Doch, muslimische Flüchtlinge suchen auch in muslimischen Ländern Asyl

„Ungefähr 85 Prozent der weltweiten Flüchtlinge sind Muslime. Aber sie suchen kein Asyl in den 56 muslimischen Staaten. Sie wollen anscheinend nur Asyl in nicht muslimischen Ländern“, lautet der Text auf einem Bild, das im September und Oktober in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Darüber ein Foto der Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islams. Ein Instagram-Beitrag mit der Behauptung bekam mehr als 20.000 Likes.

Dabei sind die Behauptungen falsch. Wir blicken in diesem Faktencheck in die Daten und auf das hinter der Behauptung stehende Narrativ.

Screenshot eines Instagram-Beitrags mit der ursprünglichen Behauptung.
Dieser Instagram-Beitrag mit der Behauptung über Flüchtlinge wurde mehr als 20.000 Mal geliked (Quelle: Instagram; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Religionszugehörigkeit von Geflüchteten wird nicht immer erfasst 

Wir haben uns zunächst angeschaut, ob es Daten darüber gibt, wie viele der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, muslimisch sind. Die gibt es nicht, die Religionszugehörigkeit wird nicht in allen Staaten erfasst, wie uns das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) auf Anfrage mitteilte.

Darüber hinaus ist unklar, wie der Begriff „muslimisch“ auf dem Sharepic gemeint ist: Soll er nur gläubige Muslime umfassen oder sind auch Menschen gemeint, die aus einem muslimisch geprägten Land stammen, aber den Islam nicht praktizieren?

Die Anzahl der muslimischen Länder, die im Sharepic mit „56“ beziffert wird, könnte auf die Mitgliedsstaaten der „Organisation of Islamic Cooperation“ verweisen. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von mittlerweile 57 Staaten, in denen der Islam eine wichtige Rolle spielt. Da die Mitgliedschaft Syriens bis März 2025 ausgesetzt war, könnte das die Erklärung dafür sein, dass auf Instagram von 56 Staaten die Rede ist.

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass es den Verbreiterinnen und Verbreitern des Sharepics bei Muslimen um Menschen aus diesen Ländern, unabhängig vom tatsächlichen Verhältnis zur Religion, geht. Daten hierzu hat das UNHCR – es veröffentlicht regelmäßig Zahlen zur Situation von Geflüchteten weltweit.

Weltweit größte Gruppe von Flüchtlingen kommt aus Venezuela

Im November 2025 gelten laut UNHCR insgesamt 117 Millionen Menschen als „gewaltsam vertrieben“. Dieser Begriff umfasst sowohl Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind, als auch solche, die ihr Heimatland verlassen mussten. 36,4 Millionen Menschen, die als Flüchtlinge ihr Heimatland verlassen mussten, sind Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Von ihnen kommt mit 6,5 Millionen Menschen die größte Gruppe aus Venezuela.

Neben Venezuela kommt als weiteres nicht-muslimisches Herkunftsland die Ukraine hinzu. Aus ihr flohen 5,3 Millionen Menschen. Mit 11,8 Millionen Menschen kommt fast ein Drittel der Gesamtzahl der Flüchtlinge allein aus diesen beiden nicht-muslimischen Ländern. Selbst wenn alle anderen Flüchtlinge ausschließlich muslimisch wären, würden sie also nicht 85 Prozent ausmachen.

Türkei und Iran unter Top-Fünf der Aufnahmestaaten für Flüchtlinge weltweit

Ebenfalls falsch ist die Aussage, Menschen würden nicht in muslimische Länder flüchten. Daten des UNHCR zeigen, dass alleine der Iran und die Türkei im November 2025 zusammen 5,2 Millionen Flüchtlingen Schutz boten. Damit sind sie unter den fünf aufnahmestärksten Ländern, die zusammen 34 Prozent der Menschen aufnehmen, wie in der Grafik unten illustriert ist.

