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Studie über vermeintliche Gefahren von mRNA-Impfstoffen ist unseriös

Covid-19-Impfstoffe haben während der Pandemie eine Schlüsselrolle beim Schutz von Menschenleben gespielt. Online zirkuliert jedoch eine Studie, in der fälschlicherweise behauptet wird, dass die neuentwickelten Covid-19-Vakzine, oder mRNA-Impfstoffe, „Nanobot“-ähnliche Strukturen im Körper geimpfter Personen erzeugen würden. Die Studie weist allerdings erhebliche methodische Mängel auf und wurde keiner sogenannten Peer-Review unterzogen. Expertinnen und Experten bestätigten gegenüber AFP, dass die Studienergebnisse wissenschaftlichen Qualitätsstandards nicht genügen. 

„Neue Studie zeigt selbstorganisierende Nanobots in den COVID-19 Injektionsmitteln“, heißt es in einem X-Post vom 12. September 2024. Der Beitrag verlinkt eine im Juli 2024 veröffentlichte Studie, in der vier Impfstoffe gegen Covid-19 getestet wurden.

„Führende Forscher in Südkorea und Japan haben Alarmstufe Rot ausgelöst, nachdem ihre bahnbrechende neue Studie ‚wurmartige selbstorganisierende Gebilde‘ entdeckt hat, die ’synthetische‘ Nanostrukturen im Körper von Menschen bilden, die Covid mRNA-‚Impfstoffe‘ erhalten haben“, schreibt eine Facebook-Nutzerin, die die Studie ebenfalls verlinkt. Unter „Nanobots“ werden hypothetische, mikroskopisch kleine autonome Maschinen verstanden, die auf zellulärer Ebene interagieren können.

Auch auf Telegram wurde die Behauptung verbreitet.

X-Screenshot der Behauptung: 24. September 2024

Laut der online kursierenden Behauptung beweise die Studie, die am 18. Juli 2024 in der Zeitschrift „International Journal of Vaccine Theory, Practice, and Research“ (IJVTPR) veröffentlicht wurde, die angeblich toxische Wirkung von Covid-Impfungen. Einige der Beiträge teilen zudem vermeintliche Mikroskopaufnahmen, die die erwähnten „unbekannten Nanostrukturen“ zeigen sollen.

Studie belegt angeblich „schwimmende Gebilde“ in Impfstoffen

In der zitierten Studie wurden insgesamt 54 Proben von mRNA-Impfstoffen zur Prävention von Covid-19 untersucht: 50 davon aus geöffneten, übriggebliebenen Ampullen, die während der Covid-19-Impfkampagne verwendet wurden, und vier neue Ampullen. Die Impfstoffflüssigkeit wurde bei -20 ºC gelagert, anschließend aufgetaut und für Mikroskopuntersuchungen über einen längeren Zeitraum hinweg in ein Nährmedium gegeben. Laut der Studie enthielten alle Restflüssigkeiten „viele nicht identifizierte (…) schwimmende Gebilde“, die je nach Impfstoff (Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Novavax) unterschiedliche Formen zeigten.

Die Mikroskopaufnahmen der Impfstoffe aus den vier neuen Ampullen zeigten laut Studie nach einiger Beobachtungszeit ebenfalls „schwimmende Partikel“, was bei der zur Kontrolle untersuchten Kochsalzlösung nicht der Fall war.

Die Forschenden untersuchten zudem, wie Blut-, Plasma- und Spermaproben von geimpften und nicht-geimpften Personen auf die Impfstoffe aus den vier neuen Ampullen reagierten. Diese Experimente zeigten „schnelle und toxische Effekte“ der Impfstoffe in Blutproben, während „ein fortschreitender Spermientod innerhalb weniger Stunden nach Exposition gegenüber niedrigen Konzentrationen der Impfstoffe“ auftrat.

Der Studie fehlt jedoch eine glaubwürdige wissenschaftliche Grundlage, da sie eine kleine und nicht repräsentative Stichprobengröße aufweist und zudem in einer nicht seriös erscheinenden Zeitschrift veröffentlicht wurde.

Studie genügt nicht wissenschaftlichen Qualitätsstandards

Die Zeitschrift IJVTPR erschien erstmals im Jahr 2020 – also in dem Jahr, in dem die Covid-19-Pandemie begann. Wie aus den Archiven der Website hervorgeht, sind keinerlei Veröffentlichungen aus vorpandemischen Zeiten auffindbar.

