Aperol oder Campari sind aus vielen beliebten Sommergetränken nicht mehr wegzudenken. Online wird jedoch vor dem Konsum gewarnt. Die darin enthaltenen Farbstoffe E 110 und E 124 seien angeblich „extrem krebserregend“. Laut der EU-Lebensmittelbehörde Efsa sind die Farbstoffe in Maßen aber unbedenklich. Fachleute stufen viel eher den enthaltenen Alkohol als kritisch ein.
„Mich wundert das schon immer, warum die Menschen Gift saufen nur um Cool zu sein“, schrieb ein User am 18. Juni 2024 auf Facebook. Dazu teilt er ein Bild eines orangefarbenen Getränks. Darunter steht: „Aperol Spritz Farbstoffe extrem krebserregend“. Laut dem Posting würden die enthaltenen Farbstoffe E 110 und E 124 „sehr stark Krebs verursachen“.
Die Behauptung wird tausendfach auf Facebook geteilt. Sie kursiert zudem auf X. Auch auf Französisch wird die Aussage verbreitet.
Häufig wird in Postings auf einen Artikel der Seite „Epoch Times“ aus dem Sommer 2023 zum Thema verlinkt. Die Website hat in der Vergangenheit bereits mehrfach Falschbehauptungen verbreitet, die AFP überprüft hat.
Zutaten des alkoholhaltigen Likörs
Aperol sowie Campari sind Liköre, die sich besonders in Sommergetränken großer Beliebtheit erfreuen. Beides sind Marken der italienischen Campari-Gruppe. Laut der aktuell geteilten Behauptung sei auf einer Aperol-Flasche hinsichtlich der Inhaltsstoffe lediglich „Bitter mit Farbstoff“ angeführt.
Ein Blick auf das Etikett zeigt, dass sich bei den in Österreich und Deutschland verkauften Flaschen aktuell keine näheren Infos zu den Inhaltsstoffen finden – abgesehen vom Alkoholgehalt des Getränks, der bei elf Prozent liegt. Auch auf der Website heißt es lediglich: „Aperol ist ein Aperitivo mit frischem Geschmack, der seiner geheimen Originalrezeptur von 1919 bis heute treu geblieben ist.“
Eine Stichwortsuche führte AFP jedoch zum Shop von Aperol auf der Website des Onlineversandhändlers Amazon. Als Zutaten werden dort gelistet: „Zucker, Alkohol, Pflanzenauszüge, Chinin, Natriumchlorid, Farbstoffe Gelborange S (E 110), Cochenillerot A (E 124).“
Diese Informationen finden sich auch auf anderen Websites, die alkoholhaltige Getränke verkaufen oder Produktinformationen bereitstellen. Auf AFP-Anfrage hieß es in einer Nachricht von der Campari-Gruppe am 27. Juni 2024 lediglich, dass sich auf ihrer Website Informationen zum Nährstoffgehalt finden. Die Zutatenliste und die enthaltenen Farbstoffe müssten jedoch nicht offengelegt werden, wird erklärt. Die geteilten Behauptungen stuft das Unternehmen als „Fehlinformationen“ ein.
Bei E 110 und E 124 handelt es sich um sogenannte Azofarbstoffe, die sich durch große Farb- und Lichtechtheit auszeichnen und daher beliebte Färbemittel sind. E 110 findet sich beispielsweise in Käse und Gummibärchen, E 124 ist Backwaren oder Marmeladen zugesetzt. Azofarbstoffe stellen die größte Gruppe synthetischer Farbstoffe dar. Das E vor den Lebensmittelzusatzstoffen steht für EU und verdeutlicht, dass diese Stoffe in der Europäischen Union zugelassen sind.
Zusatzstoffe E 110 und E 124 sind von Efsa zugelassen
Die beiden Farbstoffe sind gemäß der EU-Verordnung über Lebensmittelzusatzstoffe zur Verwendung in bestimmten Lebensmitteln zugelassen. Wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gegenüber AFP am 21. Juni 2024 erklärte, ist hierfür wesentliche Voraussetzung, „dass die Verwendung gesundheitlich unbedenklich“ ist. Hinsichtlich E 110 und E 124 kam die Efsa in ihren letzten gesundheitlichen Bewertungen zu dem Schluss, dass „hinsichtlich Kanzerogenität keine Bedenken“ bestehen.
