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Oldtimer hat den Titel „nachhaltigstes Auto der Welt“ nicht verdient

Verbrenner, Hybrid oder Elektro: Der Autoantrieb ist in sozialen Medien ein oft emotional aufgeladenes Thema. Online ging zuletzt ein Post mit der Behauptung viral, dass ein dieselbetriebener Mercedes aus den 1970er-Jahren das nachhaltigste Auto der Welt sei. Dazu wurden weitere angebliche Fakten über die Leistung und Umweltfreundlichkeit des Modells geteilt. Doch wie Expertinnen und Experten gegenüber AFP erklärten, sind diese Behauptungen irreführend. 

Auf den Markt gebracht wurde der Mercedes 240D bereits im Jahr 1975. Dennoch heißt es in einem zehntausendfach geteilten Facebook-Post, dieses Auto sei „das nachhaltigste Auto der Welt“. Das Mercedes-Modell wäre für „30 Jahre und 600.000 Kilometer Nutzung“ gebaut worden und fahre nun oft mit „über 2 Millionen Kilometer und 45 Jahren immer noch zuverlässig im Taxi Dienst“. Zudem könne es „einfach sauber und CO2 neutral betrieben werden“. Darauf folgt eine Auflistung von möglichen Antriebsstoffen des Autos, beispielsweise Fischöl und altes Frittierfett.

Neben weiteren Facebook-Beiträgen identischen Inhalts wurde der Post auch in X-Kanälen und auf Telegram verbreitet. In übersetzter Form findet sich die Behauptung zudem auf Englisch, Niederländisch und Russisch.

Alle Posts beziehen sich dabei inhaltlich auf einen Facebook-Beitrag des Vereins Bundesverband Verbrennungsmotor, der am 1. April 2021 zum ersten Mal veröffentlicht wurde und seitdem über 36.000 Mal geteilt wurde.

Facebook-Screenshot der viralen Behauptung: 8. August 2024

Der Verband setzt sich laut Website dafür ein, „langfristig Mobilität im Verkehr auf den Einsatz Erneuerbarer Energien umzustellen“. Der dazugehörige Facebook-Kanal ist in der Vergangenheit jedoch hauptsächlich durch zahlreiche irreführende elekromobilitätskritische Beiträge aufgefallen. Dort finden sich einseitig dargestellte Nachrichten über die Gefahren von Elektroautos und vermeintlich umweltfreundliche Verbrennungsmotoren.

Auf AFP-Nachfrage zur Quelle der Behauptungen über den Mercedes 240D schrieb Jörg Sand, Vorstand des Bundesverband Verbrennungsmotor e.V., am 14. August 2024 per E-Mail: „Ich bin selbst Motorjournalist und Fachbuchautor, ich habe die Daten und Fakten dazu gesammelt und ausgewertet.“

Fachexpertinnen und -experten erklärten jedoch gegenüber AFP, dass die geteilte Behauptung irreführend ist.

Unklare Definition von Nachhaltigkeit

In dem Beitrag wird behauptet, das Mercedes-Modell 240D sei aufgrund seiner langen Nutzungsdauer das „nachhaltigste Auto der Welt“. Problematisch ist diese Formulierung, da die Definition von Nachhaltigkeit soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte umfasst. Aus dem Post geht nicht klar hervor, auf welche Dimension von Nachhaltigkeit er sich bezieht. „Treffender wäre hier der Begriff werthaltig“, sagte Maximilian Fichtner am 9. August 2024 gegenüber AFP. Der Professor für Festkörperchemie und geschäftsführende Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung (HIU) sowie Abteilungsleiter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) forscht seit vielen Jahren zu Energiespeichersystemen. „Natürlich ist es eine Leistung, wenn ein PKW anderthalb Millionen Kilometer fährt. Aber es kommt ja auch darauf an, wie er fährt“, erklärte Fichtner. Es sei durchaus ressourcenschonend, ein Auto möglichst lang zu fahren, da so die CO2-Emissionen aus der Fahrzeugproduktion nur einmal aufgewendet werden.

