Der Umgang mit Gendervielfalt an Schulen sorgte in sozialen Medien wiederholt für Aufregung. Im September 2024 kursierte online die Falschbehauptung, ein irischer Lehrer sei wegen seines Einsatzes gegen eine vermeintliche „Transideologie“ an einer Schule verhaftet worden. Gerichtsdokumente über mehrere Prozesse des Lehrers Enoch Burke belegen jedoch zweifelsfrei, dass seine ablehnenden Ansichten über LGBTIQ-Personen keinen Einfluss auf seine Inhaftierung hatten. Stattdessen wurde Burke im Jahr 2022 von seiner Schule suspendiert, weil er einen Gottesdienst unterbrochen und eine Schulleiterin beschimpft hatte. Verhaftet wurde er, nachdem er wiederholt gerichtliche Verfügungen missachtete.
„Der Lehrer Enoch Burke wurde an der Wilson’s Hospital School in Irland verhaftet, weil er sich weigerte, die Transgender-Ideologie zu unterstützen“, schrieb ein Facebook-Nutzer am 3. September 2024. „Für ihn gibt es nur zwei Geschlechter: männlich und weiblich“, heißt es weiter in dem Post. Dazu wurde ein Video geteilt, in dem ein Mann von mehreren irischen Polizisten abgeführt wird. Dabei sagt der Mann: „Ich habe das Recht zu arbeiten. Ich habe das Recht, hier zu sein. Ich kann Schülern nicht sagen, dass sie Pubertätsblocker nehmen müssen.“ Eine aufgebrachte Frauenstimme ist ebenfalls zu hören: „Ihr verhaftet ihn, weil er sich weigert, die Gender-Ideologie zu unterstützen.“
„Das passiert wenn linke Gaga-Kommunisten regieren“, schrieb ein X-Nutzer mit identischem Videolink, dessen Beitrag knapp 3000 Mal geteilt wurde. Auch auf Telegram wurde das Video vielfach verbreitet.
Die online kursierende Behauptung ist jedoch falsch, wie offizielle Gerichtsdokumente, Burkes öffentliche Äußerungen und langjährige mediale Berichterstattung zeigen.
Missachtung gerichtlicher Anordnungen führte zur Verhaftung
Mithilfe einer erweiterten Websuche nach dem Namen „Enoch Burke“ fand AFP mehrere Medienberichte vom 3. September 2024, die den im Video festgehaltenen Vorfall thematisieren. Demnach wurde Burke am 2. September 2024 zum dritten Mal festgenommen, weil er sich geweigert habe, sich von seinem früheren Arbeitsort, der weiterführenden Schule Wilson’s Hospital School in der irischen Stadt Mullingar, fernzuhalten.
AFP fand insgesamt 24 Gerichtsurteile (hier archiviert), die mit Enoch Burke in Zusammenhang stehen. Sie decken einen Zeitraum von Dezember 2022 bis August 2024 ab. Die Prüfung einzelner Urteile half dabei, eine Reihe von gerichtlich festgestellten Fakten zu rekonstruieren, die zu Burkes Suspendierung von der Schule, seiner Entlassung und späteren Inhaftierung führten.
Enoch Burke war demnach Lehrer an der Wilson’s Hospital School und unterrichtete Geschichte und Deutsch. Im Mai 2022 erhielt die Schule eine Anfrage von den Eltern eines Schulkindes, das seine Geschlechtsidentität ändern wollte. Die Schulleiterin war bereit, dem Wunsch des Kindes nachzukommen und es von nun an im Schulkontext mit dem neutralen Pronomen „they“ anzusprechen.
Burke jedoch weigerte sich, das Kind entsprechend seines Wunsches anzusprechen und behauptete, das Anerkennen von Transidentität widerspräche seinen religiösen Überzeugungen und sei „Missbrauch von Kindern und ihren verfassungsmäßigen Rechten“. Im Juni 2022 unterbrach Burke einen Gedenkgottesdienst in der Schulkapelle, in der er „Transgenderismus“ anprangerte, und danach die Schulleiterin bedrängte. Nach diesem Vorfall wurde er von der Schule suspendiert. Da Burke weiterhin zur Arbeit erschien, sah sich die Schulbehörde dazu veranlasst, die Polizei einzuschalten.
