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Deutsche werden nicht zum 1. Januar 2024 durch den Lastenausgleich enteignet

Mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 sollten Zerstörungen durch und Verwundungen aus dem Zweiten Weltkrieg entschädigt werden. In sozialen Medien kursiert derzeit das Gerücht, zum 1. Januar 2024 würde ein erneuter Lastenausgleich in Kraft treten und Bürgerinnen und Bürger würden enteignet. Das ist falsch. Experten erklärten gegenüber AFP, dass es zu keiner solchen finanziellen Abgabe komme. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bezeichnete die Behauptung öffentlich als „Fake News“.

„Lastenausgleichsgesetz tritt ab 01.01.2024 in Kraft! Abgeändert 2021 in weiser Voraussicht…“ heißt es in einem Beitrag aus dem Oktober 2023 auf Facebook, in dem ein Video mit der Überschrift „Kommendes Enteignungsgesetz erklärt“ verbreitet wird. Der Post wurde hunderte Male geteilt. Auch auf Tiktok wurde das Video über 2000 Mal geteilt und mehr als 88.000 Mal angesehen. In der Kommentarspalte des Tiktok-Videos wird vom Accountbetreiber der Link zu einem Youtube-Video als Quelle angegeben, das dieselbe Tonspur hat und rund 5000 Mal aufgerufen wurde.

Im Video wird erklärt, dass deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger über 30 Jahre in monatlichen Raten insgesamt 50 Prozent ihres Vermögens abgeben müssten. Als das Gesetz zum ersten Mal 1952 in Kraft getreten sei, seien hauptsächlich Immobilien belastet worden, nun würden angeblich auch „Sachwerte und Geldwerte“ miteinbezogen. Der Sprecher des Videos rechnet an einem Beispiel vor, dass eine Person mit einem Gesamtvermögen von 200.000 Euro entsprechend 100.000 Euro „an den Staat bezahlen“ müsste. In einigen Posts, so zum Beispiel in der Beschreibung des Youtube-Videos, wird behauptet, diese Regelung trete zum 1. Januar 2024 in Kraft.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 6. November 2023
Youtube-Screenshot der Behauptung: 6. November 2023

Das ist jedoch falsch. Tatsächlich trat das Lastenausgleichsgesetz 1952 in Kraft. Ziel des Gesetzes war es damals, die „durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsteile“ der Bundesrepublik Deutschland finanziell zu entschädigen, heißt es in der Präambel des Gesetzes über den Lastenausgleich (LAG) vom 14. August 1952 (hier archiviert).

Der Lastenausgleich wurde teils über eine Vermögensabgabe und teils über Steuermittel finanziert, wie das Bundesfinanzministerium auf seiner Website erklärt (hier archiviert). Wer Vermögen hatte, wie beispielsweise ein vom Krieg verschontes Haus, musste 50 Prozent des Wertes als Abgabe über 30 Jahre in Vierteljahresraten in einen Fonds einzahlen (hier archiviert) – nicht wie im Video behauptet monatlich. Von dieser Umverteilung haben beispielsweise Bombenopfer oder Vertriebene profitiert.

Die Vermögensabgabe des LAG gilt heute nicht mehr

Diese Vermögensabgabe findet „heute keine Anwendung mehr“, da es sich dabei um eine einmalige Abgabe, gestreckt auf 30 Jahre, gehandelt habe, erklärte Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Direktor des Walter Eucken Instituts und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, in einer E-Mail vom 25. Oktober 2023 gegenüber AFP. „Sie ist seit dem Jahr 1997 außer Kraft.“ Sie wird „spätestens seit der Neufassung des LAG vom 16. Juni 1993 nicht mehr im Gesetz ausgewiesen“.

Zwei Paragraphen des LAG wurden 2019 geändert

Das LAG wurde am 19. Dezember 2019 geändert, da der Bundestag an diesem Tag das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts (SozERG) beschlossen hat (hier archiviert) und dieses viele weitere Gesetze, darunter das LAG, berührt. Dieses Gesetz zum Entschädigungsrecht soll zum 1. Januar 2024 in Kraft treten und so das neue Sozialgesetzbuch XIV geschaffen werden, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Website.

Demnach wird darin geregelt, inwieweit Gewalt- und Terroropfern, Opfern der Auswirkungen der beiden Weltkriege und von Schutzimpfungen, während ihres Zivildienstes Geschädigten sowie deren Angehörigen Hilfen bereitgestellt werden. Zuvor war die Gesetzgebung vor allem auf die Entschädigung Kriegsgeschädigter ausgerichtet, heißt es auf der Website des Sozialministeriums weiter. Dass aus der Neuregelung entgegen zahlreicher Falschbehauptungen kein Lastenausgleich für Corona-Impfschäden folgt, hat AFP bereits hier erklärt.

Diese Änderung betreffe Formulierungen zweier Paragraphen des LAG, in denen „die Krankenversorgung im Rahmen der Kriegsschadenrente sowie das Verhältnis der Kriegsschadenrente zur Sozialhilfe, zur Kriegsopferfürsorge sowie zur Arbeitslosenversicherung und zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ geregelt werden, erklärte Feld. So wird etwa in Paragraph 292 des Lastenausgleichsgesetzes das Wort „Kriegsopferfürsorge“ durch die Formulierung „Sozialen Entschädigung“ ersetzt. Anstelle von bisherigen Verweisen auf das Bundesversorgungsgesetz wird auf das neu geschaffene Sozialgesetzbuch XIV verwiesen.