An keiner Stelle auf der Website der Zeitschrift wird darauf hingewiesen, dass die Studie einem sogenannten Peer-Review-Verfahren unterzogen wurde, bei dem die wissenschaftliche Qualität von Originalartikeln von anderen Fachleuten auf demselben Gebiet bewertet wird. Es wird lediglich erwähnt, dass sie „in einem Peer-Review-Kontext“ veröffentlicht wurde, ohne näher zu erklären, was darunter zu verstehen war.

Darüber hinaus gibt die Zeitschrift auf ihrer Website weder ihren sogenannten Impact Factor an, noch konnte AFP diesen durch eine erweiterte Websuche mit relevanten Schlüsselwörtern finden. Der Impact Factor gibt an, wie oft ein Zeitschriftenartikel im Durchschnitt in den vergangenen zwei Jahren zitiert wurde und belegt somit dessen wissenschaftliche Seriosität.

AFP schickte den Studienlink an Maria Gazouli, Biologin und Professorin für Nanomedizin im Fachbereich Biologie der Nationalen Kapodistrias-Universität Athen. Gazouli bestätigte am 12. September 2024 per E-Mail, dass es sich dabei „offensichtlich um eine unseriöse Studie in einer Zeitschrift ohne Impact Factor handelt“.

Unwissenschaftliche Methodik

Gazouli erklärte gegenüber AFP, dass „die Anzahl der Proben für statistisch sichere Schlussfolgerungen zu gering ist“. Die Expertin führte aus, dass „die Studie nicht erwähnt, wie die Kontrollgruppe aussah“. Auch das in der Studie beschriebene Verfahren mit Blut, Spermaproben, Blutplasma und Hautextrakten sei laut Expertin nicht eindeutig beschrieben worden, sodass nicht beurteilt werden könne, ob es überhaupt ein wissenschaftlich akzeptiertes Vorgehen gewesen sei oder nicht.

Die Glaubhaftigkeit der Studienergebnisse zweifelte Gazouli aus den genannten Gründen an. Der in der Studie beschriebene Prozess, in dem Impfstoffproben über hunderte von Tagen kultiviert und dabei angeblich „unbekannte Gebilde“ gesichtet wurden, entspreche keinem ihr bekannten wissenschaftlichen Vorgehen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wissenschaftlich möglich ist. Zudem ist die Methodik uneindeutig“, führte Gazouli aus.

Ein Patient erhält am 26. November 2021 im Zentrum von Thessaloniki eine Impfdosis gegen Covid-19 – SAKIS MITROLIDIS / AFP

Die Ärztin Nahid Bhadelia, die als außerordentliche Professorin an der US-amerikanischen Boston University School of Medicine forscht, bezeichnete die Studie in einer E-Mail an AFP vom 18. September 2024 als „Kauderwelsch, das so geschrieben ist, dass es technisch klingt“. „Das vielleicht Beunruhigendste daran ist, dass menschliche Proben verwendet wurden, ohne die Protokolle zum Schutz menschlicher Probanden oder die Stellungnahme des Institutional Review Board zu erwähnen“, erklärte sie. Bei einem Institutional Review Board handelt es sich um einen Ausschuss, der Forschungsprojekte mit menschlichen Probanden überprüft und dabei sicherstellt, dass die Forschung auf ethisch vertretbare Weise durchgeführt wird und die Rechte sowie die Sicherheit der Teilnehmenden gewährleistet sind.

„Impfstoffreste willkürlich mit menschlichen Proben in seltsamen Konzentrationen zu mischen, ist keine Annäherung an die Funktionsweise von Körpern oder Impfstoffen. Der Grund, warum die Fläschchen nach Gebrauch weggeworfen werden, ist, dass sie wahrscheinlich durch die Umgebung kontaminiert wurden – und das ist es, was dann für diese ‚Experimente‘ verwendet wurde“, führte Bhadelia aus. Die Expertin fügte hinzu, dass sie als Ärztin für Infektionskrankheiten bestätigen könne, dass auf der Arbeitsfläche liegengelassene Gegenstände über einen längeren Zeitraum durch Unreinheiten kontaminiert werden könnten.

Studienautoren sind keine Fachleute

Als Autorin und Autor der Studie werden Young Mi Lee, praktizierende Ärztin aus Südkorea, und Daniel Broudy, Linguistik-Professor an der Christlichen Universität von Okinawa, genannt.