Nachdem Burke wiederholt die gerichtliche Anordnung ignoriert hatte, nicht mehr in der Wilson’s Hospital School zu erscheinen, ordnete das zuständige Gericht im September 2022 seine Inhaftierung an. Im Urteil vom 21. Dezember 2022 wurde außerdem festgestellt, dass es Burke im Vorfeld untersagt worden sei, „das Schulgelände zu betreten, zu versuchen, Klassen zu unterrichten, die Pflichten seiner Vertretungslehrer zu beeinträchtigen oder die Anweisungen der Schulbehörde zu missachten“. Der zuständige Richter befand, Burke habe das Gericht „missachtet“, indem er wiederholt auf dem Schulgelände erschienen sei, weshalb er mit polizeilicher Hilfe daran gehindert werden müsse.
Auf AFP-Anfrage vom 12. September 2024 bestätigte ein Sprecher von An Garda Siochana, Irlands Behörde für nationale Sicherheit, per E-Mail, dass sie am 2. September 2024 „einen Beschluss des High Court in Mullingar vollstreckt“ habe. „Ein Mann wurde von An Garda Siochana festgenommen und ist nun vor dem High Court erschienen“, führte der Sprecher aus. Namentliche Angaben seien jedoch nicht möglich.
Inhaftierung hatte nichts mit LGBTIQ-Ansichten zu tun
Tom Hickey, Rechtswissenschaftler an der Dublin City University, erklärte am 16. September 2024 auf AFP-Anfrage, dass es in Irland „nicht sehr üblich“ sei, wegen Missachtung gerichtlicher Anweisungen ins Gefängnis zu kommen, wie es bei Enoch Burke der Fall ist. „Normalerweise würden solche Personen einfach ihr Vergehen ’sühnen'“, erklärte Hickey. „Jemand, der wegen seines Verhaltens mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss – beispielsweise, weil er ein Dokument zurückhält, das er nach Ansicht des Gerichts vorlegen muss, oder weil er sich auf einem Grundstück aufhält, das er nach Ansicht des Gerichts meiden muss – würde normalerweise nachgeben und damit die Gefahr einer Gefängnisstrafe beseitigen.“
Burke scheine jedoch nicht bereit zu sein, „seine Missachtung gerichtlicher Anweisungen zu sühnen“, führte Hickey weiter aus. „Er besteht darauf, in der fraglichen Schule zu erscheinen und scheint dies in gewisser Weise als eine Verpflichtung seinem Gewissen gegenüber zu betrachten. Ein Ende dieses Falls ist nicht abzusehen. Es ist schwer vorstellbar, dass Herr Burke selbst einen Ausweg aus dieser Situation findet. Und es ist ebenso schwer vorstellbar, dass die Gerichte einen Bürger ignorieren können, der ihre Anordnungen offen missachtet.“
Im Urteil vom 21. Dezember 2022 heißt es ausdrücklich, dass Burkes Inhaftierung nichts mit seinen ablehnenden Ansichten zu Transidentität oder dem Ändern von Pronomen zu tun habe. „Die Einhaltung der gerichtlichen Anordnungen stellt in keiner Weise eine Beeinträchtigung der religiösen Überzeugungen von Herrn Burke dar oder verlangt von ihm, etwas zu tun, das gegen diese Überzeugungen verstößt“, stellte Richter Brian O’Moore fest. „Diese Anordnungen verpflichteten und verpflichten Herrn Burke nicht, jemanden auf eine bestimmte Art und Weise anzusprechen.“
In demselben Urteil wird auch darauf hingewiesen, dass Burke davon überzeugt sei, dass seine Inhaftierung sich auf seine Weigerung bezöge, Transpersonen mit „they“ anzusprechen. „Seine Inhaftierung wurde durch seine eigene Entscheidung ausgelöst, die Schule wiederholt zu betreten, obwohl er wusste, dass er angewiesen worden war, dies nicht zu tun“, heißt es in dem Urteil.
