Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Wird eines ihrer Mitglieder von außen militärisch angegriffen, sollen die anderen Mitgliedstaaten ihm zu Hilfe eilen. Umso erstaunlicher erscheint da, was der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses und niederländische Admiral Rob Bauer jüngst gesagt haben soll. In Bezug auf Russland wird Bauer in Sozialen Netzwerken mit dem Satz zitiert: «Wir müssen zuerst zuschlagen.» Hat er das wirklich so gesagt?
Dem Nato-Topmann werden Worte in den Mund gelegt. In einer Diskussionsrunde, die als Grundlage der Behauptung dient, sagte Bauer nirgends, dass die Nato «zuerst zuschlagen» müsse. Er betonte ganz im Gegenteil, dass die Nato erst militärisch aktiv würde, wenn Russland einen Angriff auf Nato-Gebiet begonnen hätte.
Die Behauptung geht unter anderem bei Facebook herum. Wer dort mit den Worten «Rob Bauer NAVO Rusland» nach Beiträgen aus der niederländischen Heimat des Admirals sucht, stößt auf ähnliche Aussagen mit einem verlinkten Video. Der Clip stammt – wie auf dem Hintergrund zu erkennen – von einer Veranstaltung des European Policy Center (EPC), auf der Bauer am 25. November 2024 sprach.
Eine Aufzeichnung der Diskussion von 75 Minuten Länge ist auf Youtube abrufbar. Dort kann man auch eine Abschrift des Interviews erstellen. Wie das funktioniert, wird in diesem Video erklärt. Mit der Tastenkombination Strg+F lässt sich das Transkript dann nach Stichwörtern durchsuchen. So lässt sich leicht nachvollziehen, was Admiral Bauer genau gesagt hat – und ob er von Medien oder Nutzern und Nutzerinnen Sozialer Netzwerke korrekt zitiert wurde.
«Wir werden Russland nicht aus dem Nichts angreifen»
Das Fragment, auf das sich die Behauptung in Sozialen Netzwerken stützt, beginnt in Minute 50:22 des Youtube-Videos. In dem Ausschnitt sagt Bauer klar: «We are not going to attack Russia out of nothing» (übersetzt: «Wir werden Russland nicht aus dem Nichts angreifen»). Der Admiral macht mehrfach deutlich, dass die Nato nicht aktiv den ersten Schritt zu einem Krieg mit Russland setzen würde.
«Weil wir ein defensives Bündnis sind, müssen wir den ersten Schlag einstecken», stellt der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses unter anderem klar. Falls Russland aber Nato-Gebiet angreifen sollte, werde die Nato sich gegen diesen Angriff wehren und dann auch militärische Ziele im feindlichen Gebiet angreifen, sagt Bauer zwischen Minute 50:43 und 51:03.
Die Nato brauche dafür Luftverteidigung und werde zugleich in ihre Fähigkeiten für einen «Deep Precision Strike» investieren, fährt der niederländische Admiral fort. Darunter verstehen Militärs eine Art der Kriegsführung, bei der mit Langstreckenraketen bestimmte Ziele im feindlichen Gebiet wie etwa militärische Infrastruktur und Depots unschädlich gemacht werden.
Bauer spricht also über Angriffe auf russische Ziele, aber nicht über «präemptive» Handlungen der Nato. Das Wort (Englisch: preemptive oder pre-emptive) erscheint auch nirgends im Transskript der Veranstaltung, auf der Bauer über die russische Bedrohung und eine mögliche Nato-Reaktion sprach.
Russische und ukrainische Quellen zitieren falsch
Westliche Social-Media-Nutzer haben die falschen Angaben möglicherweise aus prorussischen Quellen, die Bauers Worte verkehrt wiedergegeben hatten. Das geschah unter anderem auf dem russischen Desinformationsnetzwerk Pravda und der russischen Website EADaily. Sie verbreiteten (englischsprachige) Überschriften wie «preemptive strikes against Russia» (Deutsch: präemptive Angriffe auf Russland), die die Nato angeblich plane.
Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow trug laut der russischen Staatsagentur Tass zu der Fehlinterpretation von Bauers Worten bei. Die pro-ukrainische Website Ukraine Today schob dem Admiral ebenfalls eine Aussage zu präemptiven Schlägen unter.
(Stand: 23.12.2024)