„Eine hohe und heute in der Regel nicht mehr erreichbare Nachhaltigkeit mit Fokus auf einen möglichst langen Betrieb kann man attestieren“, bestätigte ADAC-Sprecher Micha Gebhardt am 31. Juli 2024 gegenüber AFP. Doch von einem ökologisch nachhaltigen Antrieb könne bei einem so alten Verbrenner nicht gesprochen werden: „Alte Diesel-Fahrzeuge ohne Abgasnachbehandlung haben einen höheren Partikelausstoß als moderne Diesel/Benzin-Fahrzeuge“, führte Gebhardt aus. „Auch der Ausstoß an unverbrannten Kohlenwasserstoffen oder je nach Fahrzeug Stickoxiden kann nicht unerheblich sein.“ Zu diesen ökologischen Bedenken kämen außerdem Fragen der sozialen Nachhaltigkeit hinzu, „da die Fahrzeugsicherheit für Insassen und andere Verkehrsteilnehmer in keiner Weise dem Stand der Technik entspricht“, erklärte Gebhardt.

Von Seiten des Autoherstellers Mercedes-Benz wird die Behauptung, das Modell 240D sei auf Platz eins der nachhaltigsten Autos, nicht bestätigt: „Die Automobillandschaft der 1970er-Jahre unterscheidet sich grundlegend von der heutigen. Der Fokus damals lag auf dem Kraftstoffverbrauch, weshalb Autos wie der ikonische 240D so beliebt wurden. Heutzutage sind die Vorschriften und Richtlinien aus gutem Grund viel strenger“, schrieb Miriam Weiss, Sprecherin für Nachhaltigkeitskommunikation bei Mercedes-Benz, am 2. August 2024 auf AFP-Anfrage.

Heute achte Mercedes-Benz bei der Entwicklung von Neuwagen auf die „Umweltperformance während des gesamten Lebenszyklus“, erklärte Weiss und verwies auf die 360° Umweltchecks, die einen umfangreichen Überblick über den ökologischen Fußabdruck unterschiedlicher Mercedes-Modelle liefern. Als Beispiel für ein aus ökologischer Sicht besonders nachhaltiges Mercedes-Modell nannte Weiss den Mercedes-Benz EQE 350+ aus dem aktuellen Elektrofahrzeugportfolio. Demnach sei es nicht zutreffend, das Modell 240D als nachhaltigsten Mercedes der Welt zu bezeichnen – geschweige denn als nachhaltigstes Auto.

Irreführende Angaben zur Laufzeit

Online wird zudem behauptet, der Mercedes 240D sei für 30 Jahre Laufzeit gebaut worden, während die aktuelle Lebensdauer eines neuen Autos lediglich sieben Jahre betrage. Diesen Aussagen widersprach Mercedes-Benz-Sprecherin Miriam Weiss: Eine definierte Lebensdauer von 30 Jahren habe Mercedes-Benz für das Modell nie kommuniziert. „Qualität und Langlebigkeit sind seit jeher fester Bestandteil der Mercedes-Benz DNA“, schrieb Weiss, doch „die tatsächliche Lebensdauer ist von vielen Faktoren abhängig, eine vorgegebene Zeit gibt es nicht“.

 

Auch ein Nachfolgemodell des 240D, der Mercedes 190D, wird in vielen afrikanischen Ländern als Taxi genutzt – wie hier im mauretanischen Nouakchott – MICHELE CATTANI / AFP

 

ADAC-Sprecher Micha Gebhardt fügte hinzu, dass in den 1970er-Jahren „der Spardruck auf die Hersteller noch nicht so hoch war wie heute“. Daraus ergebe sich, dass im Jahr 1975 hergestellte Autos bei entsprechender Pflege tatsächlich wie im Post behauptet mitunter über 45 Jahre lang fahren würden. „Hilfreich ist dabei auch, dass die verbaute Technik gut repariert werden kann und Mercedes sehr lange die Ersatzteilversorgung sicherstellt“, erklärte Gebhardt. Allerdings sei der 240D mit diesen Eigenschaften keineswegs das einzige Auto weltweit: Auch andere Modelle, wie zum Beispiel der Hindustan Ambassador, seien ähnlich langlebig und bis heute als Taxi in indischen Städten im Einsatz, weshalb der Superlativ für den Mercedes nicht zutreffe.

