Bewertung
Nein. Es gibt bis heute keine Belege dafür, dass Winston Churchill diese Worte geäußert oder niedergeschrieben hat.
Fakten
Auf Sharepics und in Posts werden Churchill folgende Sätze zugeschrieben: «Das unverzeihliche Verbrechen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg war der Versuch, seine Wirtschaftskraft aus dem Welthandelssystem herauszulösen und ein eigenes Austauschsystem zu schaffen, bei dem die Weltfinanz nicht mitverdienen konnte.»
Zum Teil werden Churchills Memoiren als Quelle für das vermeintliche Zitat genannt. Konkret beziehen sich Nutzer dabei auf sein mehrbändiges Werk «The Second World War» (Der Zweite Weltkrieg). Eine Online-Suche nach dem Begriff «unverzeihliches Verbrechen» (Englisch: unforgivable crime) in den einzelnen Bänden zeigt jedoch: Diese Formulierung taucht nirgendwo auf. Auf dpa-Anfrage für einen früheren Faktencheck sagte der Churchill-Experte Richard Langworth, dass die Zeilen auch in Churchills restlichen Werken nicht zu finden seien.
In anderen Online-Posts wird behauptet, die Sätze stammten aus einem Vorwort zur Neuauflage des Buches «Propaganda in the Next War» von Sidney Rogerson aus dem Jahr 1938. Diese Ausgabe soll 2001 erschienen sein. Sie lässt sich jedoch im großen Online-Katalog der Bibliotheken WorldCat nicht finden. Dieser Katalog gilt als umfassendste Bibliotheksdatenbank weltweit.
Es gibt einen Online-Text, der behauptet, das erwähnte Vorwort zu sein. Laut Quelltext ist dieser Beitrag aber erst im März 2002 auf der Webseite veröffentlicht worden. Weiterhin fehlt eine Quellenangabe für das angebliche Churchill-Zitat. Dort steht lediglich, er habe die Worte gegenüber Lord Robert Boothby, einem konservativen Politiker, geäußert.
Eine genauere Untersuchung der Werke von Boothby bringt auch keine Ergebnisse: Der Ausdruck «unforgivable crime» findet sich weder in seinem Buch «Recollections of a Rebel» noch in «My Yesterday, Your Tomorrow» oder in «I Fight to Live».
Auffällig in dem Zitat ist auch der Begriff «Weltfinanz», der an das Buch mit dem Titel «Jüdische Weltfinanz?» des Journalisten Richard Lewinsohn aus dem Jahr 1925 erinnert. Mit diesem Begriff ist eine Verschwörungstheorie rund um eine angebliche globale jüdische Elite verbunden, die die Finanzströme der Welt kontrolliere. Auch Adolf Hitler nutzte den Begriff in seiner Propagandaschrift «Mein Kampf» in Bezug auf dieses Narrativ.
Stefanie Schüler-Springorum ist Professorin an der Technischen Universität Berlin und leitet seit 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur ordnet sie den Begriff so ein: «“Weltfinanz“ würde ich heute, je nach Kontext, durchaus als antisemitisches Codewort einschätzen – wenn es also als unbelegtes Zitat heute auf deutsch so im Netz kursiert, ist es vermutlich in antisemitischer Absicht.»
(Stand: 29.1.2025)