In sozialen Medien verbreiten sich zahlreiche falsche Gesundheitsinformationen zu Impfstoffen. Zuletzt kursierte die Falschbehauptung, die Impfallianz Gavi habe bei der UNO-Generalversammlung die Verabreichung von Vakzinen über die Luft gefordert. So könnten Menschen unbemerkt und ohne Zustimmung geimpft werden. Laut Expertinnen und Experten ist dies jedoch nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht möglich. Menschen können weder durch die Luft noch auf andere Art korrekt geimpft werden, ohne dies zu bemerken. Gavi erklärte zudem gegenüber AFP, derartiges sei unerwünscht und wurde von der Impfallianz auch nie gefordert.
„Die Impfungen sollen künftig über die Luft verabreicht werden. Das forderte nun die Impfallianz Gavi am Rande der UNO-Generalversammlung“, heißt es in einem Video, das ein User am 24. Oktober 2023 auf Facebook teilte. Durch diese Methode könnten Menschen „unbemerkt“ und ohne Zustimmung geimpft werden, wird in dem Clip behauptet.
Das rund einminütige Video wurde auf Facebook mehrfach geteilt. Auf Telegram wurde der Clip zehntausendfach angesehen.
Auch ein Video sowie Postings (hier und hier) des österreichischen Online-Senders AUF1 mit denselben Behauptungen werden in sozialen Medien veröffentlicht. AUF1 bezeichnet sich selbst als „ersten Online-TV-Sender, der professionelle, alternative und unabhängige Nachrichten anbietet“. Der Sender trat in der Vergangenheit jedoch mehrfach durch die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungserzählungen in Erscheinung. AFP hat diese etwa hier oder hier überprüft.
Im Zusammenhang mit Impfstoffen kursieren zahlreiche falsche Gesundheitsinformationen in sozialen Medien. Faktenchecks zu diesem Thema sammelt AFP hier. Faktenchecks zum Coronavirus und der -impfung sammelt AFP hier.
Eine Rückwärtssuche lieferte keine näheren, einschlägigen Informationen zur Urheberschaft des aktuell verbreiteten Videos. Darin geteilte Behauptungen zu Impfungen über die Luft sind jedoch falsch. Fachleute erklärten gegenüber AFP, dass Impfungen über Tröpfchen in der Luft in der Form nicht vorstellbar seien.
Keine derartige Forderung durch Impfallianz Gavi
Die Impfallianz Gavi ist eine weltweit tätige Partnerschaft mit Mitgliedern wie der Weltgesundheitsorganisation WHO, der Weltbank, Unicef, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, Gesundheits- und Forschungseinrichtungen sowie Regierungen und Impfstoffherstellern aus Industrie- und Entwicklungsländern. Ihr Ziel besteht darin, in Entwicklungsländern den Zugang zu Impfungen – vor allem für Kinder – gegen vermeidbare lebensbedrohliche Krankheiten zu verbessern.
Als Quelle für die Behauptungen, Gavi hätte die Verabreichungen von Impfungen per Luft gefordert, wird in den Videos auf den Blog „tkp“ verwiesen. Die österreichische Website ist in der Vergangenheit bereits mehrfach mit Falschinformationen aufgefallen, die AFP etwa hier überprüft hat. In einem auch auf Telegram erwähnten „tkp“-Artikel vom 30. September 2023 geht es tatsächlich um Impfungen durch die Luft. Zur Gavi-Forderung heißt es jedoch lediglich: „Die Gavi Impfallianz hat bei einer Tagung am Rande der diesjährigen UNO Generalversammlung vorgeschlagen, dass zur Erreichung von 14 der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) Impfungen sinnvoll sein können.“ Die SDGs sind von den Vereinten Nationen festgelegte politische Ziele, die darauf abzielen, eine nachhaltige Entwicklung auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene weltweit zu sichern. Eine Anfrage an „tkp“ diesbezüglich blieb unbeantwortet.
Die letzte UNO-Generalversammlung fand im September 2023 statt. Dass Mitglieder oder Repräsentanten von Gavi hierbei forderten, dass Impfungen per Luft verabreicht werden sollen, konnte AFP weder in Berichten über noch in Protokollen der einzelnen Sitzungen finden. Gegenüber AFP verneinten das zudem sowohl der Pressesprecher des UN-Generalsekretärs als auch die Presseabteilung der WHO per E-Mail am 31. Oktober 2023. Eine Pressesprecherin von Gavi schrieb AFP zudem am 2. November 2023: „Nein, Gavi hat eine solche Methode nicht gefordert. Selbst wenn eine solche Verabreichungsmethode möglich wäre – was nicht der Fall ist – geben die von Gavi unterstützten Programme Impfstoffe nur an einwilligungsfähige Personen ab, und zwar durch Injektion oder oral.“
Eine Websuche zeigte, dass Kate O’Brien von der WHO und Gavi-Vorstandsmitglied bei einem Pressegespräch zu Ergebnissen der UNO-Generalversammlung am 2. Oktober 2023 lediglich sagte: „Ich denke, eines der Dinge, die man hier wirklich erkennen sollte, ist, dass 14 der 17 SDGs in irgendeiner Weise einen Bezug zu Impfstoffen und Immunisierung haben.“ Gavi schrieb das auch auf ihrer Website.
