Google-Mitbegründer Sergey Brin nahm 2017 am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) teil und sprach mit WEF-Gründer Klaus Schwab über Unternehmertum, neue Technologien und Künstliche Intelligenz (KI). Nun wird in sozialen Medien ein Ausschnitt dieses Gesprächs mit der Falschbehauptung geteilt, Klaus Schwab erkläre darin Wahlen und Wähler für überflüssig und dass KI sie bald ersetze. Der Mitschnitt des gesamten Gesprächs zeigt jedoch, dass Schwab darüber in einem hypothetischen Kontext und als eine „Befürchtung, von der er gehört habe“ spricht.
„Klaus Schwabs alarmierende Vision: KI wird Wähler ersetzen und Wahlen obsolet machen“, heißt es in einem Beitrag vom 19. Januar 2024 auf Facebook, der einen kurzen Clip von WEF-Gründer Klaus Schwab teilt. Das Video wurde in zahlreichen Posts während des 54. WEF-Jahrestreffens in Davos in der Schweiz in sozialen Medien verbreitet.
Das Video wurde auch auf Telegram und X vielfach geteilt sowie in anderen Sprachen, darunter Englisch, Tschechisch oder Slowakisch. Einige der Beiträge enthalten neben dem Clip einen Artikel des Blogs „tkp“ vom 17. Januar 2024, in dem ebenfalls behauptet wird, Schwab habe auf dem WEF-Gipfel 2024 Wahlen für überflüssig erklärt. AFP überprüfte in der Vergangenheit bereits Falschinformationen, die von dem österreichischen Blog verbreitet wurden.
Im Video ist Klaus Schwab zusammen mit Google-Mitbegründer Sergey Brin auf einem Podium zu sehen, hinter ihnen ist der Schriftzug „World Economic Forum“ zu erkennen. Schwab sagt in dem Clip auf Englisch, Künstliche Intelligenz könnte als nächsten Schritt Wahlen vorhersagen, „was bedeutet, dass man nicht einmal mehr Wahlen abhalten muss“.
Das Video ist allerdings sieben Jahre alt und stammt somit nicht vom WEF-Jahrestreffen in 2024. Die damit verbreiteten Falschbehauptungen wurden im August 2023 von Faktencheck-Organisationen wie „CheckYourFact„, „Lead Stories“ oder auch „Ellinika Hoeaxes“ widerlegt.
Klaus Schwab und das WEF sind häufig Ziel von Desinformation. AFP hat Falschbehauptungen über die Organisation und ihren Gründer bereits in der Vergangenheit widerlegt.
Schwab stellte eine hypothetische Frage
1998 gründete Sergey Brin zusammen mit Larry Page, seinem Geschäftspartner und ehemaligen Kommilitonen an der Stanford University, das Unternehmen Google. Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, ist Stand Ende Januar 2024 das weltweit viertgrößte Unternehmen nach Marktkapitalisierung.
Das Gespräch zwischen Brin und Schwab, aus dem der Clip stammt, fand am 19. Januar 2017 beim 47. WEF-Jahrestreffen in Davos statt. In der Tagesordnung wurde es als „ein Gespräch mit Google-Gründer Sergey Brin über Führung, Unternehmertum und die vierte industrielle Revolution“ beschrieben. AFP konnte keine Hinweise auf weitere öffentliche Treffen von Brin und Schwab nach dem 19. Januar 2017 finden. Eine Websuche zeigte nur Ergebnisse zum Gespräch auf dem damaligen Gipfel, das in voller Länge auf dem offiziellen Youtube-Kanal des WEF veröffentlicht ist (hier archiviert).
Darin ist zu sehen, dass Schwab im Gespräch die Rolle des Moderators innehatte und Brin Fragen stellte. Seine erste Frage betraf die nächsten Grenzen der vierten industriellen Revolution – ein Thema, über das Schwab 2016 zudem ein Buch geschrieben hat. Brin sprach daraufhin über Innovationen bei Google und die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die seiner Meinung nach „die Fortsetzung der Automatisierung ist, die wir in den letzten zweihundert Jahren erlebt haben“. Er erwähnte auch deren Auswirkung auf die Biologie, das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt.
Der aus dem Kontext gerissene Teil des Videos beginnt bei Minute 9:56. Schwab beginnt im Originalvideo wie folgt: „Wir wissen noch nicht, wie die Technologie aussehen wird. Aber eine Befürchtung, von der ich gehört habe, ist, dass die Technologie jetzt – und digitale Technologien – hauptsächlich eine analytische Macht haben, jetzt gehen wir in eine prädiktive Macht.“ Schwab erklärt somit, dies sei nur eine „Befürchtung“ und nichts, wofür er einstehen würde.
„Wir haben die ersten Beispiele gesehen und Ihr Unternehmen hat sich sehr stark daran beteiligt“, sagt er zu Brin. „Aber der nächste Schritt könnte darin bestehen, in den präskriptiven Modus überzugehen, was bedeutet, dass man keine Wahlen mehr durchführen muss, weil man sie bereits vorhersagen und danach sagen kann: ‚Wozu brauchen wir die Wahlen?‘ – weil wir wissen, wie das Ergebnis aussehen wird. Können Sie sich eine solche Welt vorstellen?“, fragt Schwab anschließend.
Der Vergleich des geteilten Clips mit dem Originalvideo zeigt, dass der Anfang und das Ende von Schwabs hypothetischer Frage an Brin herausgeschnitten wurden. Sowohl die Äußerung „Aber eine Befürchtung, von der ich gehört habe“ zu Beginn als auch die Frage „Können Sie sich eine solche Welt vorstellen?“ am Ende sind nicht im Clip zu hören.
Brin geht in seiner Antwort auf allgemeine Fragen des Zugangs der Menschheit zu einer solchen Technologie ein. Er räumt ein, dass die Zukunft ungewiss sei und dass sich unsere Werte, Wünsche und Lebensgewohnheiten im Laufe der Zeit stark verändern können, sodass es für uns schwierig sei, sie heute zu verstehen. „Man könnte dann weiter fragen: ‚Nun, warum brauchen wir, Sie wissen schon, gewählte Repräsentanten?‘ – wenn man genauso gut alle Entscheidungen treffen könnte? Ich denke, das ist die eine Sache. Sie wagen sich an tiefgreifende Fragen, wie ich finde. Wir haben heute eine Reihe von Werten und Wünschen, die wahrscheinlich ganz anders sind als vor der industriellen Revolution und vor der Agrarrevolution“, erklärt Brin und fügt hinzu: „Und es könnte sein, dass die Art und Weise, wie wir es in hundert Jahren betrachten, so anders ist als heute, dass es für uns fast unerkennbar ist.“
Einer Websuche zufolge hat Klaus Schwab auch nach dem Gespräch mit Brin den Ersatz von Wahlen durch Künstliche Intelligenz öffentlich nicht befürwortet.
Fazit: Klaus Schwab hat nicht gesagt, Wahlen sollten durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Eine Aussage auf dem WEF-Jahrestreffen 2017 wird verkürzt in sozialen Medien geteilt. Sie ist Teil einer hypothetischen Frage an Google-Mitgründer Sergey Brin während eines gemeinsamen Gesprächs in Davos.