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Diese Aussagen zur angeblichen Privatisierung der deutschen Polizei sind falsch

Die deutsche Polizei besteht aus Behörden der Länder und des Bundes. Polizeibeamtinnen und -beamte gehören dem öffentlichen Dienst an. Online verbreitete sich jedoch die falsche Behauptung, wonach die deutsche Polizei in Bayern zentralisiert und an eine private US-amerikanische Sicherheitsfirma verkauft worden sei. Fachleute und Behörden bestätigten gegenüber AFP, dass es sich um eine Falschinformation aus der Reichsbürgerszene handelt. Das Gewaltmonopol des Staates ist zudem im deutschen Grundgesetz festgelegt.

„Die deutsche Polizei wurde bis Frühjahr 2018 unter Seerecht in Bayern zentralisiert“, heißt es in einem Facebook-Posting vom 15. Oktober 2023. Weil es sich um Normen des Seerechts handeln würde, seien auch Uniformen und Autos blau. In Folge sei die Polizei an ein privates US-amerikanisches Sicherheits- und Militärunternehmen verkauft worden und inzwischen ein privater Securitybetrieb, heißt es weiter.

Die Behauptungen kursieren seit zumindest 2020 auf Facebook. Sie werden in Text- und Bildform sowie auch als Video, in dem ein Mann spricht und mehrere Polizeibeamte zu sehen sind, geteilt. Auch auf Telegram wurden die Behauptungen verbreitet und tausendfach angesehen.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 8. November 2023

Die Aussagen in den geteiltenen Beiträgen sind jedoch falsch und stammen aus dem Milieu um deutsche Reichsbürgerinnen und -bürger. Das erklärten sowohl mehrere deutsche Behörden inklusive der Polizei als auch verschiedene Fachleute gegenüber AFP. AFP hat bereits in der Vergangenheit Behauptungen aus der Reichsbürgerszene überprüft (etwa hier, hier und hier).

Reichsbürgerszene in Deutschland

Die Szene der Reichsbürgerinnen und -bürger in Deutschland ist vielschichtig und umfasst einzelne Personen, überregionale Gruppierungen und digitale Netzwerke. Sie eint, dass sie „die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren“, wie es im  Verfassungsschutzbericht 2022, der vom deutschen Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) veröffentlicht wird, heißt. Nach dem Bericht wird das Milieu in Deutschland auf circa 23.000 Personen geschätzt, denen für das Jahr 2022 insgesamt 1856 politisch motivierte Straftaten zugeschrieben werden.

Nähere Informationen des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz oder des BMI zu Reichsbürgerinnen und -bürgern finden sich zudem hier und hier.

Generalbundesanwalt warnt vor wachsender Gewaltbereitschaft in Reichsbürger-Szene: Entwicklung seit 2016 – AFP

Behauptungen zur Delegitimierung des Staates

In einem Telefonat mit der Pressestelle des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz hieß es am 6. November 2023, dass die geteilten Aussagen falsch sind und „keinen wahren Kern“ hätten: „Diese Behauptungen reihen sich in eine größere Erzählung zur Delegitimierung des deutschen Staates ein.“

Jan Rathje vom gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ist Politikwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkten in den Bereichen Rechtsextremismus, Verschwörungsideologien, Antisemitismus sowie Souveränismus. Rathje erklärte AFP in einem Telefonat am 6. November 2023, dass derartige Falschbehauptungen seit mehr als zehn Jahren in Deutschland kursieren: „Sie sind Teil einer Kette von Deligitmationsbehauptungen aus dem deutschsprachigen souveränistischen Milieu.“ Zentral sei stets, „dass Deuschland von einer fremden Macht beherrscht wird, die die Fäden ziehen würde“.

