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Ohne Mond gäbe es keine Ebbe und Flut

Die Gezeiten enstehen durch das Zusammenspiel von Erde und Mond. In sozialen Netzwerken wird hingegen ein feinstoffliches Medium namens Äther dafür verantwortlich gemacht. Experimentell konnte Äther jedoch nicht bestätigt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich einig, dass der Mond das Wasser der Erde durch die Wirkung seiner Gravitationskräfte anzieht.

„Einfach mal den Müll aus der Schule im Kopf löschen um Platz für die Wahrheit zu machen“, heißt es in einem Facebook-Posting vom 26. August 2023. Eine Userin teilt ein Video mit der Überschrift: „Wie Ebbe und Flut wirklich entstehen!“. In dem rund dreiminütigen Clip erklärt ein Mann vor einer Bücherwand, worauf die Gezeiten angeblich tatsächlich zurückzuführen seien. Die Anziehungskraft des Mondes gäbe es nämlich nicht.

Viel eher sei Äther für Ebbe und Flut verantwortlich, so die Behauptung: „Es gibt keine Flutwelle, die über die Erde rollt und den Mond befolgt. Das ist schlichtweg eine Legende“, heißt es in dem Video. Und weiter: „Das ist ein Phänomen, das mit Äther etwas zu tun hat. (…) Druckunterschiede zwischen dem inneren und äußeren Äther können Materie anheben oder absenken. (…) Und das erzeugt diese Wellen und nicht die Luna (der Mond, Anm. d. Red.).“

Das Posting wurde auf Facebook rund 250 Mal geteilt und 50.000 Mal angesehen. Auch auf Tiktok wird der Beitrag verbreitet.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 4. September 2023

Seine Aussagen in dem aktuell geteilten Beitrag sind jedoch falsch. Fachleute aus Wissenschaft und Praxis erklärten gegenüber AFP, dass der Mond und kein Druckunterschied zwischen Äther für Ebbe und Flut verantwortlich ist.

Eine Rückwärtssuche führt zum Youtube-Account „Altera TV“, auf dem der Mann verschiedene Phänomene erklärt. Außerdem betreibt er/steht er hinter einem Onlineshop, der Amulette sowie Bücher und Webinare zu Themen wie „Denken lernen“, „Historie zurechtgerückt“ oder „Gottmensch-Prüfung“ anbietet.

Auf AFP-Anfrage mit der Bitte um nähere Informationen sowie wissenschaftliche Belege zu den Behauptungen zu Ebbe und Flut erwiderte er am 5. September 2023 unter anderem: „Es gibt keine Beweise – und wird es auch nicht geben –, dass der Mond irgendetwas auf der Erde anzieht.“ Im Übrigen rät der Absender des E-Mails, Gor Rassadin, wissenschaftliche Beweise nicht überzubewerten. Moderne Wissenschaft sei „eine art materialistische Religion“, schrieb er AFP.

Der Mond ist für Ebbe und Flut verantwortlich

Unter Gezeiten, auch unter dem Begriff Tiden bekannt, wird das Wechselspiel zwischen Flut und Ebbe, das an Gewässern beobachtet werden kann, verstanden. Flut ist dabei der Zeitraum des ansteigenden Wassers, Ebbe der Zeitraum des sinkenden Wassers.

Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die Gezeiten durch das Zusammenspiel von Erde und Mond verursacht werden – anders als in dem geteilten Beitrag behauptet. „Der Mond erzeugt zwei Ebbe und Fluten pro Tag. Die Facebook-Videos sind Quatsch“, schrieb etwa Ulrich Walter, ehemaliger Wissenschaftsastronaut und Professor am Lehrstuhl für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München, AFP am 1. September 2023.

Verantwortlich für die Entstehung von Ebbe und Flut ist die Gravitationskraft des Mondes. Abhängig von ihrem Stand beeinflusst auch die Schwerkraft der Sonne die Gezeiten. Die Gravitation äußert sich in der gegenseitigen Anziehung von Massen. Obwohl sich der Mond fast 400.000 Kilometer von der Erde entfernt befindet, übt er durch seine Gravitationskraft Einfluss auf das Wasser der Erde aus.