Auf Basis von Studien an Ratten und Mäusen wurden von der Efsa akzeptable tägliche Aufnahmemengen abgeleitet. In den letzten Jahren wurden diese zum Teil herabgesetzt. Bei E 110 liegt die Menge aktuell bei vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. „Diese Menge kann ein ganzes Leben lang täglich aufgenommen werden, ohne dass unerwünschte Wirkungen zu erwarten sind“, erklärte das BfR. Bei dem Stoff E 124 liegt der Wert bei 0,7 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag.
Auch die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (Ages) schrieb AFP am 21. Juni 2024, dass es sich um von der Efsa geprüfte und zugelassene Lebensmittelfarbstoffe handle, die bei Einhaltung der akzeptablen täglichen Aufnahmemengen „keine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher“ darstellen.
Farbstoffe laut Fachleuten nicht „extrem krebserregend“
Laut Volker Böhm, Professor für Lebensmittelchemie an der Universität Jena, müsse die wissenschaftliche Datenlage zu Azofarbstoffen weiter beobachtet werden. Aktuell sei die Schlagzeile, diese Farbstoffe seien „extrem krebserregend“, im Zusammenhang mit dem alkoholischen Getränk jedoch „nicht gerechtfertigt“, wie er AFP am 21. Juni 2024 schrieb. Hiermit werde Konsumentinnen und Konsumenten „unnötig Angst gemacht“.
Böhm führte aus, dass für die beiden in Aperol enthaltenen Farbstoffe Hinweise auf allergische Reaktionen und auf Hyperaktivität bei Kindern vorliegen, weswegen es mitunter eines entsprechenden Hinweises darauf bedarf. Die Menge an zugelassenen Azofarbstoffen in dem Getränk sei zusammengefasst „nicht gänzlich unbedenklich“. Für das Erreichen der tolerierbaren Tagesdosis sei jedoch ein höherer Konsum des Mixgetränkes notwendig: „Dann ist aber im Hinblick auf das Krebsrisiko eher die enthaltene Alkoholmenge als kritisch einzustufen“, so Böhm.
Alkohol ist gefährlichste Komponente von Aperol
Von Seiten der Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V. wird in einer Nachricht an AFP am 21. Juni 2024 betont, dass Alkohol „an sich ungesund und krebserregend“ sei. Die klare Empfehlung: „So wenig Alkohol wie möglich, am besten kompletter Verzicht.“
Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, schrieb AFP am 20. Juni 2024, dass in Deutschland nur Zusatzstoffe zugelassen seien, die als sicher gelten, „wenn bei der zu erwartenden Zufuhrmenge auch langfristig keine Schädigungen zu erwarten“ seien. Sie konkretisierte ebenfalls: „Wenn jemand langfristig so viel Aperol Spritz trinkt, dass er diesen Sicherheitsbereich überschreitet, dann entstehen die gesundheitlichen Probleme durch den Alkohol.“
Das erklärte auch Andriy Khobta, Professor für Ernährungstoxikologie an der Universität Jena, gegenüber AFP am 20. Juni 2024. Die genannten Azofarbstoffe seien zudem „nicht nachweisbar krebserregend“. Einige Azofarbstoffe könnten zwar in der Tat „potenziell“ eine krebserregende Wirkung haben. Bei den in Aperol enthaltenen Stoffen hält Khobta dies jedoch für „äußerst unwahrscheinlich“. Laut Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin, liegen keine Studien zu einer möglichen Krebsentstehung vor, wie er AFP am 20. Juni 2024 schrieb.
Matthias Schreiner, Dozent am Institut für Lebensmittelwissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien, erklärte AFP in einer Nachricht vom 20. Juni 2024 schließlich, dass die Aussage, die Azofarbstoffe in Aperol oder Campari seien „extrem krebserregend“, als „Blödsinn“ einzustufen sei. Die Stoffe seien in dieser Hinsicht jedoch nicht „komplett harmlos“, da Risikoeinschätzungen bei Kanzerogenität „niemals völlig eindeutig“ seien. Sein Fazit lautet dennoch: „Die Farbstoffe müssen nicht besorgt machen – bei normalem Konsum natürlich.“
Sicht ausländischer Behörden
Die Gefährlichkeit der Inhaltsstoffe belegen die Beiträge zudem mit angeblichen Warnungen verschiedener Lebensmittelbehörden. Es wird erklärt, E 124 sei in den USA verboten und in Finnland und Norwegen als „krebserregend“ eingestuft.
