Kriminelle, Corona, Ukraine – was unsere Faktenchecker bewegt

„Corona ist nicht gefährlicher als die Grippe“, „Masken sind gesundheitsschädlich“ und „eigentlich ist es die Impfung gegen das Virus, die wirklich krank macht“. In den sozialen Medien finden sich seit der Bestätigung, dass in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan ein bisher unbekannter Krankheitserreger aufgetreten sei, allerlei Falschinformationen über so ziemlich jeden Aspekt der Covid-19-Pandemie.

Diese Fülle an Behauptungen hatte auch einen großen Einfluss auf die Arbeit der Faktencheckteams der AFP, APA, dpa und von CORRECTIV. Das zeigt eine erste Auswertung der Themen, die in den vergangenen Jahren von den GADMO-Faktencheck-Teams behandelt wurden. Um die rund 5000 Texte, die bis Januar 2023 erstellt wurden, nach (Über-)Themen ordnen zu können, hat das GADMO-Forschungsteam der TU Dortmund das statistische Topic-Modelling-Verfahren LDA genutzt.

Dabei werden – vereinfacht gesagt – Wörter, die besonders häufig zusammen auftreten, automatisch einem Topic (Thema) zugeteilt. Die Texte bestehen in diesem Modell dann aus einem oder mehreren Topics, je nachdem, welchem Topic die Wörter im Text zugeordnet sind. Auf die Zusammenstellung der Topics selbst haben die Forschenden dabei keinen Einfluss, sie geben lediglich an, nach wie vielen Topics der Algorithmus suchen soll. In einem nächsten Schritt hat das Team die Topics anhand der Wörter und Texte, die für das Topic besonders spezifisch sind, benannt. Dadurch lässt sich aufzeigen, welche Themen zu welchem Zeitpunkt besonders viele Faktenchecks produziert haben (siehe Abbildung).

Weniger Faktenchecks zu den Themen Kriminalität und Geld & Einkommen

Auffällig ist, dass die Faktencheck-Teams mit Aufkommen der Corona-Pandemie deutlich weniger Texte zu den Themen Kriminalität und Geld & Einkommen geschrieben haben. Das ist interessant, weil die Faktenchecks in beiden Themen häufig Behauptungen prüfen, bei denen Personen mit ausländischer Nationalität, Menschen mit Migrationshintergrund oder Geflüchtete vorkommen und in negativen Zusammenhängen dargestellt werden. Sie werden dann beispielsweise als Täter:innen in realen oder fiktiven Verbrechen genannt oder es wird behauptet, Bewohner:innen von Asylbewerberheimen bekämen deutlich mehr Leistung als Hartz-IV-Empfänger:innen.

Ein Chart, der zeigt, wie sich die Themensetzung in den Faktenchecks der GADMO-Faktenchecker im Zeitverlauf verändert hat.
Wie häufig kamen bestimmte Themen in den Faktenchecks der GADMO-Partner vor? Die Grafik zeigt jeweils ihren Anteil seit 2018. Deutlich zu erkennen: Claims zu Corona (hellbraun) beschäftigen die Teams ab Anfang 2020 stark, seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine jedoch schlagartig weniger. Quelle: TU Dortmund

Ab dem zweiten Quartal 2020 fällt der Anteil dieser beiden Topics deutlich zugunsten der drei Covid-19-Topics Corona, Impfung und Gesundheit & Medizin. Insbesondere das letztgenannte Topic, in dem sich Faktenchecks zum Tragen von Masken oder alternativen Behandlungsmethoden bei Corona-Erkrankungen befinden, hat bereits vor Pandemiebeginn in mehreren Quartalen einen sichtbaren Anteil. Vor der Corona-Pandemie finden sich in diesem Topic Texte, die sich beispielsweise mit alternativen Krebsbehandlungen beschäftigen. Dass Topics über den gesamten Beobachtungszeitraum einen, wenn auch geringen, Anteil aufweisen, liegt in der Natur des Verfahrens LDA begründet. So sind die Begriffe Virus, Krankheit und infiziert dem Topic Corona zugeordnet, wurden aber auch schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie benutzt, was die geringen, aber sichtbaren Anteile vor 2020 begründet.

Das gleiche Phänomen zeigt sich auch beim Topic Russisch-Ukrainischer Krieg, das nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einen Teil der Faktenchecks zu Corona-Themen verdrängt. Da bereits zuvor über die Lage im Donbass berichtet wurde und zudem Wörter wie Russland oder Putin diesem Topic zugeordnet sind, finden sich auch vor 2022 schon Ausschläge des Topics.

Mögliche Gründe für Änderungen der Topic-Anteile

Neben den bereits erwähnten Topics, deren Anteile stark an bestimmten Ereignissen hängen, konnte das Modell auch Topics identifizieren, die einen gleichmäßigeren Anteil über den gesamten Zeitraum haben: Gesetze & Rechtslage, Datenklau & gefälschte Webseiten, Klimawandel & Energieversorgung, Zitate, Bilder & Videos, Zahlen & Daten. Während die ersten drei Topics Behauptungen begutachten, die einen gemeinsamen thematischen Schwerpunkt haben, haben sich die letzten drei Topics gebildet, weil die Art der Falschinformation ähnlich ist. Denn wenn ein Faktencheck ein Zitat überprüft, das durch die sozialen Netzwerke geistert, werden in dem Text sehr wahrscheinlich Begriffe wie gesagt, Zitat oder Rede vorkommen. Ähnliche Begriffshäufungen gibt es auch, wenn gefälschte Bilder und Videos begutachtet werden oder die Faktenchecks überprüfen, ob Zahlen so interpretiert werden können, wie es in einem Facebook-Post geschieht.

Der Blick auf die Themen der Faktenchecks bildet dabei nur den ersten Schritt in der Analyse. Zum Beispiel ist bisher unklar, warum die beschriebenen Änderungen der Topic-Anteile geschehen. Wurden mit Beginn der Pandemie weniger Behauptungen mit rassistischem oder fremdenfeindlichem Unterton verbreitet und sind Falschmeldungen zu Corona nach dem Überfall auf die Ukraine kein so großes Thema mehr? Oder hat sich lediglich der Fokus der Faktenchecker verschoben? Diese und andere Fragen will das Forschungsteam in den kommenden Monaten beantworten.

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