Balkenkreuz auf ukrainischen Panzern? Das ist dazu bekannt

„Wieder fahren deutsche Panzer mit Wehrmachtszeichen gegen Russland. Wie lange noch machen die Deutschen bei diesem Wahnsinn mit?“ Das schreibt Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der für Desinformation bekannten Schweizer Weltwoche, zu einem Video auf Twitter.

In dem Video ist angeblich ein Leopard-2-Panzer zu sehen, auf den ein weißes Balkenkreuz gemalt wurde. Dieses Zeichen verwendete die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, um Panzer und Flugzeuge zu kennzeichnen.

Ursprünglich wurde das Video offenbar von dem ukrainischen Abgeordneten Yury Mysyagin auf Telegram geteilt, der kommentierte es mit den Worten: „Die Arbeit des ukrainischen ‚Leopard 2A6‘ an den Stellungen der russischen Besatzer in der Region Saporischschja.“

Wir haben versucht Mysyagin per Mail und auf Facebook zu kontaktieren. Wir wollten von ihm wissen, ob das Video echt ist und woher es stammt. Weiter haben wir gefragt, warum auf dem Panzer ein Balkenkreuz zu sehen ist und ob er wusste, dass das Symbol von der Wehrmacht genutzt wurde. Unsere Anfragen an Mysyagin und das ukrainische Verteidigungsministerium blieben bis zum Erscheinen dieses Faktenchecks unbeantwortet. Wir konnten das Video deshalb nicht verifizieren.

Ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments verbreitete das Video über den Panzer mit dem Balkenkreuz
Ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments verbreitete das Video über den Panzer mit dem Balkenkreuz (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Balkenkreuz auf Panzerhaubitze zog Beschwerde von Tschechien nach sich 

In der Vergangenheit gab es jedoch Fälle, in denen sich Aufnahmen von ukrainischen Panzern und Haubitzen mit Balkenkreuzen als echt herausstellten.

Eine Suche nach Medienberichten über das aktuelle Video führte uns zu einer Meldung des österreichischen Standard vom 19. Mai 2023. Darin heißt es: „Tschechien kritisiert den Umstand, dass ukrainische Streitkräfte Balkenkreuze auf eine von Tschechien gespendete Panzerhaubitze gemalt haben.“

Als Quelle für seine Meldung gibt der Standard die tschechische Nachrichtenseite Novinky.cz (Deutsch: Nachricht) an. Dort fanden wir zwei Artikel zu dem Thema. Einen vom 15. März mit dem Titel: „Ukrainische Panzer trugen deutsche Kreuze. Kiew gab ‚individuellen Fehler‘ zu“. Darin geht es um Panzer an der Grenze zu Belarus. In Aufnahmen der Nachrichtenagentur Reuters seien auf einem Panzer Balkenkreuze zu sehen. Eine Sprecherin der ukrainischen Botschaft sagte laut der Publikation: „Wir haben Informationen erhalten, dass die Kreuze von einem Soldaten gezeichnet wurden, der dies ohne Zustimmung der Führung getan hat“. Die Kreuze seien entfernt worden.

Aufnahmen eines Reuters-Fotografen von März 2023 zeigen ukrainische Panzer an der Grenze zu Belarus (oben). Eine weitere Aufnahme der ukrainischen Botschaft in Prag soll den gleichen Panzer nach der Entfernung des Balkenkreuzes zeigen
Aufnahmen eines Reuters-Fotografen von März 2023 zeigen ukrainische Panzer an der Grenze zu Belarus (oben). Eine weitere Aufnahme der ukrainischen Botschaft in Prag soll den gleichen Panzer nach der Entfernung des Balkenkreuzes zeigen (Quelle: Novinky.cz, Reuters; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Ein weiterer Artikel von Novinky.cz vom 18. Mai hat den Titel: „Die Tschechische Republik erhob Einspruch gegen die Kreuze auf der in die Ukraine gelieferten Ausrüstung.“ Darin heißt es, auf einer Haubitze, die Tschechien der Ukraine übergab, sei ein Balkenkreuz zu sehen gewesen.

Der stellvertretende Verteidigungsminister Tschechiens, Jan Jireš, habe sich daraufhin an die ukrainische Botschaft gewandt und gesagt, der Ruf der Ukraine werde so unnötig geschädigt. Die Aufnahmen lieferten „den Verschwörern Munition“. Damit bezieht er sich auf die Behauptung Wladimir Putins, die Ukraine werde von einem faschistischen Regime kontrolliert. Auch andere Medien berichteten über diese Fälle.

Aufnahmen der Agentur Reuters dokumentieren das Balkenkreuz auf einer von Tschechien an die Ukraine übergebenen Haubitze
Aufnahmen der Agentur Reuters dokumentieren das Balkenkreuz auf einer von Tschechien an die Ukraine übergebenen Haubitze (Quelle: Novinky.cz, Reuters; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

 

Experte: „Das Balkenkreuz ist klar Wehrmacht-konnotiert“

Wir haben mit Winfried Heinemann über die Bedeutung des Symbols gesprochen. Er forscht unter anderem zur Tradition der Bundeswehr und ist ehemaliger Stabschef des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Er sagte uns, dass das Zeichen bereits vereinzelt im Ersten Weltkrieg verwendet worden sei. Es würde jedoch allgemein mit dem Dritten Reich assoziiert: da sei es auf „allen Panzern und Flugzeugen angebracht“ gewesen.

