In sozialen Netzwerken kursiert seit Mitte Januar ein Video, in dem ein junger Mann behauptet, dass gesättigte Fettsäuren keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern würden. Stattdessen gibt er pflanzlichen Ölen die Schuld an Herzinfarkten. Die US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und andere Gesundheitsbehörden weisen jedoch darauf hin, dass übermäßiger Verzehr von gesättigten Fettsäuren ein Risiko für Herzinfarkte darstellt. Darin stimmen auch mehrere Expertinnen und Experten überein, die AFP befragt hat.
Seit dem 15. Januar 2023 kursierte das spanischsprachige Video auf Facebook, Tiktok und Instagram und wurde tausende Male geteilt.
Die Behauptung: In dem Video spricht ein junger Mann über die angeblichen gesundheitlichen Folgen des Verzehrs von pflanzlichen Ölen und gesättigten Fettsäuren: „Wenn dir das nächste Mal jemand sagt, dass Cholesterin dein Herzinfarktrisiko erhöht, zeig ihm bitte dieses Video.“ Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Cholesterin das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, könne angeblich nicht durch stichhaltige wissenschaftliche Beweise belegt werden. „Wenn wir den Verzehr von rotem Fleisch senken und den Konsum von Pflanzenölen erhöhen, das kein Cholesterin enthält, wie kann es sein, dass wir weltweit immer noch Herzinfarkte erleiden? Dein Feind sind die Pflanzenöle und du solltest sie aus deiner Küche entfernen“, behauptet er.
„Vor ungefähr 60 Jahren hat ein US-amerikanischer Arzt namens Ancel Keys die Behauptung in die Welt gesetzt, dass Cholesterin das Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, ohne stichhaltige wissenschaftliche Beweise vorweisen zu können“, sagt der Sprecher im irreführenden Video. „Infolge seiner Ratschläge haben wir weltweit den Konsum gesättigter Fettsäuren, die von Tieren kommen, reduziert.“
Laut dem Video sei daraufhin der Konsum von pflanzlichen Ölen wie Soja-, Raps-, oder Maisöl seit den 1960er-Jahren „exorbitant“ angestiegen.
Zahlen ohne Quellenangabe
Der Macher des Videos zeigt zwei Graphen mit Zahlen, um seine Behauptungen zu untermauern. Eine Google-Suche zu den Titeln der beiden Darstellungen, „Total meat consumption by type“ (Fleischkonsum insgesamt nach Fleischtyp) und „American Consumption of Vegetable Oil“ (Amerikanischer Verbrauch von Pflanzenöl) führte zur Webseite „Heart & Soil“ von Paul Saladino, der seine fleischbasierte Ernährung anpreist. Die Grafiken sind in einem Beitrag auf der Webseite zu finden.
Die Webseite wirbt für eine fleischlastige Ernährung und bezeichnet Lebensmittel wie Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte als „hochgiftig“ – eine Vorstellung, die dem allgemeinen Konsens der Gesundheitsbehörden in aller Welt über die zur Vorbeugung von Fettleibigkeit und anderen chronischen Krankheiten empfohlenen Lebensmitteln widerspricht.
Saladino verkauft über Facebook angebliche Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von Tierorganen.
Die erste vom Ersteller des verbreiteten Videos zitierte Grafik, die einen angeblichen Rückgang des Fleischkonsums zeigt, hat keine sichtbare Quelle, sodass es nicht möglich ist zu erfahren, woher die Daten stammen.
AFP hat die verfügbaren Statistiken zum Fleischkonsum zwischen 1961 und 2013 aus dem offenen Datenportal der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen heruntergeladen (FAO). Sowohl die Werte als auch die Tendenzen weichen von den Daten des Videos und der Webseite „Heart & Soil“ ab.
