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Angebliche Abstimmung zum Spannungsfall ist frei erfunden

In der Koalition aus Union und SPD bahnt sich eine neue Debatte über die geplante, zunächst auf Freiwilligkeit setzende Reaktivierung des Wehrdienstes an. Angesichts der angespannten Sicherheitslage sollen mehr Soldatinnen und Soldaten rekrutiert werden. Doch in sozialen Medien heißt es, dass ein noch viel größerer Schritt in dieser Woche anstehe: «Am Dienstag wird im Bundestag über den Spannungsfall abgestimmt», sagt ein Mann in einem Video. In anderen Videos heißt es, über den Spannungsfall werde am Mittwoch abgestimmt. Damit werde die Wehrpflicht sofort wieder eingeführt und es würden weitreichende Eingriffe in das Leben der Menschen möglich.

Bewertung

Falsch. Dass eine solche Abstimmung über den sogenannten Spannungsfall ansteht, ist frei erfunden. Am Dienstag findet auch gar keine Bundestagssitzung statt.

Fakten

Blickt man in den aktuellen Sitzungskalender des Deutschen Bundestages und die Tagesordnungen, so fällt auf: Am Dienstag, 7. Oktober, findet gar keine Plenarsitzung statt, in der über etwas abgestimmt werden könnte. Erst am Mittwoch, 8. Oktober, sowie am 9. und 10. Oktober tagt das Plenum. Die Tagesordnungen können sich zwar bis dahin theoretisch noch ändern. Doch bis zum Abend des 6. Oktobers war für keinen dieser Tage ein Tagesordnungspunkt erkennbar, der eine Abstimmung über die Feststellung des Spannungsfalls beinhaltet.

Eine Sprecherin der Bundestagsverwaltung bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass «nichts in der Richtung auf der Tagesordnung» stehe – «außer das Thema Bundeswehr, worin der Artikel 80a mehrfach erwähnt wird».

Was bedeutet das genau? Zum Verständnis: Der Artikel 80a im Grundgesetz enthält Vorschriften darüber, wie der Spannungsfall ausgelöst wird. Der Spannungsfall ist eine Art Vorstufe zum Verteidigungsfall. Man verstehe darunter eine «schwere außenpolitische Konfliktsituation», schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages unter Berufung auf ein «Handbuch Sicherheits- und Staatsschutzrecht».

Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig

Im Spannungsfall sei zu erwarten, dass eine Konfliktsituation «zu einem Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet führen» könne und «erhöhte Verteidigungsbereitschaft herzustellen» sei. Genau gesetzlich definiert ist der Spannungsfall allerdings nicht.

Wird er im Bundestag festgestellt, würde automatisch die Wehrpflicht wieder gelten. Zudem wären sogenannte Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze anwendbar. Der Staat könnte tief in das Leben der Menschen eingreifen, um in einem solchen Krisenfall die Versorgung der Bevölkerung einerseits und der Streitkräfte andererseits zu gewährleisten.

Die Feststellung, ob der Spannungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Das Grundgesetz schreibt dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor – zurzeit müsste die schwarz-rote Koalition dafür also auch in anderen Fraktionen um Zustimmung werben. Einen Antrag zur Abstimmung könnte entweder die Bundesregierung einbringen oder eine Fraktion des Bundestags oder fünf Prozent seiner Abgeordneten gemeinsam.

Spannungsfall wird in Gesetzentwurf nur erwähnt

Doch wie es die Bundestagsverwaltung bereits sagte und in der Tagesordnung auch öffentlich erkennbar ist: Ein solcher Antrag ist nicht bekannt.

Erwähnt wird der Spannungsfall allerdings im Gesetzesentwurf zur Stärkung der Militärischen Sicherheit in der Bundeswehr. Über diesen Gesetzesentwurf soll am Donnerstag, 9. Oktober, in erster Lesung beraten werden, bevor er an die Ausschüsse überwiesen werden soll.

Der Gesetzesentwurf soll das Vorgehen gegen Sabotage und Spionage in der Bundeswehr stärken und die Cyberabwehr verbessern. Dabei soll auch über einige Vorschriften abgestimmt werden, die im Spannungsfall gültig würden, etwa die Regelung bestimmter Zuständigkeiten. Aber: Diese würde erst greifen, wenn der Spannungsfall festgestellt würde – und weder über diese Feststellung noch über den Gesetzensenwurf zur militärischen Sicherheit wird am Donnerstag final abgestimmt.

Bundeskanzler Merz sieht Deutschland nicht im Spannungsfall

Auf die Frage eines Journalisten, ob Merz Deutschland in einem Spannungsfall sehe, antwortete Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Anfang Oktober: «Ich sehe das nicht so.»

Kurz zuvor hatte Ende September der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter gefordert, den Spannungsfall auszurufen. Dieser im Grundgesetz verankerte Schritt sei notwendig, damit Drohnen von der Bundeswehr sofort abgewehrt werden könnten, sagte Kiesewetter dem «Handelsblatt».

Auf dpa-Anfrage teilte Kiesewetter mit, dass er keine weiteren Schritte veranlasst habe, um eine Abstimmung über die Feststellung des Spannungsfalls zu beantragen. Er wies darauf hin, dass einen solchen Antrag eine Fraktion oder mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten stellen müssten. «Beides ist nicht absehbar», teilte Kiesewetter per E-Mail mit. Dennoch sehe er die die Voraussetzungen zur Prüfung des Spannungsfalls «schon länger gegeben».

(Stand: 6.10.2025)

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Politik

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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