In sozialen Medien herrscht häufig Unmut über die Rundfunkgebühr und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nun kursiert online ein Video mit der Behauptung, der deutsche Rundfunk habe bekanntgegeben, mit unabhängiger Berichterstattung beginnen zu wollen. Die Aufnahmen sind jedoch verkürzt zusammengeschnitten und stammen aus einem Beitrag über Donald Tusks Wahl zu Polens Ministerpräsidenten im Dezember 2023. Die ARD stellte die Manipulation der Aufnahmen öffentlich richtig.
„Wer glaubt das? GEZ Sender wollen anfangen unabhängig zu berichten“, ist in einem Video zu lesen, das seit Januar 2024 auf Facebook geteilt wird. Auch auf X, Instagram und Tiktok sowie Telegram kursieren Beiträge mit dem knapp eine Minute langen Clip.
Darin sind zwei Journalistinnen in den „tagesthemen“ der ARD zu sehen. „Wie will die neue Regierung die politische Spaltung im Land, die es ja gibt, überwinden?“, fragt die Journalistin im Studio. „Das wird nicht einfach werden, aber ein Mittel könnte sein, die öffentlich-rechtlichen Medien zu reformieren, neu aufzustellen. Also wieder unabhängig zu machen, wieder ausgewogen berichten zu lassen“, beginnt die Antwort ihrer zugeschalteten Kollegin. Es seien Lügen und Hass gegen Minderheiten und der Opposition verbreitet worden, wodurch die Gesellschaft gespalten worden wäre. Daran anschließend sind kurze Ausschnitte weiterer deutscher Nachrichtensendungen mit Aufrufen zur Coronaimpfung zu sehen.
Das Video erweckt so den Eindruck, es gehe um Medien in Deutschland. Aus Kommentaren verschiedener Beiträge geht hervor, dass einige Nutzerinnen und Nutzer den Inhalt des Videos auf den deutschen Rundfunk beziehen, indem sie beispielsweise schreiben „Gez abschaffen ARD und ZDF verbieten“.
Eine umgekehrte Bildsuche zum Gespräch der beiden Journalistinnen im ersten Teil des Clips führt zur Ausgabe der „tagesthemen“ vom 11. Dezember 2023 (hier archiviert). Darin geht es allerdings nicht um „GEZ Sender“, also deutsche Rundfunkanstalten, sondern um das polnische Parlament, das nach der Vertrauensfrage des damals amtierenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki dessen Gegenkandidaten Donald Tusk wählte (hier archiviert).
Passagen aus Originalvideo herausgeschnitten
Ab Minute 4:10 beginnt der Ausschnitt (hier archiviert), der auch im Clip in sozialen Medien zu sehen ist. Allerdings wird hier deutlich, dass Passagen herausgeschnitten und somit der Zusammenhang verfälscht wurde.
So gibt die ARD-Moderatorin im Studio, Jessy Wellmer, mit den Worten „in Warschau“ an ihre Kollegin Kristin Joachim, was im geschnittenen Clip nicht zu hören ist. Auch aus der Antwort geht hier der korrekte Kontext hervor (herausgeschnittene Passagen hervorgehoben): „Das wird nicht einfach werden, aber ein Mittel könnte sein – und dazu will Donald Tusk auch sehr schnell greifen – die öffentlich-rechtlichen Medien zu reformieren, neu aufzustellen. Also wieder unabhängig zu machen, wieder ausgewogen berichten zu lassen.“
Weiter sagt sie: „Denn die PiS hatte ja vor allem den Fernsehsender TVP in den letzten acht Jahren ihrer Regierungszeit zu einem Propagandaorgan der Regierung ausgebaut. Da wurden jeden Abend Lügen, da wurden Unwahrheiten, da wurde Hass und Hetze gegenüber Minderheiten, gegenüber der Opposition verbreitet. Und all das hat dazu geführt, ist ein wichtiger Teil gewesen warum die Gesellschaft hier im Land so gespalten ist. Also da will Donald Tusk ran und ich denke, das könnte schon ein wichtiges Mittel sein.“
Die Beiträge zu Coronaimpfungen stammen aus zahlreichen verschiedenen Sendungen. Durch weitere Rückwärtssuchen konnte AFP die Aufnahmen zuordnen: Die erste zeigt den Kommentar von MDR-Journalistin Sarah Frühauf in den „tagesthemen“ vom 19. November 2021 zur Solidarität mit Impf-Gegnern (hier archiviert). Der darauffolgende, anschließend mehrfach eingeblendete Ausschnitt stammt aus der ZDF-Satiresendung „Bosetti will reden“ vom 8. Dezember 2021 (hier archiviert). Danach wurde ein Ausschnitt aus dem „tagesthemen“-Kommentar von NDR-Journalistin Hanni Hüsch vom 25. Oktober 2021 zum Impfstatus von Fußballer Joshua Kimmich verwendet (hier archiviert). Schließlich kommt noch ein Ausschnitt aus dem „tagesthemen“-Kommentar von SWR-Journalistin Kristina Böker vom 4. August 2021 in dem Clip vor (hier archiviert).
„tagesschau“ stellt Video richtig
Die „tagesschau“ veröffentlichte auf X einen Beitrag zu dem verfälschten Video (hier archiviert) und teilte darin einen Artikel mit der Einordnung der Inhalte des Videos (hier archiviert). „Das Interview ist offenbar sinnentstellt zusammengeschnitten“, wird dort Marcus Bornheim, Chefredakteur von „ARD-aktuell“ zitiert. „Die Kollegin Joachim ist unsere Korrespondentin in Warschau und redet über die polnische Innenpolitik und die Rolle des Rundfunks in Polen.“ Ihm zufolge sei das Ziel des Videos, den Ruf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schädigen.
Fazit: Das Video der „tagesthemen“ wurde manipuliert. In der online geteilten Version wurde der Zusammenhang zur damals unmittelbar bevorstehenden Wahl Donald Tusks als polnischer Ministerpräsident herausgeschnitten. Das zeigte sowohl das Originalvideo als auch die öffentliche Richtigstellung der ARD.
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