Oft werde fälschlich behauptet, die Polizei hätte keine Hoheitsrechte, also staatliche Befugnisse. Sie sei kein ordentliches staatliches Organ, sondern eher eine Söldnertruppe, die angeworben worden wäre. Rathje erklärte: „Souveränistische Milieus berufen sich dabei auf diverse andere Rechtsordnungen, um ihre Handlungen zu legitimieren. Viele sagen etwa, eigentlich müsste alles nach ‚Seerecht‘ verhandelt werden, andere gehen von ‚Naturrecht‘ aus.“

Unter Seerecht wird das Rechtsgebiet verstanden, das sämtliche die Seeschifffahrt betreffenden Rechtsnormen umfasst. Das Übereinkommen der UNO zum Seerecht enthält die grundlegenden Bestimmungen diesbezüglich. Naturrecht wiederum bezeichnet das Recht, das „von Natur aus“ gegeben ist und unveränderlich stets für jeden gelten soll. Nach Naturrecht ist zum Beispiel etwas unrecht, wenn es der Vernunft des Menschen widerspreche.

 

Dienstwaffe und Handschellen eines Polizeibeamten in Berlin am 18. September 2023 sind an einem Dienstgürtel an seiner Uniform befestigt – Odd ANDERSEN / AFP

 

Keine Zentralisierung der deutschen Polizei

Die Behauptung, die deutsche Polizei sei bis Frühling 2018 unter Seerecht in Bayern zentralisiert worden, kann auch von Seiten des bayerischen Innenministeriums nicht nachvollzogen werden. Ein Pressesprecher schrieb AFP am 31. Oktober 2023: „Die zitierte Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage und ist völliger Blödsinn. Leider sind nicht alle Fakenews so schnell als ‚Schmarrn‘ zu entlarven.“

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, verneinte gegenüber AFP in einer Stellungnahme vom 3. November 2023 ebenfalls, dass die deutsche Polizei zentralisiert und an eine Firma verkauft wurde. Er führte aus: „Die deutsche Polizei besteht aus den 16 Polizeibehörden der Länder und des Bundes (Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Polizei beim Deutschen Bundestag). Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit.“ Die Aufgaben der Bundespolizei sind im Bundespolizeigesetz geregelt, die Bundesländer haben eigene Polizeigesetze (etwa hier, hier und hier).

Eine Pressesprecherin des deutschen BMI schrieb AFP am 2. November 2023, dass das Ministerium zu „derartigen Verschwörungsmythen“ nicht im Detail Stellung nehme. Es heißt jedoch: „Ein Kernelement von liberalen, demokratischen Rechtsstaaten ist das Gewaltmonopol des Staates. Es leitet sich für die Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen aus dem Rechtstaatsprinzip aus Artikel 20 Grundgesetz ab. Das Gewaltmonopol des Staates ist eine zentrale Aufgabe der Exekutive, seine Umsetzung eine hoheitliche Aufgabe.“ Das bedeutet, dass alleinig der Staat das Recht hat, auf seinem Hoheitsgebiet Gewalt anzuwenden oder zuzulassen. Angehörige des öffentlichen Dienstes dürfen das für den Staat ausüben.

 

Polizeibeamte gehen mit Schutzausrüstung auf dem Gelände der Universität Heidelberg, Südwestdeutschland, nach einem Angriff eines Einzeltäters am 24. Januar 2022 – Daniel ROLAND / AFP

 

Polizistinnen und Polizisten sind Angehörige des öffentlichen Dienstes

Diese Aufgabe werde von Angehörigen der Polizei wahrgenommen, die als Beamtinnen und Beamte beziehungsweise als „Angehörige des öffentlichen Dienstes“ in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen und gleichzeitig hoheitliche Befugnisse für die Dienstausübung erhalten, heißt es von Seiten des BMI weiter: „Dies umfasst im Besonderen verschiedene Eingriffsrechte. Aufgaben dieser sogenannten Eingriffsverwaltung sind grundsätzlich nicht privatisierbar.“

Auch GdP-Vorsitzende Kopelke erklärte gegenüber AFP, dass Polizeibeamtinnen und -beamte meist angestellt und „verbeamtet auf Lebenszeit“ seien. Anders als in sozialen Medien behauptet, handelt es sich bei Polizistinnen und Polizisten demnach nicht um „private Söldner“, für deren Einsatz die deutsche Bundesregierung Geld an ein privates Unternehmen zahlen müsste. Vielmehr sei es umgekehrt, so Kopelke: „Private Firmen müssen in einigen Fällen und je nach Ausgestaltung der Kostenverordnung des Bundeslandes und je nach Einsatzgrund Geld an die Polizei für Arbeitsstunden oder Materialeinsatz Geld bezahlen.“ Für Sicherheitskosten bei Großveranstaltungen will der Staat etwa nicht mehr alleine aufkommen.