Die Gravitationskraft ist abhängig von der Entfernung zum Schwerpunkt des Mondes, ist also für die dem Mond zugesandte Seite größer als für die abgewandte. Weil Wasser flüssig ist, bilden sich zwei Flutberge, die sich zur Achse des mondes ausrichten. Da sich die Erde zusätzlich um die eigene Achse dreht, kann man zwei Mal täglich den Gezeitenwechsel beobachten.

Anziehungskraft des Mondes auf die Gezeiten – EYE/AFP

Claus Lämmerzahl, Professor am Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), Universität Bremen, schrieb AFP am 2. September 2023, dass alle gravitativen Phänomene „mit extrem hoher Genauigkeit“ durch die Einsteinsche Gravitationstheorie (Allgemeine Relativitätstheorie des theoretischen Physikers Albert Einstein) beschrieben seien: „Es ist zweifelsfrei bewiesen, dass der Mond ein Gravitationsfeld besitzt, welches weit in den Weltraum hineinreicht. Wenn wir nun dieses Gravitationsfeld des Mondes betrachten und seine Auswirkungen auf die Erde berechnen, erhalten wir genau das täglich beobachtete Ebbe/Flut-Phänomen, und zwar in genau der beobachteten Stärke und auch zu genau den berechneten Zeiten. Das heißt, Ebbe und Flut hängen direkt mit der Stellung Erde-Mond zusammen.“

Begründungen im Video „nicht wissenschaftlich“

Auch Astrophysikerin Anahí Caldú Primo von der Universität Wien schrieb AFP am 4. September 2023: „Ohne Mond gäbe es keine Ebbe und Flut.“ Die Begründungen im Video für ein Naturphänomen, das in der Wissenschaft „sehr gut verstanden“ sei, bezeichnete sie hingegen als „nicht wissenschaftlich“.

Die Astrophysikerin erklärte: „Die Gravitationskraft wirkt auf alle Körper mit Masse, auch auf den Mond und die Erde. Diese Kraft hängt auch von der Entfernung zwischen zwei Objekten mit Masse ab. Obwohl also eine Seite der Erde dem Mond immer näher ist als die andere, wirkt der Mond auf alle Punkte der Erde, wenn auch mit unterschiedlicher Stärke.“ Die Anziehungskraft sei für feste Felsen die gleiche wie für Wasser in den Ozeanen. Wasser verforme sich jedoch leichter als Gestein: „Deshalb verformt die Anziehungskraft des Mondes zusammen mit den tangentialen Kräften, die durch die Bewegung der Erde um ihre eigene Achse entstehen, das Volumen, das die Ozeane einnehmen, so dass es wie ein amerikanischer Football aussieht.“ Die Verformung von festem Gestein sei für das bloße menschliche Auge hingegen nicht wahrnehmbar. Messbar ist diese aber trotzdem.

Caldú Primo verwies zudem auf Ausführungen (Link hier archiviert) der US-Raumfahrtbehörde Nasa, in denen der Mond ebenfalls als Ursache für Ebbe und Flut angeführt und näher erklärt wird. „So weit weg der Mond auch erscheinen mag, seine Anziehungskraft auf die Erde spielt eine große Rolle bei der Entstehung von Gezeiten“, heißt es etwa. Das schreibt auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumffahrt (DLR) online (Link hier archiviert).

Arnold Hanslmeier, Professor für Astrophysik an der Karl Franzens Universität Graz, schrieb AFP am 1. September 2023 in Bezug auf die geteilte Behauptung: „Das ist kompletter Schwachsinn. Der Mond ist, was die Gezeitenkraft anbelangt, doppelt so stark wie die Sonne. (…) Durch die Gezeitenwirkung des Mondes (und der Sonne) wird zudem die Erdrotation abgebremst, auch das hat man nachgewiesen.“

Fußgänger überqueren bei Ebbe den Sand von „Le Couesnon“ in der Bucht von Le Mont Saint-Michel, als Frankreichs Präsident am 5. Juni 2023 zu einem zweitägigen Besuch im Nordwesten Frankreichs eintrifft. – Ludovic MARIN / POOL

Fachleute widersprechen „Äthertheorie“

Laut der Behauptung in dem geteilten Video seien viel eher „Druckunterschiede zwischen dem inneren und äußeren Äther“ für Flutwellen verantwortlich.

