Donald Trump reckt die rechte Faust in die Luft, sein Ohr ist blutverschmiert, über ihm die US-Flagge, um ihn herum Secret-Service-Mitarbeiter. Es ist ein Bild, das um die Welt ging. Am 13. Juli 2024 kam es zu einem Attentat auf den Repubulikaner bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania, Schüsse fielen, ein Zuschauer wurde getötet. Es folgten diverse Diskussionen: Ist Trump jetzt der Wahlsieg sicher? Hat der Secret Service versagt? In manchen Kreisen in Deutschland gab es im Netz aber noch eine ganz andere Debatte:
„Presse verharmlost Anschlag auf Präsident Trump.“
„Unglaublich, wie die Öffentlich-Rechtlichen einen versuchten Mordanschlag auf den ehemaligen Präsidenten Trump herunterspielen! ‚Zwischenfall‘ nennen sie das!“
„Unfassbar, die Tagesschau bezeichnet einen Attentatsversuch auf Ex-Präsident Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung als Zwischenfall! #Lügenpresse“
„Ein Mordanschlag wird zum ‚Zwischenfall‘ heruntergelogen: Wie die Systemmedien das Attentat auf Trump zunächst verharmlosten.“
Von AfD-Politikern, aber auch bei Julian Reichelts rechtspopulistischem Portal Nius, von Boris Reitschuster oder dem rechten Blog Tichys Einblick sowie in „patriotischen“ Facebook-Gruppen und auf Youtube heißt es, deutsche Medien, hätten den Anschlagsversuch auf Trump verharmlost, ihn heruntergespielt.
Unsere Rekonstruktion der zeitlichen Abläufe und Medienberichterstattung:
Die Schüsse fielen auf der Wahlveranstaltung am 13. Juli 2024 gegen 18:15 Uhr Ortszeit (EST/EDT, Eastern Time). In Deutschland war es zu diesem Zeitpunkt 00:15 Uhr am 14. Juli 2024 (CET/MET, Central European Time). Vielfach verbreitet wird im Netz ein Ausschnitt der Tagesschau. Die Nachrichtensprecherin sagt: „In den USA hat es bei einer Wahlkampfveranstaltung von Ex-US-Präsident Trump in Pennsylvania einen Zwischenfall gegeben. Es ist die Rede von Schüssen gewesen, die gefallen sein sollen. […] Das Material zeigt Blut an seinem Ohr und Scharfschützen auf einem Dach in der Nähe der Bühne, auf der Trump gestanden hatte.“
Was steckt dahinter? Wir rekonstruieren die zeitlichen Abläufe, schauen uns an, wie deutsche Medien berichtet haben und lassen Medien-Experten die Berichterstattung einordnen.
Von wann stammt also der verbreitete Bericht und was war zu diesem Zeitpunkt bekannt?
Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck erklärt eine Sprecherin des NDR, der für die Tagesschau redaktionell verantwortlich ist, warum das Attentat auf Trump in der Tagesschau-Ausgabe um 2 Uhr am Sonntag als Zwischenfall bezeichnet wurde. „Zu diesem Zeitpunkt lagen die Ereignisse in Pennsylvania knapp zwei Stunden zurück. Wie die Lage zu bewerten ist, war noch unklar.“ Auch Nachrichtenagenturen wie die AFP (um 00:32 Uhr, 1:00 Uhr und 1:26 Uhr), Reuters (00:47 Uhr) oder die DPA (1:07 Uhr) hätten zu dieser Zeit noch von einem Zwischenfall berichtet. Die DPA habe demnach sogar einen Sprecher von Trump mit den Worten zitiert: Ihm gehe es nach Vorfall auf der Bühne „gut“, so die NDR-Sprecherin.
Diese Meldung von 1:07 Uhr findet sich noch auf Nachrichtenseiten, zum Beispiel der Süddeutschen Zeitung, die automatisiert Meldungen von der DPA übernimmt. Dort verweist die Agentur auf Trumps Kommunikationsdirektor Steven Cheung und wählt zwei Formulierungen: Einmal „Vorfall“ in der Überschrift, einmal „Attacke“ im Fließtext:
Im Original-Statement des Trump-Sprechers wird das Ereignis nicht weiter kategorisiert, die Rede ist von einer „Tat“. Übersetzt heißt es in der Mitteilung wörtlich: „Präsident Trump dankt den Strafverfolgungsbehörden und den Ersthelfern für ihr schnelles Handeln bei dieser abscheulichen Tat. Es geht ihm gut und er wird in einer lokalen medizinischen Einrichtung untersucht. Weitere Details werden folgen.“
Secret Service twitterte 30 Minuten nach den Schüssen über „Vorfall“
Anthony Guglielmi, Chef der Kommunikationsabteilung des Secret Service (US-amerikanische Strafverfolgungsbehörde, die unter anderem für den Personenschutz von Präsidenten und Kandidaten für das Amt zuständig ist) reagierte zunächst um 00:42 Uhr deutscher Zeit auf X mit einem Statement – und bezeichnete die Ereignisse ebenfalls als „incident“, also einen „Vorfall“:
In einem weiteren Beitrag auf X von Guglielmi um 2:49 Uhr deutscher Zeit nutzte er dasselbe Wort.