Eine weitere Gewerkschaft, die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), sieht das ähnlich. Den Behauptungen zur Polizei entbehre es vielfach „jeglicher Grundlage“, hieß es in einer E-Mail an AFP am 3. November 2023. Die DPolG tritt online gegen Privatisierung der Polizei auf, sagt aber auch, dass an einer Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern in manchen Bereichen kein Weg vorbeiführe.

Blaue Uniformen aufgrund „europaweit einheitlicher Erkennbarkeit“

Zur Farbe der Polizeiuniformen, die in den geteilten Postings erwähnt wird, hieß es vom BMI gegenüber AFP: „Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist Polizei grundsätzlich Ländersache. Somit obliegt es den Ländern auch, über das Aussehen von Polizeiuniformen der Landespolizeien zu bestimmen; der Bund kann dies für seine Polizeibehörden entscheiden.“ Die sukzessive Einführung von Blau als Uniformfarbe der Polizeien von Bund und Ländern seit Mitte der 2000er-Jahre sei in erster Linie erfolgt, um eine europaweit einheitliche Erkennbarkeit der Polizei zu ermöglichen.

Die deutsche Bundespolizei begann im Jahr 2005 mit der Umstellung auf eine neue blaue Polizeiuniform. Nach der Umstellung Bayerns 2018 als letztes Bundesland sind alle deutschen Polizeibeamtinnen und -beamten mit neuer blauer Uniform eingekleidet.

Polizei dementiert Verkauf an US-amerikanisches Unternehmen

In den Postings wird behauptet, die deutsche Polizei sei im Sommer 2018 an den „Militärdienstleister Academi“ verkauft worden. Das Unternehmen bietet unter anderem professionelle Leistungen zur Kriegsführung an. Es wurde im Jahr 1997 von Erik Prince, einem früheren Marinesoldaten und engen Vertrauten des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, gegründet und trug zuvor die Namen Blackwater USA, Blackwater Worldwide, sowie Xe Services, bis es schließlich verkauft und 2011 in Academi umbenannt wurde. Das private US-amerikanische Sicherheitsunternehmen ist heute Teil der Constellis Holdings mit Sitz im US-Bundesstaat Virginia.

In der Vergangenheit stand der Militärdienstleister bereits mehrfach in der Kritik. Blackwater-Angestellte erschossen im Jahr 2007 etwa mehrere irakische Zivilisten und wurden daraufhin zu langen Haftstrafen verurteilt. Eine spätere Begnadigung durch Donald Trump wurde von Expertinnen und Experten der UNO heftig kritisiert.

Eine Stichwortsuche führte zu keinen relevanten Ergebnissen hinsichtlich eines Kaufes der deutschen Polizei durch Constellis. Deutschland wird von dem Militärdienstleister in seiner Selbstbeschreibung online weder als Bürostandort noch als Ort, an dem aktuelle oder vergangene Operationen stattgefunden haben, angeführt. Laut Medienberichten haben in der Vergangenheit Unternehmen mit engen Verbindungen zu Blackwater für Regierungen sowie für mehrere multinationale Unternehmen, darunter auch die Deutsche Bank, Geheimdienst-, Schulungs- und Sicherheitsdienstleistungen erbracht. Eine AFP-Anfrage an Constellis blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

Fazit: Die deutsche Polizei besteht aus Behörden der Länder und des Bundes. Polizistinnen und Polizisten sind Angehörige des öffentlichen Dienstes. In sozialen Medien wird jedoch fälschlich behauptet, die Polizei sei in Bayern zentralisiert und an eine private US-amerikanische Sicherheitsfirma verkauft worden. Gegenüber AFP wurde das von den zuständigen Behörden dementiert. Fachleute bestätigten zudem, dass es sich um eine Falschinformation aus der Reichsbürgerszene handelt.

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Politik, Wirtschaft

Autor(en): Katharina ZWINS / AFP Österreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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