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Sterbehilfe in den Niederlanden streng gesetzlich geregelt

Die Niederlande haben vor gut 20 Jahren als erstes Land der Welt die Tötung auf Verlangen erlaubt. Ärzte können dort unter bestimmten Umständen das Leben auf Wunsch beenden oder Beihilfe zum Suizid leisten. Im Sommer 2023 wird dem EU-Staat in sozialen Medien unterstellt, unter anderem Menschen auch mit leichter Behinderung oder Autismus zu töten, «auch wenn der Patient gerade keinen Sterbewunsch äußert». Genauso sei damit begonnen wurden, Kinder unter 12 Jahren einzuschläfern.

Bewertung

Falsch. Ärzte müssen strenge Kriterien einhalten. Der Wunsch auf ein Ende des Lebens muss vom Patienten ausgehen und kann von niemandem anderen entschieden werden. Es darf keine vernünftigere medizinische Alternative geben. Für Kinder zwischen 1 und 12 Jahren gibt es keine Regeln für Sterbehilfe.

Fakten

Wenn Menschen nicht mehr leben wollen, weil sie zum Beispiel unheilbar erkrankt sind, können sie in manchen Ländern dieser Welt ärztliche Unterstützung erbitten, um ihre Leben zu beenden.

Im Jahr 2002 sind die Niederlande das erste Land der Welt, das Sterbehilfe für Menschen zulässt. Für 2022 erfassen (S. 4) die dortigen regionalen Sterbehilfe-Prüfungsausschüsse (Regional Euthanasia Review Committees) 8720 Fälle in dem Land – was den Angaben zufolge 5,1 Prozent aller Todesfälle entspricht.

Behauptung: Niederländischen Ärzten ist es erlaubt, auch Patienten zu töten, die nicht erkennen lassen, dass sie sterben wollen.

Falsch. Ein Arzt, der Sterbehilfe durchführt, muss die sechs gesetzlichen Sorgfaltskriterien ohne Ausnahme befolgen. Das sind:

  1. Der Wunsch eines Patienten nach Sterbehilfe muss eigenständig und freiwillig fallen und wohldurchdacht sein.
  2. Arzt und Patient müssen das Leiden des Betroffenen als unerträglich einstufen, wobei eine Aussicht auf Heilung nicht vorhanden ist.
  3. Der Patient muss über die Situation und Perspektive aufgeklärt sein.
  4. Arzt und Patient müssen gemeinsam davon überzeugt sein, dass es keine andere, vernünftigere Alternative als Sterbehilfe gibt.
  5. Mindestens ein anderer unabhängiger Arzt, der den Patienten befragt, muss konsultiert werden.
  6. Die Sterbehilfe muss mit medizinischer Betreuung durchgeführt werden.

Über die Einhaltung der Kriterien wachen nach dem Sterbehilfegesetz die regionalen Prüfungsausschüsse. Sie geben jährlich ihren RTE-Bericht über die Situation in den Niederlanden heraus. In 13 der 8720 Fälle des Jahres 2022 (0,15 Prozent) kamen die Kommissionen zu dem Schluss (S. 4), dass ein Arzt oder eine Ärztin nicht im Einklang mit den Sorgfaltskriterien gehandelt hat.

Behauptung: Sterbehilfe wird auch an Menschen mit leichter Behinderung oder Autismus angewandt.

Es stimmt, dass Sterbehilfe in den Niederlanden nicht nur denjenigen vorbehalten ist, die körperlich unheilbar erkrankt sind. Auch unerträgliches psychisches Leid kann ein Grund für Sterbehilfe sein, wie die Regierung angibt. Es gelten aber auch hier genauso die sechs oben genannten Kriterien. Das heißt: Die Erkrankung muss unerträglich und unheilbar sein – und nicht etwa «leicht», wie in sozialen Medien behauptet wird.

«Bei der Beurteilung des Ersuchens muss der Arzt ausschließen können,
dass das Urteilsvermögen des Patienten durch die psychische Störung beeinträchtigt wurde», heißt es im niederländischen Sterbehilfekodex (S. 49-51). Demnach muss zusätzlich auch immer ein Mediziner mit psychiatrischer Fachkenntnis eingeschaltet werden. In 115 (1,3 Prozent) der gemeldeten Sterbehilfe-Fälle des Jahres 2022 (S. 11) lagen dem Leiden der Patienten eine oder mehrere psychiatrische Erkrankungen zugrunde.

Nach einem höchstrichterlichen Urteil ist in den Niederlanden aktive Sterbehilfe auch bei Demenzkranken zulässig. Eine schriftliche Patientenverfügung werde auch dann anerkannt, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar sei, urteilt der Hohe Rat am 21. April 2020 in Den Haag. Für 2022 erfassten (S. 11) die regionalen Prüfungsausschüsse sechs Sterbehilfe-Fälle, bei denen schwer Demenzkranke nicht mehr in der Lage waren, über ihr Ersuchen zu kommunizieren. Sie hatten aber Patientenverfügungen hinterlassen.

Behauptung: Auch Kinder unter 12 Jahren können Serbehilfe erhalten.

Für Neugeborene bis zu 1 Jahr und für Kinder ab 12 Jahren sind gesetzliche Regelungen in Kraft, für die Zeit dazwischen gibt es keine Richtlinien.

Für Neugeborene gilt das «Groninger Protokoll», das Kriterien angibt, wonach Ärzte unter Zustimmung der Eltern das Leben von schwerst erkrankten Kleinkindern beenden dürfen, ohne strafrechtlich verfolgt zu werden.

Für Kinder ab 12 Jahren gilt das Sterbehilfegesetz. Demnach können sie ab diesem Alter selbst um Sterbehilfe bitten. Dabei ist aber die Zustimmung der Eltern oder des Vormunds erforderlich, wie die niederländische Regierung mitteilt. Erst 16- und 17-Jährige können den Schritt grundsätzlich ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten gehen, müssen ihre Eltern aber in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Ab dem 18. Lebensjahr haben junge Menschen das Recht, Sterbehilfe ohne Beteiligung der Eltern zu beantragen.

Im Jahr 2022 wurde lediglich eine Meldung über Sterbehilfe bei einem minderjährigen Patienten von den regionalen Sterbehilfe-Prüfungsausschüssen beurteilt (S. 13).

Im April 2023 bringt die niederländische Regierung eine Regelung auf den Weg, wonach die Sterbehilfe auch für Kinder zwischen 1 und 12 Jahren ermöglicht werden soll. «Dabei handelt es sich um eine kleine Gruppe todkranker Kinder, die hoffnungslos und unerträglich leiden, die Möglichkeiten für deren Palliativversorgung nicht ausreichen, um ihr Leiden zu lindern, und die voraussichtlich in absehbarer Zeit sterben werden», heißt es über die angestrebte Verordnung. Da das Regierungsbündnis in Den Haag jedoch Anfang Juli 2023 zerbrach, ist der Vorschlag noch nicht umgesetzt.

(Stand: 04.08.2023)

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Politik, Gesellschaft, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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