Ausübung eines Gewerbes bereits im Mittelalter strengen Regeln. Die wurden nicht von einer gewählten Regierung, sondern von den Zünften oder Gilden bestimmt. Diese gaben in der Stadtgesellschaft oft den Ton an. Das änderte sich später.
Preußen liberalisierte im 19. Jahrhundert die Gewerbegründung, machte jedoch die Ausstellung eines kostenpflichtigen Gewerbescheins zur Voraussetzung. Wer ihn hatte, musste Steuern zahlen, wer ihn nicht besaß, erhielt eine Geldstrafe. Schon damals mussten für bestimmte Berufe entsprechende Qualifikationen nachgewiesen werden. Heutzutage gilt in Deutschland die Gewerbefreiheit, die in der Gewerbeordnung genauer geregelt ist.
Waffenbesitz
Der Waffenbesitz war in der Vergangenheit weniger eingeschränkt als heutzutage. Aber schon das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten vom 18.4.1851 sah eine «Geldbuße bis zu funfzig Thalern oder Gefängniß bis zu sechs Wochen» für das Verkaufen oder Mitführen bestimmter Stoß-, Hieb und Schusswaffen vor, «welche in Stöcken oder Röhren oder in ähnlicher Weise verborgen sind».
Regelungen zur Nutzung von Schusswaffen gab es hingegen zahlreich auch schon früher. So war Bürgern und Bauern – also dem weitaus größten Teil der Bevölkerung – das Tragen von Gewehren in Wald und Flur verboten, weil die Jagd ein Privileg des Adels war.
Warenverkauf
Auch vor dem Ersten Weltkrieg unterlag das Angebot von Produkten bereits staatlichen Bestimmungen. So sah das Preußische Strafgesetzbuch beispielsweise Maßnahmen gegen Warenfälschungen vor. Und wer in Preußen als Händler auftreten wollte, brauchte einen Gewerbeschein. Das Königreich Bayern schuf 1848 ein eigenes Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten, um die Wirtschaft besser kontrollieren zu können.
Anders als in dem Facebook-Post behauptet, war der Verkauf eines Produkts also auch um das Jahr 1900 schon an staatliche Genehmigungen geknüpft. Für Grundbesitz und Heiraten bekamen bestimmte Bevölkerungsschichten früher überhaupt keine Erlaubnis. Regenwasser aufzufangen ist heutzutage hingegen ohne Genehmigung erlaubt, und auch für die Nutzung vieler Verkehrsmittel muss niemand vorher die Regierung um Erlaubnis fragen.
(Stand: 13.6.2025)