Eine Google-Suche mit Stichwörtern wie „Young Mi Lee praktizierende Ärztin“ führte zur Ärztin Young Mi Lee, MD, die auf „mütterlich-fötale Medizin“ spezialisiert ist und im Fachbereich der Gynäkologie des NYU Langone Krankenhauses in New York arbeitet – nicht in Südkorea, wie in der Studie behauptet. Darüber hinaus hat das Fachgebiet der Ärztin nichts mit mRNA-Impfstoffen zu tun. In ihrer Veröffentlichungsliste taucht die genannte Studie zudem nicht auf.

Der andere Autor, Daniel Broudy, ist laut Studie Professor für Angewandte Linguistik an der Okinawa Christian University in Japan. AFP hat sein Profil in Research Gate untersucht, worin seine Spezialisierung auf „Linguistik, Psychologie und Kommunikationstheorie zur Beschreibung der Art und Weise, wie Machtzentren Propagandakampagnen entwerfen und durchführen“ beschrieben ist. Auf Google Scholar (hier archiviert) listete Broudy seine Fachgebiete als „Propagandastudien“, „soziale Semiotik“ und „visuelle Rhetorik“ auf – alles Bereiche, die keinerlei Bezug zu Medizin, Impfstoffen oder verwandten Fachgebieten haben.

Ärztin Bhadelia untersuchte auf AFP-Anfrage ebenfalls die genannten Autoren und bestätigte, dass keiner von ihnen über den für eine solche Studie erforderlichen Hintergrund verfüge.

Wissenschaftlicher Konsens über die Sicherheit der Covid-Impfstoffe 

Expertinnen und Experten haben bereits mehrfach gegenüber AFP bestätigt, dass Covid-19-Impfstoffe Millionen von Menschenleben gerettet haben. Diese Einschätzung teilt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), die die Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen überwacht.

Brian Ward, Professor für experimentelle Medizin an der McGill Universität in Kanada, der die Nebenwirkungen von Impfstoffen untersucht, teilte AFP am 27. Juni 2024 per E-Mail mit, dass die Covid-Impfstoffe aufwendige Zulassungsverfahren durchlaufen hätten und als sicher gelten. Eine kleine Anzahl von Menschen habe nach der Impfung unter Nebenwirkungen gelitten, doch laut Ward stünden viele der Erkrankungen mit einer Infektion in Zusammenhang.

Biologin und Professorin Gazouli erklärte: „Wie alle Impfstoffe und Medikamente können (Covid-19-Impfstoffe) einige Nebenwirkungen haben, die dokumentiert und gemeldet wurden und sehr selten sind.“ Sie fügte hinzu, dass blutbezogene Veränderungen gemeldet und dokumentiert wurden, die aber nicht als toxisch und sicherheitsrelevant angesehen werden. „Aus Sicherheitsgründen werden die Herstellungs- und Nutzungsverfahren aller Impfstoffe detailliert beschrieben und von den Aufsichtsbehörden überprüft, bevor sie zugelassen werden“, erklärte sie.

Gazouli fügte hinzu, dass zahlreiche Studien über die möglichen Auswirkungen von Impfstoffen in renommierten internationalen Fachzeitschriften erschienen sind. Doch Auswirkungen wie in der online zirkulierenden unseriösen Studie seien ihr noch nie untergekommen.

Eine weitere US-amerikanische Studie, die im Januar 2023 in der Fachzeitschrift „Vaccine“ veröffentlicht wurde, ergab, dass bei den Empfängerinnen und Empfängern der drei verwendeten Covid-19-Impfstoffe kein erhöhtes Sterberisiko bestand, im Vergleich zu Personen, die nicht geimpft worden waren.

Andere Behauptungen zu Corona und Impfstoffen hat AFP bereits in der Vergangenheit überprüft.

Fazit: Eine online kursierende Studie, die angeblich „Nanobot“-ähnliche Strukturen im Blut von geimpften Personen nachweist, ist unseriös. Das bestätigten Expertinnen und Experten gegenüber AFP. Nach wie vor herrscht wissenschaftlicher Konsens über die Sicherheit der Covid-Impfstoffe.

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Corona, Gesundheit

Autor(en): Gundula HAAGE / Magdalini GKOGKOU / AFP Griechenland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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