240D fährt auch mit Altöl nicht CO2-neutral

Im Post findet sich außerdem eine ganze Liste von alternativen Kraftstoffen, mit denen der Motor des 240D angeblich sauber und CO2-neutral betrieben werden könne: „Nussöl, Fischöl, Rapsöl, Sonnenblumenöl, Jatropaöl, Palmöl, PTL Diesel, Care Diesel, Altes Frittierfett, Biodiesel.“ ADAC-Sprecher Gebhardt sagte dazu, dass der 240D tatsächlich mit „erstaunlich vielen dieselähnlichen Stoffen“ betrieben werden könne. Das sei möglich, da „aufgrund der simplen und robusten Technik die Anforderungen an den Kraftstoff nicht so hoch sind wie bei modernen Motoren“.

Doch CO2-neutral ist ein solcher Antrieb laut Expertenmeinung nicht: Werden biogene Reststoffe, wie unbehandeltes Speiseöl oder altes Frittierfett als Kraftstoff verwendet, dann habe dies „klimatechnisch null Effekt“, schrieb Maximilian Fichtner vom HIU und KIT am 8. August 2024 per E-Mail. Altölaufbereitung werde immer wieder als nachhaltige „Lösung für die Bestandsflotte“ von alten Verbrennern proklamiert. Doch realistisch sei dies nicht: Pro Person fielen in Deutschland pro Jahr lediglich circa 1,3 Kilogramm Altfette und -öle an. Diese Reststoffe würden „bereits jetzt in Industrieprozessen als Zusatzbrennstoff eingesetzt“, um die dortige Treibhausgasbilanz zu verbessern. „Nimmt man die Öle in Zukunft dort weg und steckt sie dann nach einem aufwendigen chemischen Prozess in einen ineffizienten Verbrenner“, dann müssten die im Industrieprozess fehlenden Kraftstoffe durch Öl und Gas ersetzt werden. In der Gesamtbilanz erhöhe das den Ausstoß von CO2. „Zu behaupten, dass man damit die Klimaproblematik lösen kann, ist absolut aus der Luft gegriffen“, bilanzierte Fichtner.

Auch bei der Nutzung von Kraftstoffen, die mit Hilfe von erneuerbaren Energien synthetisch hergestellt werden – sogenannten E-Fuels – verbessere sich die Schadstoffkonzentration nicht: „E-Fuels sind beileibe nicht ‚klimaneutral'“, so Fichtner. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) schreibt auf seiner Website dazu: „Werden E-Fuels aus dem deutschen Strommix hergestellt, wird die darin ohnehin schon enthaltene Emissionslast aus Kohle- und anderen Kraftwerken nochmals potenziert.“ Autos, die auf Basis solcher Kraftstoffe fahren, schneiden demnach im Klimaschutz nicht nur deutlich schlechter ab als E-Autos, sondern auch schlechter als herkömmliche Benzin- oder Dieselbetriebene Verbrenner.

Mercedes-Sprecherin Weiss wies darauf hin, dass von Herstellerseite keine alternativen Kraftstoffe für den 240D empfohlen werden: „Grundsätzlich gibt es keine werksseitige Freigabe für den Betrieb von klassischen Mercedes-Benz-Fahrzeugen mit alternativen, aus Pflanzenöl hergestellten Kraftstoffen.“ Um ein Auto möglichst lang betreiben zu können, „sollten Besitzer nur den dafür vorgesehenen, an Tankstellen erhältlichen Dieselkraftstoff verwenden“, riet sie.

Nachhaltigstes Auto der Welt ist ein E-Auto

„Es gibt keinen Autoantrieb, der klimaneutral ist“, sagte Maximilian Fichtner vom HIU und KIT am 9. August 2024 gegenüber AFP. „Auch die Elektromobilität ist nicht klimaneutral.“ Doch mit Blick auf die gesamte Ökobilanz der Produktion, Laufzeit, Antrieb und Recycling eines Autos hätte „ein kleiner Elektroflitzer“ den Titel des nachhaltigsten Autos der Welt verdient – und kein Diesel-Oldtimer.