Wie ging es danach bei der Tagesschau weiter? „In den folgenden Sendungen wurden die Angaben immer konkreter, da mehr gesicherte Informationen vorlagen. So hieß es zum Beispiel in der Tagesschau-Ausgabe um 4:40 Uhr, dass die Behörden Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen hätten. In der 8-Uhr-Ausgabe wurde in der Moderation gesagt, dass das FBI von einem Attentat ausgeht“, teilt die NDR-Sprecherin mit und betont, die Redaktion greife in ihrer Berichterstattung auf überprüfbare Fakten zurück und mache kenntlich, wenn die Quellenlage unzureichend sei. Tagesschau-Berichte vom 14. Juli belegen, dass der Sender in der Folge von einem Attentat sprach.
Das FBI sprach am Abend von einem „Vorfall“, erst am Folgetag von einem versuchten „Attentat“
- Um 22 Uhr Ortszeit am 13. Juli (EST, 4 Uhr Ortszeit am 14. Juli in Deutschland) teilte die Sicherheitsbehörde mit, man übernehme die Untersuchungen für den „Vorfall“ – von einem „Attentat“ war zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede.
- 24 Stunden später, am 14. Juli um 22 Uhr, teilte das FBI mit, dass die Behörde die Schießerei als „Attentat und möglichen Inlandsterrorismus“ untersuche.
- Auch ein Blick auf X zeigt: Um 4:23 Uhr am 14. Juli Ortszeit Deutschland sprach das FBI noch von einem „Vorfall“, erst im nächsten Beitrag auf um 15 Uhr nachmittags deutscher Zeit ist die Rede von einem „Attentatsversuch“.
Anderen Nachrichtenmedien wird Ähnliches wie der Tagesschau vorgeworfen, wie zum Beispiel in diesem Facebook-Beitrag:
Wie aus den Screenshots der Artikel deutlich wird, handelte es sich um Eil- und Erstmeldungen von BR24, Süddeutscher Zeitung und Zeit Online kurz nach dem Vorfall, als sowohl der Secret Service als auch das FBI noch nicht von einem Attentat sprachen. Wir haben in allen Redaktionen nachgefragt, wie sie in solchen Situationen vorgehen.
Der BR erklärt auf Nachfrage, direkt nach dem Anschlag sei die Faktenlage in den USA „noch nicht vollständig verifizierbar“ gewesen. Noch in der Nacht habe BR24 seine Wortwahl zunächst geändert in „ist auf Donald Trump geschossen worden“, später zu „Anschlag“. Eine Suche nach Artikeln vom 14. Juli auf der Webseite des BR bestätigt das.
Ein Sprecher der Süddeutschen Zeitung wehrt sich gegen den Vorwurf, die Zeitung habe den Anschlag verharmlost. Er entbehre jeder Grundlage. „Die Süddeutsche Zeitung hat zu jedem Zeitpunkt den aktuellen Wissensstand über den Anschlag korrekt wiedergegeben.“ Auch er verweist auf Meldungen der Nachrichtenagenturen von DPA und Reuters, sowie auf eine Meldung von CNN kurze Zeit nach dem Attentatsversuch. Die Bezeichnung als „Zwischenfall“ durch die Süddeutsche Zeitung um 1:02 Uhr sei demnach korrekt gewesen. Erst um 2:09 Uhr habe Reuters in Berufung auf die Nachrichtenagentur AP gemeldet: „Der Nachrichtenagentur AP zufolge wird der Vorfall als versuchtes Attentat auf den Ex-Präsidenten eingestuft. Ein Reporter der Agentur gibt entsprechende Ermittlungen auf dem Kurznachrichtendienst X bekannt.“ Ein Blick auf Artikel der Zeitung vom 14. Juli zeigt, dass das Attentat in der Folge auch als solches bezeichnet wurde.
Eine Sprecherin des Zeit-Verlags teilt uns mit, man habe es in der Redaktion zum Zeitpunkt der Eilmeldung nach für „eine möglicherweise vorschnelle Bewertung“ gehalten, von einem Attentat zu schreiben. Das setzte die Kenntnis voraus, dass jemand bewusst auf Trump schoss. „Dieser Fakt wurde erst im Laufe der Nacht nach und nach bekannt“, so die Sprecherin. Die Berichterstattung sei später dementsprechend angepasst worden. Das belegt auch eine Suche nach Zeit-Artikeln vom 14. Juli 2024.
Als Belege dafür, dass Medien das Attentat verharmlost hätten, dienten im Netz also Überschriften von Artikeln, die zu Zeitpunkten veröffentlicht wurden, als Details noch unklar waren.