Sowohl Norwegen als auch der EU-Mitgliedstaat Finnland sind im Beirat der Efsa vertreten und den EU-Bestimmungen im Lebensmittelbereich unterworfen. Auf der Website der finnischen Lebensmittelbehörde fand AFP keine Erwähnung, dass E 124 offiziell als krebserregend eingestuft wurde. Auch auf der Website der norwegischen Lebensmittelbehörde fand AFP keinen derartigen Hinweis. In einem Telefonat erklärte ein Sprecher der norwegischen Behörde gegenüber AFP am 27. Juni 2024, dass das Land in diesem Bereich grundsätzlich an EU-Regeln gebunden sei.
In den USA hat die dortige Lebensmittelbehörde den roten Farbstoff E 124 tatsächlich nicht zur Verwendung in Lebensmitteln erlaubt. Es wird unter anderem mit Hyperaktivität von Kindern in Verbindung gebracht, worauf auch im „Epoch Times“-Artikel eingegangen wird. Eine Studie der Universität Southampton aus dem Jahr 2007 ergab, dass der Konsum von E 110 und E 124 Aufmerksamkeit und Aktivität von Kindern beeinträchtigt. Laut Efsa sei die Aussagekraft der Studie jedoch begrenzt. Dennoch muss in der EU bei einigen Lebensmitteln – mit Ausnahme von gewissen alkoholischen Getränken – ein diesbezüglicher Hinweis angebracht werden. Wer die Getränke verantwortungsvoll konsumiert, sei jedoch sicher, entwarnten Fachleute gegenüber AFP.
Online zitierter Chemiker nimmt gegenüber AFP Stellung
Die online geteilten Postings beziehen sich auf den Chemiker Michael Braungart, laut dem die Azofarben E 10 und E 124 „wirklich sehr stark Krebs verursachen“. Im Artikel der Seite „Epoch Times“ wird er sogar mit „wirklich extrem stark krebsauslösend“ zitiert. Laut einer anderen Onlinepublikation aus 2021 seien Azofarbstoffe nach Braungart ebenfalls „stark krebserzeugend“.
Auf AFP-Anfrage wurden die zitierten Aussagen nicht direkt kommentiert. In einer Nachricht vom 20. Juni 2024 verwies ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von Braungart jedoch auf eine Publikation des Chemikers aus 2020, die als Vorlage für die Zitate in den geteilten Postings gedient haben könnte. Darin finden sich jedoch nicht derart absolute, sondern zahlreiche differenziertere Passagen in Bezug auf Azofarbstoffe. Für diese sei etwa mehr Aufklärung und Verbraucherschutz geboten, da diese „auch gesundheitliche Schäden hervorrufen können“. Weiter ist angeführt, dass von den Farbstoffen abgespaltene Stoffe „im Verdacht stehen, krebserregend zu sein“.
Abschließend heißt es in der Publikation von Braungart: „Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen, wie zum Beispiel Campari, freiwillig auf höchst fragwürdige Farbstoffe in der Produktion verzichten und damit einen wichtigen Beitrag zum Verbraucherschutz leisten. Damit der Aperol Spritz auch an kommenden Sommerabenden auf der Terrasse so richtig gut schmeckt.“ Er verweist zudem auf einen anderen Onlineartikel zu Farbstoffen. Hier ist jedoch ebenfalls an keiner Stelle von „extrem krebserzeugend“ oder ähnlichem die Rede.
Fazit: In sozialen Medien kursiert aktuell die Behauptung, die in Aperol oder Campari enthaltenen Farbstoffe E 110 und E 124 seien „extrem krebserregend“. Laut Efsa gibt es bei verantwortungsvollem Konsum jedoch keine diesbezüglichen Bedenken. Fachleute stufen viel eher den enthaltenen Alkohol als kritisch ein.