In den späten 1970er-Jahren stieg der Rindfleischverbrauch (in der Grafik rot dargestellt) an und ging ab den 1990er-Jahren auf ähnliche Werte wie im Jahr 1961 zurück. Im Gegensatz zu dem, was die verbreitete Grafik behauptet, hat sich der Schweinefleischverbrauch (braun) zwischen 1961 und 2013 vervierfacht. Die Grafik von „Heart & Soil“ behauptet außerdem, dass der Ziegen- und Schaffleischkonsum (ocker) zurückgegangen sei, während aus den Daten der FAO-Statistik hervorgeht, dass der Wert zwischen 1961 und 2013 weitgehend gleich geblieben ist. Aus der Statistik geht ebenfalls hervor, dass der Konsum von Geflügel (gelb) seit den 1960er-Jahren konstant angestiegen ist. Infolge dieser Zahlen stieg der Gesamtfleischverbrauch (violett) von 110 Kilokalorien pro Person und Tag im Jahr 1961 auf 237 im Jahr 2013 – mehr als das Doppelte.
Die zweite Grafik im verbreiteten Video zeigt den Anstieg des Pflanzenölverbrauchs zwischen 1920 und 2020. Da keine Quelle angegeben ist, lässt sich der Ursprung dieser Daten nicht feststellen. Nach Angaben der FAO hat der Verbrauch von Pflanzenölen in den letzten Jahrzehnten jedoch weltweit stetig zugenommen.
Ein Vergleich zwischen der Entwicklung des Fleisch- und Pflanzenölverbrauchs, ebenfalls auf der Grundlage von FAO-Daten, ist in der nachstehenden Grafik dargestellt. Beide Werte haben sich zwischen 1961 und 2013 mehr als verdoppelt. Der Pflanzenölverbrauch ist grün dargestellt, der Fleischverbrauch rot.
Erasmo de la Peña ist Direktor des Instituts für Kardiologie und Gefäßmedizin am Institut für Technologie und Höhere Studien in Monterrey, Mexiko. AFP sprach mit ihm am 26. Januar 2023. Er stimmte mit den von AFP befragten Expertinnen und Experten darüber ein, dass das verbreitete Video die Risiken im Zusammenhang mit der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht umfassend darstellt, da diese nicht unbedingt auf eine einzige Ursache, sondern vielmehr auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen sind.
Gesättigte Fette und Cholesterin
Andrea García, Ernährungswissenschaftlerin und Leiterin des Studiengangs für Ernährung und ganzheitliches Wohlbefinden an der Tec de Monterrey erklärte gegenüber AFP, dass der Zusammenhang zwischen dem übermäßigen Verzehr von gesättigten Fetten und dem Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in mehreren Studien nachgewiesen wurde. „Gesättigte Fettsäuren verursachen sehr wohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagte sie gegenüber AFP am 30. Januar 2023. Diese seien eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Sie empfiehlt, „nicht mehr als 20 Gramm gesättigte Fettsäuren in der Nahrung“ pro Tag zu sich zu nehmen.
Der Sprecher im verbreiteten Video behauptet, dass es zur Theorie Ancel Keys zum Zusammenhang zwischen Cholesterin und Herzinfarktrisiko keine „stichhaltigen wissenschaftlichen Beweise“ gäbe. García hingegen sagte, dass Keys zur Überprüfung seiner Hypothese „eine multizentrische Studie mit sieben Ländern durchgeführt hat, in der er diese Theorie testen konnte. (…) Sie verfügt sehr wohl über die grundlegenden Beweise.“
Die Ernährungswissenschaftlerin zitierte außerdem eine im Dezember 2022 in der Fachzeitschrift „Nutrients“ veröffentlichte Studie, die einen solchen Zusammenhang belegt und auf der Nachbeobachtung von „mehr als 120.000 Menschen im Alter von mindestens zwölf Jahren“ beruht.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es „sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von gesättigten Fetten und dem Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung gibt“.