Micha Gebhardt vom ADAC stimmte dem indirekt zu und empfahl das Verbraucherschutzprogramm GreeNCAP für aktuelle Testergebnisse zu besonders nachhaltigen Autos weltweit. In einem sehr umfangreichen Testverfahren ermittelt GreeNCAP demnach in standardisierten Verfahren die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Autos. Mit dem Greener Choice LCA Award als besonders nachhaltig ausgezeichnet wurden im Jahr 2023 lediglich fünf Fahrzeuge: Dacia Spring, Renault Megane E-Tech, Tesla Model 3, MG 5 und der GWM ORA 03. Bei allen fünf ausgezeichneten Autos handelt es sich um Fahrzeuge mit Elektroantrieb.

Die Produktion von E-Autos ist zwar durch den Herstellungsprozess von Batterien sehr energieintensiv und mit einem hohen Ausstoß von Treibhausgasen verbunden. „Elektrofahrzeuge verursachen bei der Herstellung in der Regel mehr Treibhausgasemissionen als konventionelle Pkw, die mit Diesel oder Benzin betrieben werden“, heißt es etwa in einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI). Je nach Energiequelle, Energieeffizienz der Produktion und Batteriegröße fielen zwischen 70 und 130 Prozent höhere Treibhausgasemissionen an als bei der Herstellung von Benzin- oder Dieselfahrzeugen.

Maximilian Fichtner vom HIU und KIT erklärte jedoch, dass die bloße Betrachtung des Herstellungsprozesses von Elektroautos nicht ausreiche, um ihre Ökobilanz zu beurteilen. Über ihren gesamten Lebensweg seien Elektroautos gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren deutlich effizienter. „Wenn man die Fertigung der Fahrzeuge mit einbezieht, übersteigt der Treibhausgasausstoß von Verbrennern den von E-Autos nach wenigen zehntausend Kilometern, je nach Batteriegröße und der Frage, wo und wie die Batterie sowie das Auto hergestellt wurde.“

CO2-Ausstoß von Elektrofahrzeugen und konventionellen Pkw über die gesamte Lebensdauer im Vergleich, Stand 28. März 2022 (BMUV, auf Basis von ifeu-Daten)

Diese Grafik des BMUV zeigt, dass ein heute gekauftes Elektroauto im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor unter Klimagesichtspunkten besser abschneidet – und zwar auch beim aktuellen deutschen Strommix.

Vorsprung der E-Fahrzeuge wird zunehmen

„Generell kann man sagen, dass der Fußabdruck von Elektrofahrzeugen immer weiter schrumpft“, sagte Fichtner von HIU und KIT. Je weiter die Energiewende voranschreite, also je mehr erneuerbare Energie in den Strommix eingespeist werde, desto ökologisch nachhaltiger fahren E-Autos. Auch das BMUV schreibt entsprechend: „Elektroautos sind so sauber wie der Strom, mit dem sie fahren.“ Gleichzeitig werde sich die Bilanz fossiler Kraftstoffe in Zukunft eher verschlechtern, prognostizierte Fichtner, da mit immer knapper werdenden fossilen Ressourcen zunehmend auf die klimaschädliche Förderung aus Teersanden und durch Fracking zurückgegriffen werde.

CO2-Emissionen aufgeschlüsselt nach Batteriefahrzeugen, Diesel und Benzin (HIU / Ref. M. Wietschel et al., FhG-ISI, 2019)

AFP hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Falschbehauptungen über die ökologischen Kosten von Verbrennungs- gegenüber Elektroautos untersucht. Veröffentlicht wurden beispielsweise Faktenchecks über die Produktion von Elektroauto-Batterien, ein vermeintlich explodierendes E-Auto, das Video eines angeblich brennenden Elektrobusses in Italien, das Foto eines angeblichen E-Auto-Friedhofs in Frankreich oder über das Video eines angeblich explodierenden Elektroautos.

Fazit: Online kursierende Behauptungen, ein altes Mercedes-Modell aus den 1970er-Jahren sei das nachhaltigste Auto der Welt, sind irreführend: Ein Auto möglichst lange zu nutzen und bei Verschleiß zu reparieren, ist zwar durchaus klimafreundlich und aus ökologischer Sicht nachhaltig. Doch laut Expertinnen und Experten sind moderne Elektrofahrzeuge mit Blick auf ihre gesamte Laufzeit klimafreundlicher als alte Verbrenner.

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Wirtschaft, Umwelt

Autor(en): Gundula HAAGE / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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