Die Vorgeschichte: Eine umstrittene Familie
Wie ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Irlands vom 19. Mai 2023 aufbereitete, begann die Auseinandersetzung zwischen Burke und seinem vormaligen Arbeitgeber, der Wilson’s Hospital School, im Juni 2022. Am 21. Juni 2022 fand in der Schulkapelle ein Gottesdienst statt, gefolgt von einem Abendessen im Speisesaal der Schule. Laut Gerichtsdokument unterbrach Burke den Gottesdienst und hielt eine Rede, in der er „Transgenderismus“ anprangerte, wobei er die Aufforderung des Schulkaplans, damit aufzuhören, ignorierte. Beim Abendessen nach dem Gottesdienst unterbrach Burke die Schulleiterin zweimal und verhielt sich ihr gegenüber laut Urteil „unangemessen“.
Nach diesen Vorfällen schlug die Schulleiterin dem Vorstand der Schule vor, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Burke wurde aufgefordert, seine Sicht der Ereignisse darzulegen, doch stattdessen verurteilte er das Disziplinarverfahren an sich. Im August 2022 wurde er vom Dienst suspendiert und am 19. Januar 2023 entlassen.
Der Name „Burke“ tauchte in Irland bereits vor den gegenwärtigen rechtlichen Auseinandersetzungen mehrfach in den Medien auf: Die Zeitung „Irish Times“ bezeichnete Enoch Burke, seine Eltern und Geschwister im Mai 2023 als „berüchtigte Familie von hochbegabten, zu Hause unterrichteten, evangelikalen Christen“. Aufgrund von zahlreichen Gerichtsverfahren gegen staatliche Institutionen, ehemalige Arbeitgeber und Berufsverbände waren sie häufig in irischen Medien vertreten. Bei ihren Gerichtsverfahren verursachten Familienmitglieder mehrfach Unruhe, sodass der vorsitzende Richter sie aus dem Gerichtssaal werfen musste, wie es aus einem Urteil vom Februar 2023 hervorgeht.
Nachdem Burke im März 2023 die Berufung gegen die gerichtliche Verfügung, die ihm den Zutritt zum Gelände der Wilson’s Hospital School untersagte, verloren hatte, mussten er und fünf Mitglieder seiner Familie ebenfalls gewaltsam aus dem Gerichtssaal entfernt werden. In dem am 7. März 2023 ergangenen Urteil, das dem Vorfall vorausging, heißt es, dass Burke „um jeden Preis seinen Willen durchsetzen“ wollte. Der Richter ging sogar so weit zu sagen, dass Burke Konflikte und „die vorübergehende Bekanntheit“, die seine Missachtung des Gerichtsverfahrens mit sich gebracht habe, genießen würde.
Laut BBC gab die Familie Burke mindestens 30.000 Euro für Facebook-Anzeigen aus, mit denen Videos von Familienmitgliedern verbreitet wurden. Im Juni 2024 wurde demnach gegen Enochs Vater Sean und zwei weitere Familienmitglieder ermittelt, weil er die Wahlkampfveranstaltung des irischen Premierministers Simon Harris gestört hatte.
Burke könnte das Gefängnis jederzeit verlassen
Seine derzeitige Haftstrafe müsste Enoch Burke laut Ansicht des Rechtswissenschaftlers Hickey dennoch nicht absitzen: „Er würde eine Gefängnisstrafe schlicht und ergreifend dadurch vermeiden, dass er verspricht, die gerichtliche Anordnung nicht zu brechen“, sagte er gegenüber AFP. Und dies bedeute, sich von der Schule fernzuhalten.
Im Urteil vom 21. Dezember 2022 wurde argumentiert, dass es den Anschein habe, Enoch Burke würde seine Inhaftierung für eigene Zwecke nutzen. „Seine Ansichten über Transgender-Personen dürften heute viel bekannter sein als vor seiner Inhaftierung“, heißt es darin. „Anfang August war er ein gewöhnlicher Geschichts- und Deutschlehrer. Jetzt ist er ein Begriff.“
Fazit: Der irische Lehrer Enoch Burke wurde im September 2024 inhaftiert, weil er wiederholt eine gerichtliche Verfügung missachtet hatte. Mit seinen ablehnenden Ansichten gegenüber Transpersonen hat der Fall entgegen einer online kursierenden Falschbehauptung nichts zu tun. Das lässt sich in öffentlich zugänglichen Gerichtsurteilen nachvollziehen.