Hanslmeier schrieb: „Es gibt keinen Äther, das hat man schon vor mehr als 150 Jahren nachgewiesen.“ Die Relativitätstheorie Einsteins habe das endgültig widerlegt: „Aber es gibt ja auch Menschen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe.“

Astrophysikerin Caldú Primo erklärte: „In der Regel wurde dieses Wort zu verschiedenen Zeiten verwendet, um ein mangelndes Verständnis eines physikalischen Phänomens auszugleichen.“ Die Auslegung des Begriffs ist dabei sehr weit. Solange nicht einmal geklärt sei, was mit Äther gemeint sei, sei „unmöglich, Flut und Ebbe aufgrund von Druckunterschieden auf ein Material zu erklären, von dem wir nicht wissen, was es ist.“

Auch laut Professor Lämmerzahl sei die im Video angeführte „Äthertheorie“ in jedem Fall „unhaltbar“: „Im Inneren der Erde entsteht manchmal Druck durch vulkanische Aktivitäten, was dazu führen kann, dass sich die Erde dort etwas wölbt. Das ist aber eindeutig auf die Magmaströme zurückzuführen (die man mit geodätischen Messmethoden auch nachweisen kann – zum Beispiel die Beobachtung der Ausbreitung von Erdbebenwellen), und auf keinen Äther. Einen Äther gibt es nicht, ein Äther wurde nie beobachtet.“

Der „Blaue Supermond“ erschien am 31. August 2023 am Nachthimmel über Skopje. – Robert ATANASOVSKI / AFP

„Irreführendes Suggestivargument“

In dem verbreiteten Video heißt es zu Beginn außerdem: „Also die Anziehungskraft vom Mond, die es nicht gibt, ist im Stande Milliarden von Tonnen von Wasser zu heben, aber nicht im Stande einen Tropfen von Regenwasser zu heben? Weil ein Regentropfen fällt ja runter, aber Milliarden von Tonnen der Ozeane kann der Mond anziehen?“

Laut Lämmerzahl handle es sich bei der Behauptung, dass der Mond zwar Milliarden Tonnen Wasser zu Ebbe und Flut aber keinen einzigen Wassertropfen oder kein einziges Staubteilchen heben kann, um ein „irreführendes Suggestivargument“: „Natürlich kann der Mond keinen Wassertropfen heben und kein (Staub-)Teilchen. Aber das ist auch nicht der Punkt hier. Der Mond hebt nicht die Wasserteilchen, sondern verschiebt diese innerhalb der Flüssigkeit, sodass sich eine kleine Wasserausbeulung (Flut) und Wassersenke (Ebbe) ergibt.“ Er fasste zusammen: „Obwohl der Mond im wörtlichen Sinne keine Tropfen ‚heben‘ kann, so kann er doch die Oberfläche der Ozeane ausbeulen, so dass wir dadurch Flut und Ebbe bekommen.“

Caldú Primo ergänzte: „Der Mann vergisst hier ein paar Dinge.“ Schwere Objekte haben größere Anziehungskraft als leichte, da die Gravitationskraft von der Masse beider Körper abhängt und nicht nur von der des Mondes. „Die Masse eines Regentropfens ist völlig unbedeutend im Vergleich zur Masse der Ozeane der Erde.“

Fazit: Ebbe und Flut werden durch das Zusammenspiel von Erde und Mond verursacht. Die geteilte Behauptung, dass Äther für die Gezeiten verantwortlich sei, ist falsch. Gegenüber AFP erklärten Forschende, dass eindeutig der Mond das Wasser der Erde durch die Wirkung seiner Gravitationskräfte anziehe. Äther gibt es nicht.

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Wissenschaft

Autor(en): Katharina ZWINS / AFP Österreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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