Das UNHCR weist auf Nachfrage außerdem darauf hin, dass der Großteil der vertriebenen Menschen in ein Nachbarland flüchtet, nämlich etwa 67 Prozent. Viele Menschen aus Afghanistan flüchten etwa nach Pakistan oder in den Iran; die Türkei nehme viele Syrer und Syrerinnen auf. In beiden Fällen flüchten die Menschen mit großem Abstand eher in Nachbarländer, die zudem auch muslimisch sind.

Die Daten bestätigen das: 2025 sind nach Angaben des UNHCR etwa 4,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen auf der Flucht. Allein 2,5 Millionen von ihnen, also mehr als die Hälfte, flüchteten in den Iran, weitere 1,5 Millionen nach Pakistan. In Deutschland suchten demgegenüber rund 280.000 Menschen aus Afghanistan Schutz. Für Flüchtlinge aus Syrien gilt ähnliches: Von etwa 5,5 Millionen Menschen suchen knapp die Hälfte, 2,6 Millionen, in der Türkei Schutz. Eine große Gruppe flüchtete außerdem in den Libanon, etwa 716.000 Personen. Deutschland ist auch hier auf dem dritten Platz der Aufnahmeländer mit rund 695.000 Flüchtlingen.

Behauptung spielt auf rassistische Narrative und rechtsextreme Kampfbegriffe an

Unter den Verbreitenden der Behauptung sind neben dem Instagram-Beitrag eine Reihe weiterer Beiträge auf verschiedenen Plattformen und in verschiedenen Sprachen. Auf Tiktok etwa finden wir Videos auf Englisch, Spanisch oder Italienisch. In den Kommentarspalten beantworten viele die rhetorische Frage auf dem Bild („Seltsam, warum nur?“) mit Verschwörungserzählungen.

Von einer Invasion, einer Übernahme Europas durch den Islam oder „Umvolkung“ ist die Rede. Dahinter steckt die Behauptung, Europa solle gezielt durch Einwanderung und höhere Geburtenraten der migrantischen Bevölkerung von Musliminnen und Muslimen „übernommen“ werden: eine Erzählung von extremen Rechten, die auch als der „große Austausch“ bekannt ist. Auch von einem „Feldzug gegen das Christentum“ ist die Rede, das Stichwort Islamisierung fällt.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) kennt das als „propagandistischen Kampfbegriff“, den Rechtsextreme nutzen und schreibt dazu: „Diese Idee baut auf einem rassistischen Verständnis der Welt auf, in der – vereinfacht gesagt – Menschen verschiedener Kulturen nicht miteinander vermischt werden sollen. Das Narrativ will einen Gegensatz zwischen ‚Wir‘ und ‚die anderen‘ konstruieren und wertet alles Fremde ab.“ Der „große Austausch“ stellt dementsprechend die als kultiviert und damit schützenswert angenommene weiße, christliche Bevölkerung Europas Migrantinnen und Migranten gegenüber, die gefährlich, unzivilisiert und rückständig dargestellt werden. Kategorien, die schon in Kolonialzeiten genutzt wurden, um Personen zu entmenschlichen.

Der Rechtsterrorist Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen tötete, begründete seine Tat unter anderem mit einer „Islamisierung“, vor der er Europa retten wolle. Der Attentäter von Christchurch veröffentlichte 2019 ein Manifest mit dem Titel „The Great Replacement“ – „Der Große Austausch“, bevor er 51 Menschen tötete.

Update, 11. November 2025: Wir haben die Bewertung von „Falsch“ auf „Größtenteils falsch“ geändert und den Bewertungstext entsprechend angepasst, um zu verdeutlichen, dass es keine verfügbaren Daten zur Religionszugehörigkeit von Flüchtlingen weltweit gibt.

Redigatur: Paulina Thom, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Refugee Data Finder, UNHCR, November 2025: Link (Englisch)
  • „Genfer Flüchtlingskonvention“, UNO Flüchtlingshilfe: Link (archiviert)
  • Verschwörungstheorie „Islamisierung“, Bundeszentrale für Politische Bildung, 6. Juni 2018: Link (archiviert)
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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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