Álvaro Contreras, Kardiologe und Akademiemitglied der Leitung für postgraduale Studien an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) und sprach mit AFP am 24. Januar 2023. Er stimmte dieser Auslegung zu und sagte, es gebe einen Konsens in der medizinischen Gemeinschaft: „Es besteht kein wissenschaftlicher Zweifel. (…) Als vor 70 Jahren mit den Studien begonnen wurde, war die Qualität der Informationen noch nicht so aussagekräftig wie heute. Aber wie man es auch immer betrachtet, es ist unbestreitbar.“
Die US-Centers for Disease Control and Prevention nennen eine Ernährung mit hohem Anteil an gesättigten Fettsäuren als einen der Hauptrisikofaktoren für Herzerkrankungen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen sich in der Regel an der Verengung einer Arterie aufgrund der Ansammlung von Cholesterin und Fett.
Es gibt zwei Arten von Cholesterin. Das „schlechte“ Cholesterin heißt LDL und kann potenziell die Arterien verstopfen. Das „gute“ Cholesterin HDL dagegen weist eine hohe Dichte auf und kann so zur Leber transportiert und ausgeschieden werden.
„Diese Lipoproteine sind Transporter für Fettpartikel“, sagte Contreras und fügte hinzu, dass eine fettreiche Ernährung zu einem erhöhten LDL-Cholesterinspiegel führe. „Menschen mit einem erhöhten LDL-Cholesterinspiegel haben ein viel höheres Risiko und eine höhere Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen“, sagte er.
De la Peña stimmte dem zu und ergänzte, dass ein hoher Wert von schlechtem Cholesterin „das kardiovaskuläre Risiko erhöht. Seit vielen Jahren wird untersucht, dass die Senkung des LDL-Cholesterins dieses kardiovaskuläre Risiko deutlich verringert, und zwar in dem Maße, dass die Sterblichkeitsrate, die Zahl der Herzinfarkte und das Auftreten koronarer oder kardiovaskulärer Ereignisse abnimmt.“
Auch die deutsche Herzstiftung schreibt online: “Erhöhte Blutfette steigern das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.” Vor allem LDL-Cholesterin sei ein Hauptrisikofaktor.
Der Wissenschaftler wies trotz allem darauf hin, dass diese Daten mit Vorsicht zu genießen seien, da gesättigte Fette sowohl „gute Fette“ als auch „schlechte Fette“ enthielten. „Es gibt kurzkettige gesättigte Fette, wie sie in Milchprodukten enthalten sind, die gut für den Körper sind, für die Funktionen von Gehirn und Nervensystem, für die Stoffwechselfunktionen, für die Reduzierung der Oxidation“, führte er auf.
Auch García sagte, dass es nicht ratsam sei, den Konsum von gesättigten Fetten, die vor allem in tierischen Produkten wie Fleisch oder Milchprodukten vorkämen, vollständig zu vermeiden. „All diese Lebensmittelgruppen sind für unsere Ernährung und unsere Körperfunktionen sehr wichtig.“
Sonstige Risikofaktoren
Es gibt Gewohnheiten, die das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. De la Peña nennt hier beispielsweise das Rauchen. „Rauchen erzeugt einen prothrombotischen Entzündungszustand. Es erhöht die Fähigkeit des Körpers, ein Blutgerinnsel zu bilden und verstärkt (…) die Schädigung des Endothels (Zellschicht an der Innenfläche der Blut- und Lymphgefäße). Es reizt die Zellschicht, macht sie durchlässig für Schadstoffe und fördert die Bildung von Ablagerungen.“
Neben dem Tabakkonsum existierten andere Risikofaktoren, führte Dr. Contreras aus. „Die wichtigsten Faktoren, die mit Herz-Kreislauferkrankungen in Verbindung gebracht werden, sind Störungen des Fettstoffwechsels oder Veränderungen des Cholesterinspiegels, Diabetes, (Rauchen) und Bluthochdruck.“
Die Genetik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. “Die koronare Herzkrankheit kann genetische Ursachen haben und familiär gehäuft auftreten”, schreibt die deutsche Herzstiftung. De la Peña betonte allerdings, dass die DNA nur einer von mehreren Faktoren sei: “ Wenn beispielsweise mein Vater mit 40 Jahren einen Infarkt erlitten hat, heißt das nicht, dass ich auch einen haben werde. Das bedeutet lediglich, dass mein Risiko größer ist, einen zu erleiden. Aus statistischer Sicht und aus Sicht des gesunden Menschenverstands. Wenn ich dann noch fettleibig bin, Bluthochdruck habe und rauche, befeuere ich dieses genetische Geschenk, das mir mein Vater hinterlassen hat.“
Pflanzenöle: der „Feind“?