Feld zufolge wurde das Lastenausgleichsgesetz zuletzt am 19. Juni 2020 geändert, wobei allerdings lediglich die offizielle Bezeichnung des Bundesinnenministeriums aktualisiert wurde.

Keine Abgabe durch Gesetzesänderung

„Es gibt in diesem Zusammenhang keinerlei Rechtsgrundlage oder -änderung für eine wie auch immer geartete Abgabe“, vor allem nicht im Sinne einer Enteignung von Personen. Die Gesetzesänderung habe „überhaupt nichts mit irgendeiner Abgabe“ zu tun, erklärte Feld.

„Soweit im Netz sowie in sozialen Medien behauptet wird, für das Jahr 2024 oder 2025 drohe eine ‚Reaktivierung‘ des Gesetzes und damit auch zusätzliche Abgaben, handelt es sich folglich um bloße Vermutungen/Behauptungen“, erklärte auch Robert Freitag, Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, in einer E-Mail vom 26. Oktober 2023 gegenüber AFP.

Freitag verwies zusätzlich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 14. März 2022 der Bundestagsfraktion der AfD. Darin erklärte die Bundesregierung: „Der von den Regierungsparteien getragene Koalitionsvertrag enthält weder eine Vereinbarung zur Einführung einer Vermögensabgabe noch zur Wiederbelebung der Vermögensteuer noch zur Einführung eines Lastenausgleichs.“ Außerdem tauge das Lastenausgleichsgesetz von 1952 „schon deshalb heute nicht als Vorbild, weil die Ausgangssituationen nicht vergleichbar sind“.

Zwar hält die SPD Bremen in ihrem Zukunftsprogramm vom Februar 2023 angesichts sozialer Ungleichheiten durch den Ukraine-Krieg und die Corona-Krise einen Lastenausgleich für geboten, jedoch handelt es sich dabei lediglich um eine Idee der Partei. Bislang wurde sie nicht umgesetzt (hier archiviert), wie aus einer Meldung des Deutschen Bundestags hervorgeht.

Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) widersprach auf einem Tag der offenen Tür der Bundesregierung am 20. August 2023 der Falschbehauptung, dass 2024 das Lastenausgleichsgesetz in Kraft trete. „Das ist absolut Fake News“, sagte Lindner (hier archiviert, ab Minute 53). Und weiter: „Aus AfD-Kreisen wird sowas verbreitet.“ Tatsächlich machen AfD-Mitglieder immer wieder Anspielungen (hier, hier und hier) auf einen kommenden Lastenausgleich.

Keine Vermögensabgabe zum 1. Januar 2024 beschlossen

Darüber hinaus habe die Bundesregierung auch keine anderen Gesetze erlassen, die eine Abgabe von Vermögen vorsieht. „Zum 1. Januar 2024 wird keine Vermögensabgabe oder ähnliches“ in Kraft treten, erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums in einer E-Mail vom 10. November 2023 gegenüber AFP.

Artikel 14 des Grundgesetzes (hier archiviert) garantiert das Eigentum von Bürgerinnen und Bürgern, eine Enteignung ist dennoch „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“. Außerdem dürfe sie Feld zufolge nicht zu fiskalischen Zwecken, also für Aufgaben der Verwaltung verwendet werden. „Zur Erhebung einer Vermögensabgabe ist zudem zu beachten, dass der Bund nur eine einmalige Vermögensabgabe (ggf. inkl. Streckung) erheben darf“, erklärte Feld weiter. Dazu sei aus juristischer Sicht „ein ‚außerordentlicher Umstand‘ von Nöten.“ Dieser dürfte Feld zufolge „derzeit in keinem Fall vorliegen.“

Umverteilungen immer wieder in der Diskussion

Laut Feld wird die Möglichkeit einer einmaligen Vermögensabgabe immer wieder diskutiert, beispielsweise um die finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie zu bewältigen. Der unabhängige Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium veröffentlichte hierzu am 17. Mai 2021 eine Stellungnahme, in der er sich klar gegen die Erhebung einer einmaligen Vermögensteuer aussprach.

Auch im Zuge der Grundsteuererklärung, die wegen einer Neubewertung der Grundstücke im Verlauf des Jahres 2022 fällig war, kamen Gerüchte um einen drohenden Lastenausgleich und Enteignung auf. Ein Richtlinienentwurf der Europäischen Union, wonach die meisten bestehenden Gebäude bis 2030 emissionsfrei werden sollen, sorgte ebenfalls für Falschinformationen über Enteignung. AFP widerlegte sie hier.

Fazit: Zum 1. Januar 2024 ändern sich zwei Paragraphen des Lastenausgleichsgesetzes, was allerdings keine Vermögensabgabe nach sich zieht. Auch Experten erklärten gegenüber AFP, dass Bürgerinnen und Bürger durch die Änderung keinerlei Abgaben leisten müssen. Finanzminister Christian Lindner bezeichnete derartige Gerüchte im August 2023 zudem als „Fake News“.

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Politik, Wirtschaft, Gesellschaft

Autor(en): Johanna LEHN / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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