Nein, 3,5 Millionen Stimmen aus dem Ausland waren bei der Bundestagswahl nicht "weg" - Featured image

Nein, 3,5 Millionen Stimmen aus dem Ausland waren bei der Bundestagswahl nicht „weg“

Bei der Bundestagswahl 2025 beklagten einige im Ausland lebende Deutsche, dass sie ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig oder gar nicht bekommen hätten. In sozialen Medien wurde daraufhin behauptet, dass 3,5 Millionen Deutsche davon betroffen wären, deshalb seien die Wahlergebnisse insgesamt ungültig. Das ist jedoch falsch. Nur etwa 200.000 Auslandsdeutsche hatten sich zur Wahl registriert. Expertinnen und Experten zufolge sei diese Zahl zu niedrig, um den Ausgang der Wahl insgesamt zu beeinflussen.

Manche bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 registrierte Wahlberechtigte wurden unfreiwillig zu Nichtwählenden. Das lag daran, dass ihre Briefwahlunterlagen nicht oder verspätet ankamen.

Doch in Beiträgen auf Tiktok, Facebook, Telegram oder Instagram war am Wahltag fälschlich die Rede von „3,5 Mio Wählerstimmen“, die „weg“ seien. Ein User stellte die These auf, dass „ein Großteil der Auswanderer AfD Wähler“ sein könnte. Die Gültigkeit der Wahl wurde in Frage gestellt, weil sechs Prozent der Stimmen fehlen würden.

Screenshot der Behauptung auf Tiktok: 26. Februar 2025

Wie viele Deutsche ihre Stimme durch Probleme bei der Lieferung der notwendigen Unterlagen nicht abgeben konnten, lässt sich nicht sagen, da dies von keiner Statistik erhoben wird. Doch das Ausmaß des Problems wurde in sozialen Medien irreführend dargestellt. Medienberichten zufolge gab es tatsächlich Probleme bei der pünktlichen Zustellung der Wahlunterlagen, nicht nur aufgrund der vorgezogenen Fristen und der langen Postlaufzeiten, sondern auch wegen Fehler seitens der Behörden. Daraufhin gab es Rufe nach Reformen.

Wie viele Wählerinnen und Wähler waren tatsächlich betroffen?

Bei der Bundestagswahl 2025 waren 213.699 Deutsche im Ausland im Wählerverzeichnis registriert. Das ist die endgültige Zahl laut dem Presseteam der Bundeswahlleiterin. Am 27. Februar 2025 gingen die finalen Informationen der Gemeindebehörden ein. Die Zahl erhöhte sich nur geringfügig im Vergleich zum Stand der Registrierungen kurz vor dem Wahlsonntag. Das ist immerhin ein Rekord verglichen mit den angemeldeten Wahlberechtigten in den Jahren zuvor. Bei der Bundestagswahl 2013 waren rund 67.000 Wahlberechtigte angemeldet, im Jahr 2021 waren es zirka 129.000.

„Es wird nicht vermerkt, ob der Wahlschein von einem im Ausland lebenden Wahlberechtigten stammt“, erfuhr AFP aus der Pressestelle der Bundeswahlleiterin am 27. Februar 2025. In den zuständigen Gemeinden werden alle eingetroffenen Wahlbriefe aus dem Ausland sowie aus Deutschland zusammen gelagert.

Laut dem deutschen Wahlrecht werden erst am Wahltag alle Wahlbriefe in den Gemeindebehörden geöffnet. Wahlhelferinnen und Wahlhelfer prüfen, ob der Wahlschein gültig ist. Dann werden die verschlossenen Stimmzettelumschläge in eine Wahlurne geworfen. „Nach dem Ende der Wahlzeit werden sie geöffnet, die Stimmzettel entnommen und die Stimmen ausgezählt“, erklärte zudem das Team der Bundeswahlleiterin.

Insgesamt ließen sich laut dem Verein „Deutsche im Ausland“ 3,4 Millionen Deutsche im Ausland nieder. Wie viele von ihnen ihre Stimme abgeben – oder nicht – wird in Deutschland also nicht erhoben. Von mehreren Millionen Betroffenen kann jedoch nicht die Rede sein, da die Anzahl der zur Wahl registrierten Auslandsdeutschen sich nur auf wenige Hunderttausende beläuft, wie die Bundeswahlleiterin bekannt gab.

Viele Betroffene tauschten sich in sozialen Medien über Schwierigkeiten bei der fristgerechten Stimmabgabe für die Bundestagswahl aus, auch im österreichischen Nachbarland. Selbst der deutsche Botschafter in Großbritannien Miguel Berger war davon betroffen. Der in London lebende Diplomat klagte auf X, dass er keine Wahlunterlagen bekommen hätte. Und forderte „dringend“ eine Reform des Wahlrechts: „Fristen wurden zu knapp kalkuliert, die Verfahren sind zu bürokratisch“, schrieb der Diplomat. 

Um an der Wahl teilzunehmen, mussten sich Interessierte bis zum 2. Februar 2025 ins Wählerverzeichnis aufnehmen lassen. Die Bundeswahlordnung sieht nämlich vor, dass das „spätestens“ am 21. Tag vor der Wahl erfolgen darf. Im Regelfall konnten sie den Antrag laut aktuellem Recht per E-Mail stellen. Wahlschein samt Briefwahlunterlagen wurden per Post zugesandt – laut Recherchen von „Tagesschau“ und „Süddeutscher Zeitung“ kamen diese nicht immer auch an. Die ausgefüllten Unterlagen müssen spätestens am Wahltag um 18 Uhr in der zuständigen Gemeindebehörde einlagen.