Der Autor des verbreiteten Videos behauptet: „Dein Feind sind die Pflanzenöle und du solltest sie aus deiner Küche entfernen.“ Es sei jedoch problematisch, alle pflanzlichen Öle in einer Gruppe zusammenzufassen, so die Ernährungswissenschaftlerin García. „Es gibt Öle, die gesundheitsfördernd sind und es gibt solche, die es nicht sind“, sagte sie. Beispielsweise Kokosöl: Sie zitierte eine systematische Studie aus dem Jahr 2020, in der der Verzehr von Kokosöl über zwei Monate hinweg untersucht wurde. „Während dieses Zeitraums konnten wir feststellen, dass das Lipidprofil der Menschen beeinflusst wurde und es kam zu einem deutlichen Anstieg des LDL-Cholesterins.“
De la Peña wies darauf hin, dass der Urheber des verbreiteten Videos „sehr pauschal über pflanzliche Öle spricht. Wenn man differenziert, erkennt man, dass es gutes und schlechtes Fett gibt. Daher gibt es gute Pflanzenöle und auch schlechte Pflanzenöle. (…) Letztendlich wird alles, was den LDL-Cholesterinspiegel senkt, theoretisch zu einer Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse führen.“
Das Problem sei, so García, dass die Industrialisierung von Pflanzenölen in vielen Fällen zur Verhärtung von Fetten in Produkten geführt habe. „Das heißt, sie werden in feste Fette verwandelt und diese Fette sind viel gefährlicher als gesättigte Fette.“ Sie werden auch als Transfettsäuren bezeichnet.Die sogenannte Hydrierung wird beispielsweise häufig bei der Herstellung von Margarine eingesetzt.
Der Konsum von pflanzlichen Ölen kann laut García von Vorteil sein, hängt aber von ihrer Verwendung ab. Es wird zum Beispiel empfohlen, diese Öle nicht erneut aufzuwärmen, da dies zum Verzehr von Transfettsäuren führen kann.
Gesunde Ernährungsweise
Die drei befragten Expertinnen und Experten waren sich einig, dass die mediterrane Ernährung eine gesunde Methode zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei. García sagte, dass dabei der Verzehr von rohem Olivenöl üblich sei. Außerdem sei sie reich an grünem Blattgemüse wie Mangold, Spargel, Spinat und Brokkoli sowie an Obst. „Je mehr Vielfalt beim Obst, desto größer der Nutzen“, sagte sie.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Verzehr von Vollkornprodukten wie Hafer, Weizenkleie, Quinoa, Naturreis und Mais. Andererseits sind das Hülsenfrüchte wie Bohnen, Saubohnen, Linsen und Kichererbsen, die pflanzliche Eiweißquellen darstellen.
Fazit: Der übermäßige Verzehr von gesättigten Fettsäuren erhöht sehr wohl das Risiko, eine Herz-Kreislauf-Krankheit zu erleiden. Auch unter Pflanzenölen gibt es diejenigen, die den “schlechten” LDL-Cholesterinspiegel ansteigen lassen, aber auch Öle, die gesundheitsfördernd sind. Das bestätigten mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Gesundheitsbehörden.