Unsere Analyse zeigt: Weder das FBI, noch der Secret Service oder Trumps eigener Sprecher nutzten in den ersten Stunden nach dem Attentat auf Trump das Wort „Attentat“, als die Faktenlage noch nicht ausreichend klar war. Sie sprachen zunächst von einem Vorfall oder einer Tat. Deutsche Medien berichteten zunächst zurückhaltend. Sie ordneten die Geschehnisse dann als Attentat ein, als dazu gesicherte Fakten von vertrauenswürdigen Quellen vorlagen. Am Morgen nach dem Attentat berichteten zum Beispiel die Tagesschau, BR24, die Süddeutsche Zeitung und die Zeit über die Ereignisse mit dem Wort „Attentat“.
Wie ordnen Experten das Vorgehen in der Berichterstattung ein?
Faktenlage bei Eilmeldungen oft zunächst unklar
Christian Fuchs, Professor für Mediensysteme und Medienorganisation an der Universität Paderborn, sagt: „Die Faktenlage ist bei Eilmeldungen zunächst oft nicht klar. Seriöse Medien berichten daher zunächst oft vorsichtig, um keine Falschmeldungen zu verbreiten. Dies ist Teil guter journalistischer Arbeit.“ Er bewertet die Vorgangsweise in der Berichterstattung, sich an offiziellen Angaben und an sich mit der Zeit verdichtenden Informationen zu orientieren, als „professionell und journalistisch korrekt“. In Hinblick auf die Tagesschau-Berichterstattung urteilt Fuchs, die Journalisten seien „streng faktengestützt, ausgewogen und quellenbasiert“ vorgegangen.
Es sei grundsätzlich verantwortungsvoll und professionell, wenn Medien in einer so heiklen Situation in der ersten Zeit keine Gerüchte oder Spekulationen streuten, sagt auch Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig. Eine abstrakte Formulierung wie „Vorfall“ sei zu Beginn sicher passend. Dies sollte aber aktualisiert und präzisiert werden, sobald weitere Informationen vorliegen. „In gewisser Hinsicht ist es auch eine Herausforderung des Online-Journalismus, dass in solchen Situationen schnell eine erste Meldung veröffentlicht wird, die dann möglicherweise nicht ausreichend zügig aktualisiert oder ergänzt wird“, sagt Hoffmann.
Generell gebe es Hinweise, dass die mediale Berichterstattung über Donald Trump in Deutschland eher negativ behaftet sei, sagt Hoffmann. „Journalisten können nicht über jedes Ereignis in neutralem Ton berichten – man denke etwa an Naturkatastrophen.“ Wenn zum Beispiel Politikern Dinge missglücken, sie viel Widerstand erfahren oder politische Schlappen erleiden, sei auch eine ausgewogene, nach Objektivität strebende Berichterstattung natürlicherweise negativ gefärbt. „Nicht jede überwiegend negativ getönte Berichterstattung ist also verzerrt oder qualitativ fragwürdig“, so Hoffmann.
Zudem hätten konservative oder rechts stehende Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aber auch in den USA ein geringeres Vertrauen in die etablierten Medien als progressive oder linke, sagt Hoffmann. „Es ist daher nicht überraschend, wenn nun auf der politischen Rechten der Eindruck vorherrscht, die Berichterstattung über den Anschlag auf Trump sei nicht ausgewogen oder wäre anders ausgefallen, wenn das Opfer Biden oder Harris gewesen wären“. Aber im Hinblick auf die Berichterstattung über das Attentat auf Trump belegen lasse sich das schon mangels eines geeigneten Maßstabs oder Vergleichs nicht. Studien zur Berichterstattung über den Vorfall gebe es nicht.
Vorwurf, Medien belügten systematisch die Bevölkerung, ist zentrales Element von Verschwörungserzählungen
Die Taktik hinter der Verbreitung solcher Behauptungen ist für Josef Holnburger, Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) eindeutig. Beiträge mit den genannten Vorwürfen an verschiedene Medien habe es in den Tagen nach dem versuchten Attentat auf Trump viele gegeben – auch mit hoher Reichweite, sagt Holnburger: „Sie zitieren dabei Überschriften von Veröffentlichungen, an denen Details noch unklar war.“
Wieso Medien sich in so einer Zeit zurückhalten müssten, sei vor allem in der parallel dazu laufenden Berichterstattung der verschwörungsideologischen Szene zu sehen. „Hier wurden Bilder von Personen geteilt, welche nicht der Attentäter waren. Die Tat wurde zu einer politischen Tat erklärt, obwohl eben das zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war und nun auch anscheinend abgelehnt werden muss.“ Meldungen von seriösen Medien hätten in der Nacht abgebildet, was gesichert bekannt gewesen sei: Ein Zwischenfall auf einer Wahlkampfveranstaltung Trumps. Gerade in Zeiten eines „Informationsvakuums“ verbreite sich sehr schnell Desinformation, sagt Holnburger: „Exklusives Wissen und sensationelle Meldungen verbreiten sich – auch ohne Koordinierung – schneller als eine abwartende neutrale Meldung.“ Der Vorwurf hingegen, „dass ‚die Medien‘ systematisch die Bevölkerung belügen und manipulieren würden“, sei ein „zentrales Element von Verschwörungserzählungen“.
Redigatur: Viktor Marinov, Sophie Timmermann
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