Menschen „unbemerkt“ über die Luft zu impfen ist nicht möglich
Aus der angeführten Studie der Universität Yale geht jedoch nicht hervor, dass mRNA-Impfstoffe durch Aerosole über die Luft verabreicht werden können. Vielmehr zeigte die Studie, dass Tröpfchen von mRNA-Impfstoffen, die direkt auf die Nasenlöcher von Mäusen aufgetragen wurden, die Lunge erreichen und einen Immunschutz gegen SARS-CoV-2 erzeugen konnten.
Eine der Studienautorinnen, Heewon Suh, erklärte gegenüber AFP am 3. November 2023 per E-Mail: „Unsere grundlagenwissenschaftliche Studie ergab, dass mRNA-Moleküle, die intranasal (über die Nase, Anm. d. Red.) in die Lungen von Versuchstieren verabreicht werden, für eine wirksame Impfung gegen das Coronavirus verwendet werden können.“ Suh betonte, dass sich die durchgeführte Studie nicht auf Menschen bezog. Anders als in sozialen Medien geteilt, so die Expertin, würde ein Verfahren über die Luft beim Menschen nicht funktionieren: „Menschen müssen eine kontrollierte Dosis erhalten, die direkt in die Nase verabreicht wird.“
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) überwacht die Sicherheit von Arzneimitteln und Impfstoffen in Deutschland. Am 2. November 2023 erklärte das PEI gegenüber AFP, dass es sich in der Studie um einen intranasalen Impfstoff handle: „Im vorgestellten Modell wird das Präparat inhaliert – das ist eine konzentrierte und gezielte Form der Verabreichung.“ Das Universitätsklinikum Münster beherbergt ein Institut für Virologie. Eine Pressesprecherin des Klinikums schrieb AFP am 2. November 2023, dass es sich bei der Behauptung, dass sich die Impfung einfach via Luftweg übertragen lasse, um „Fakenews“ handle.
Fachleute widersprechen Behauptungen
Die Direktorin der Sektion für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, Dorothee von Laer, schrieb AFP am 2. November 2023 per E-Mail, dass bereits mehrere Impfstoffe in der Entwicklung seien, die durch Inhalation oder ein Nasenspray verabreicht werden. Als Beispiel nannte die Expertin einen Impfstoff gegen Influenza als Nasenspray, der in den USA seit längerer Zeit zugelassen ist: „Man hofft, mit solchen Impfstoffen eine bessere Immunität auf den Schleimhäuten, wo das Virus eintritt, zu erreichen.“ Aber selbst mit einer solchen hochkonzentrierten Anwendung direkt in die Nase oder Lunge seien die meisten mucosalen Impfstoffe noch nicht so effizient, so von Laer: „Es ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht denkbar, dass man eine ausreichende Konzentration von Impfstoff auf den Nasenschleimhäuten oder in der Lunge erreicht, indem man den Impfstoff als Aerosol in die Luft gibt.“
Das PEI schrieb AFP dazu am 2. November 2023 ebenfalls: „Nein, Impfungen ‚durch die Luft‘ sind unbemerkt und effektiv nicht vorstellbar.“ Weder durch die Luft noch auf andere Art könnten Menschen korrekt geimpft werden, ohne dass diese es bemerken, heißt es. Das PEI verwies auf mögliche Darreichungsformen wie etwa die Schluckimpfung gegen Polio sowie den Grippeimpfstoff für Kinder und Jugendliche, der als nasaler Impfstoff verabreicht wird: „Das ist für die Kinder nicht so unangenehm wie eine Spritze, wird aber definitiv bemerkt.“ Ein Sprühstoß befördert dabei den Impfstoff tief in die Nase, heißt es. Impfstoffe „zum Einatmen“ gibt es laut PEI nicht.
Aktuell wird intensiv an unterschiedlichen Formen von Vakzinen geforscht. In China etwa wurde eine Coronaimpfung zum Inhalieren entwickelt. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Berlin, unter anderem der Charité, testeten bereits erfolgreich einen Nasenimpfstoff gegen Corona, heißt es auf der Website der Universitätsmedizin Berlin. Forschende der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) arbeiten ebenfalls an einem Vakzin, das inhaliert wird, heißt es in einer Pressemitteilung vom Februar 2022.
Einhaltung rechtlicher Bestimmungen bei einer Impfung
Eine Impfung auf diese Art „unbemerkt“ durchzuführen, ist laut Fachleuten jedoch nicht erlaubt. In Deutschland muss laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) sowie dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) zudem eine Einwilligung sowie eine Impfaufklärung stattfinden, wie auch das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) auf seiner Website näher ausführt.
In Österreich ist derartiges ebenfalls im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) bestimmt. Auch im Strafgesetzbuch (StGB) finden sich einschlägige Regelungen diesbezüglich.
Fazit: Online wird fälschlicherweise behauptet, die Impfallianz Gavi habe bei der UNO-Generalversammlung gefordert, Impfstoffe über die Luft zu verabreichen, wodurch Menschen unbemerkt und ohne Zustimmung geimpft werden könnten. Laut Expertinnen und Experten ist das nach dem aktuellen Stand der Forschung jedoch nicht möglich. Gegenüber AFP stellte Gavi zudem klar, dass solche Maßnahmen nicht erwünscht seien und von der Impfallianz niemals gefordert wurden.