Flugzeug der Luftwaffe NS-Deutschlands im Jahr 1935
Flugzeug der Luftwaffe NS-Deutschlands im Jahr 1935 (Quelle: arkivi / Picture Alliance)

Ähnlich äußerte sich Michael Achenbach vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Standard. Er erklärte, das Balkenkreuz sei „von der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg zur Kennzeichnung der eigenen Flugzeuge und Panzer eingeführt“ worden und habe dazu gedient, eigene von feindlichen Fahrzeugen unterscheiden zu können. Die Wehrmacht habe das Balkenkreuz während der NS-Zeit in abgewandelter Form weiterverwendet.

Panzer der deutschen Wehrmacht bei einer Übung im Januar 1941
Panzer der deutschen Wehrmacht bei einer Übung im Januar 1941 (Quelle: akg-images / Picture Alliance)

Neben Heinemann und Achenbach haben wir das ZMSBw der Bundeswehr kontaktiert und um eine Einordnung gebeten. Von dort antwortete uns Frank Käser, das Balkenkreuz bei den deutschen Streitkräften des 20. Jahrhunderts sei im Jahr 1918 „als Abzeichen für deutsche Flugzeuge eingeführt“ worden. Als Beleg verwies er auf das folgende Dokument, einen Erlass vom 10. Juni 1918:

Im Juni 1918 führte das deutsche Militär das Balkenkreuz (rechts) zur Kennzeichnung von Flugzeugen ein
Im Juni 1918 führte das deutsche Militär das Balkenkreuz (rechts) zur Kennzeichnung von Flugzeugen ein (Quelle: Bundesarchiv; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Für die deutschen Panzer sei das Balkenkreuz im Ersten Weltkrieg nicht üblich gewesen, die Panzer hätten in der Regel ein Eisernes Kreuz geführt. Im Zweiten Weltkrieg änderte sich das; neben den Panzern der Wehrmacht wurden auch erbeutete Panzer mit dem Balkenkreuz versehen, erklärte uns Kai Uwe Bormann, Leiter des ZMSBw, auf Nachfrage.

Auch alle anderen Gefechtsfahrzeuge der Wehrmacht, „wie die Sturmgeschütze, Selbstfahrlafetten der Artillerie, Panzerjäger und andere führten das Balkenkreuz“, so Bormann. Im Zweiten Weltkrieg sei das Balkenkreuz „das Erkennungszeichen deutscher Gefechtsfahrzeuge“ gewesen.

Verwendung des Balkenkreuzes zeugt laut Experte von „historischer Unwissenheit“

Sowohl Winfried Heinemann als auch Michael Achenbach äußerten sich irritiert darüber, dass ukrainische Soldaten überhaupt auf die Idee kommen ein Balkenkreuz zu verwenden. Heinemann sagte uns, Deutschland habe im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine gegen die Sowjetunion gekämpft, also nicht nur gegen Russen, sondern vor allem gegen Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Verwendung des Balkenkreuzes zeuge daher von „historischer Unwissenheit“.

Michael Achenbach schrieb uns: „Ich finde es durchaus befremdlich, dass ukrainische Truppen im jetzigen Konflikt das Balkenkreuz auf ihr militärisches Gerät anbringen. Dies umso mehr, als während des Zweiten Weltkriegs deutsche Panzerfahrzeuge mit demselben Symbol in der gleichen Region einen mörderischen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion führten. Die Ukrainer tun sich selber keinen Gefallen mit der Verwendung dieses Symbols.“

Dennoch gibt es eine mögliche historische Motivation für die Verwendung des Balkenkreuzes. Im Jahr 1922 riefen die Bolschewiken gleichzeitig mit der Sowjetunion auch die „Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik“ aus. Vorher hatten sie beinahe das vollständige Gebiet der Ukraine erobert. Josef Stalin ließ Ende der 1920er Jahre und Anfang der 1930er Jahre die noch junge ukrainische Elite fast vollständig ermorden. Es folgte eine durch die stalinistische Politik herbeigeführte Hungersnot. Beim „Holodomor“ („Mord durch Hunger“) starben zwischen 1931 und 1933 rund 4 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer.

Später wurden die Nationalsozialisten zunächst als Befreier vom „roten Terror“ gefeiert, doch auch sie brachten Vernichtung und Massenmord über das Land, wie die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg schreibt.

Deutscher Panzer mit Balkenkreuz auf dem Weg in Richtung Charkiw im Jahr 1941
Deutscher Panzer mit Balkenkreuz auf dem Weg in Richtung Charkiw im Jahr 1941 (Quelle: akg-images / Picture Alliance)


Deutschland führte im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine Vernichtungsfeldzug

Wie das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in einem ausführlichen Artikel schreibt, führte Deutschland im Zweiten Weltkrieg einen brutalen Vernichtungsfeldzug auf dem Gebiet der Ukraine, die damals unter Sowjetherrschaft war: „Im Verlauf des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion bildete das Staatsgebiet der heutigen Ukraine zwischen Juni 1941 und Mai 1944 einen entscheidenden Kampfraum und einen zentralen Schauplatz der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen.“

Bild von der deutschen Ostfront um 1941
Bild von der deutschen Ostfront um 1941 (Quelle: akg-images /Picture Alliance)

Dabei wurde vor allem auch im Süden der Ukraine heftig gekämpft. Die Region Saporischschja, aus der das aktuelle Video mit dem Panzer stammen soll, ist eine dieser Regionen. Dort wurde sowohl beim Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion als auch bei den anschließenden Rückzugsgefechten gekämpft. Hinter der Frontlinie ermordeten deutsche Sondereinheiten Jüdinnen und Juden, Roma, und politische Gegner. Alleine in der Nähe Kiews waren es innerhalb von nur zwei Tagen rund 33 000 Menschen.

Redigatur: Steffen Kutzner, Max Bernhard

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Artikel des Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, „Raum, Operationen und Besatzungsherrschaft in der Ukraine im Zweiten Weltkrieg“ vom 16. Mai 2022: Link
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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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