AFP sprach ebenfalls mit einer Betroffenen, die laut eigenen Angaben seit neun Jahren in Thailand lebt. Dort habe sie „noch nie“ wählen und ihrer „Verantwortung als Bürgerin nachkommen“ können. Eine Stimmabgabe bei der Botschaft kennt das deutsche Wahlrecht nicht. Weil die 59-jährige Selbstständige in zwei Jahren plane, zurück nach Deutschland zu gehen, sei die aktuelle Bundestagswahl besonders relevant für sie.

BSW prüft Wahlanfechtung

Einige Userinnen und User von sozialen Medien sahen die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) von Stimmen bestohlen, obwohl diese bei den endgültigen Ergebnissen letztendlich als zweitstärkste Kraft hervorging. Dagegen scheiterte die linksextreme Partei, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), an der sogenannten Fünfprozenthürde. BSW-Politiker behaupteten, mit den Stimmen der Auslandsdeutschen hätten sie den Einzug in den Bundestag geschafft.

In einem X-Beitrag schrieb BSW-Politiker Fabio De Masi, dass „etwa 6 Prozent der in das Wahlverzeichnis eingetragenen 213 000 Auslandsdeutschen“ eben die Stimmen, die seiner Partei zum Einzug in den Bundestag ausmachen würden. Wagenknecht kündigte an, eine Anfechtung des Ergebnisses zu prüfen. Bis zwei Monate nach der Wahl, also 23. April 2025, hat das BSW für einen Einspruch Zeit.

Parteirechtlerin Sophie Schönberger erklärte AFP am 28. Februar 2025, welche Voraussetzungen für die Beschwerde gelten. Erstens „muss ein Wahlfehler vorliegen, also ein Verstoß gegen einfaches Recht oder Verfassungsrecht“, sagte die Expertin.  Zweitens sei entscheidend, dass „dieser Fehler mandatsrelevant sein muss“, damit es tatsächlich zu einer Neuwahl komme. Das könne man zwar in der Regel nicht „im strengen Sinne“ beweisen, dafür müsse eine „gewisse Plausibilität“ gegeben sein. „Schon über den zweiten Punkt kann man hier trefflich streiten“, wie Schönberger ausführte. Dafür hätten einerseits „eine große Anzahl von Auslandsdeutschen“ nicht wählen können, und diese andererseits dem BSW ihre Stimme „weit überproportional“ geben müssen.

„Vor allem aber dürfte hier schon kein Wahlfehler vorliegen“, resümiert Schönberger. „Auch wenn hier die Wahlbehörden zum Teil tatsächlich zum Teil sehr langsam waren, gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, die ein anderes, effektiveres Vorgehen vorschreiben“. Außerdem habe „Auslandsdeutschen ja theoretisch der Weg“ offengestanden, vor Ort in Deutschland zu wählen. Ein Umstand, den „man natürlich kritisieren“ könne.

Auch Staatsrechtsexperte Ulrich Battis sieht im Gespräch mit AFP am 28. Februar 2025 keinen verfassungsrechtlichen Verstoß: „Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Briefwahl“, sagte Battis. Wenn BSW sich dennoch für einen Einspruch entscheidet, muss es sich an den Bundestag wenden – so wie alle Betroffenen im Ausland. „Die Wahlprüfung ist im Bundestag monopolisiert“, so der Experte weiter. Bisher sei ein Einspruch noch nie stattgegeben worden. Im nächsten Schritt bestehe jedoch die Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.

Immer wieder werde die Briefwahl angefochten, wie Battis anführte. Diese gehe nämlich auf eine jahrzehntealte Lösung für Soldaten und Beamten zurück, damit sie trotz ihrer Auslandsaufenthalte nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.

Die Union gewann die Bundestagswahl, die AfD wurde zweitstärkste Kraft, während die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) abstürzte. Neben BSW verfehlte die Freie Demokratische Partei (FDP) die Fünfprozenthürde.

Sitzverteilung und Fraktionsgrößen im neuen Bundestag laut vorläufigem Ergebnis. – STF / AFP

Das endgültige amtliche Ergebnis der Bundestagswahl 2025 wird voraussichtlich am 14. März 2025 in einer öffentlichen Sitzung im Deutschen Bundestag bekanntgegeben.

Alle Faktenchecks zur Bundestagswahl 2025 finden sich auf der AFP-Website.

Fazit: Online wurde behauptet, dass 3,5 Millionen Wählerinnen und Wähler aus dem Ausland bei der Bundestagswahl nicht wählen konnten. Teilweise erhielten Deutsche, die im Ausland leben, ihre Unterlagen zu spät. Doch nicht alle im Ausland lebenden Deutschen sind wahlberechtigt. Laut der Bundeswahlleiterin registrierten sich nur wenige Hunderttausend für die Wahl. Fachleute halten eine Annullierung der Bundeswahl für unwahrscheinlich.

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Autor(en): Elena CRISAN / AFP Österreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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