Die EU-Innenministerinnen und -minister einigten sich im Dezember 2025 auf Verschärfungen der gemeinsamen Asylpolitik. Im Vorfeld kursierte eine irreführende Behauptung, wonach die Polizei in Deutschland nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Personen, die abgeschoben werden sollen, hierfür angeblich nicht mehr abholen dürfe. Damit würden Abschiebungen „faktisch unmöglich“ sein. Doch das ist unzutreffend. Laut dem den Posts zugrundeliegenden Beschluss braucht die Polizei nur vorab einen Durchsuchungsbeschluss. Das Dokument selbst sowie mehrere Fachleute bestätigten dies.
Das Bundesverfassungsgericht habe „Abschiebungen faktisch unmöglich gemacht“, schrieb die rechtsextremistische Kleinstpartei Freie Sachsen in einem Beitrag auf ihrem Telegram-Kanal, der seit 20. November 2025 mehr als 40.000 Mal angesehen wurde. Laut der Behauptung dürfte die Polizei „die Zimmer in Asylheimen nicht mehr betreten, um die Gesuchten abzuholen und zum Flughafen zu geleiten“. Der Post suggeriert, dass abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber bloß nicht die Tür öffnen müssten, dann könnten sie im Land bleiben.
Zur Veranschaulichung einer Abschiebung teilen Userinnen und User begleitend ein Bild von zwei Polizisten, die eine schwarze Person festhalten. Laut Beschreibung wurde das Bild mit dem Chatbot Grok, der von Elon Musks Unternehmen xAI entwickelt wurde, KI-generiert.
Die Behauptung wurde ebenfalls auf Facebook verbreitet. Der entsprechende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde auch vom rechtsgerichteten Portal Nius ähnlich irreführend wiedergegeben.

Doch die Beiträge stellen die Rechtslage trügerisch dar.
Beschluss betrifft nicht Abschiebung selbst
Die Behauptung wird auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 2025 gestützt. Doch wie das Gericht mitteilte, bezog sich der Sachverhalt auf eine unrechtmäßige Hausdurchsuchung in einer Gemeinschaftsunterkunft, nicht auf Abschiebungen per se.
In dem Verfahren ging es um einen Geflüchteten aus Guinea, dessen Antrag auf Asyl in Deutschland im Jahr 2018 abgelehnt wurde. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte der Geflüchtete seinen Asylantrag in Italien stellen sollen. Das sogenannte Dublin-Verfahren gibt in der Europäischen Union (EU) sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz vor, dass für die Durchführung des Asylverfahrens grundsätzlich jener Staat zuständig ist, in den Geflüchtete zuerst eingereist sind. Deshalb sollte er 2019 nach Italien überstellt werden. Da er für die Abschiebung nicht anwesend war, kam die Polizei zu seiner Gemeinschaftsunterkunft in Berlin, um ihn abzuholen, wie im Beschluss geschildert ist. Sie klopfte wiederholt und brach die Tür mit einer Ramme auf. Ein richterlicher Durchsuchungsbefehl lag nicht vor. Dieser wäre jedoch erforderlich gewesen, schrieb das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 30. September 2025. Das Gericht stellte klar, dass der Vorgang rechtlich als Durchsuchung zu werten ist, für die zuvor eine richterliche Anordnung erforderlich ist. Das geht auch aus einer Pressemitteilung vom 20. November 2025 hervor. Ein Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts verwies am 11. Dezember 2025 auf AFP-Anfrage auf den darin beschriebenen korrekten Sachverhalt.
„Das Bundesverfassungsgericht äußert sich nicht zu der Frage, ob die Abschiebung selbst unzulässig ist“, fasste der Jurist Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam die Entscheidung am 11. Dezember 2025 gegenüber AFP zusammen. Der Beschluss bedeute also nicht, dass abgewiesene Asylbewerberinnen und -bewerber nicht mehr in Gewahrsam genommen und abgeschoben werden dürfen. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung könne üblicherweise binnen weniger Tage erteilt werden. Bei akuten Straftaten oder Gefahren würden Polizistinnen und Polizisten „gegebenenfalls einen Durchsuchungsbefehl durch den Bereitschaftsdienst der Gerichte erhalten“.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würde klarstellen, „dass auch den Bewohnerinnen und Bewohnern von Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der räumlichen Privatsphäre zusteht“, sagte der Migrationsrechtler Johannes Eichenhofer von der Universität Leipzig am 12. Dezember 2025 auf AFP-Anfrage.
Widerstand bei Abschiebungen laut Expertin gering
Juristin Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das Verfahren unterstützte, stellte am 11. Dezember 2025 gegenüber AFP ebenfalls richtig, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine richterliche Durchsuchungsanordnung für notwendig erklärte: „Das heißt aber nicht, dass Abschiebungen nicht mehr möglich sind, sondern nur, dass die Polizei sich dafür einen richterlichen Beschluss holen muss.“ In den „allermeisten Fällen“ würde das Gericht den Beschluss erteilen „und die Polizei kann das Schlafzimmer betreten, um die Person abzuschieben“. Das sei vor Ort jedoch „oft“ nicht erforderlich. Abschiebungen würden „nicht daran scheitern, dass sich Menschen verbarrikadieren“.
Das gehe etwa aus einer Antwort der Bundesregierung vom Dezember 2024 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor, auf die Lincoln verwies. Demnach würden die Fälle der Renitenz, also der Widerstände bei Abschiebungen, „mit 158 Fällen nur 0,5 Prozent der gescheiterten Überstellungsversuche“ im Zeitraum Januar bis Oktober 2024 ausmachen. Als drei Hauptgründe für gescheiterte Abschiebungen nannte die Bundesregierung ein Scheitern aufgrund der Mitgliedstaaten, Untätigkeit der Auslandsbehörden oder untergetauchte Geflüchtete.
In sozialen Medien scheint die Frage, warum ein abgelehnter Asylbewerber gegen die polizeiliche Durchsuchung klagen konnte, für Irritationen zu sorgen. Dazu sagte Zimmermann: Artikel 13 im Grundgesetz, der die Unverletzlichkeit der Wohnung schützt, gelte „für alle unabhängig von ihrer Herkunft oder Staatsangehörigkeit“. Er sei „also ein Menschen- und nicht nur ein Deutschenrecht“. Deshalb habe der Betroffene Verfassungsbeschwerde einlegen und sich auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung berufen können.
EU beschloss Verschärfung der Asylpolitik
Anders als die irreführenden Beiträge in sozialen Medien suggerieren, soll in der EU eine strengere Asylpolitik gelten. Anfang Dezember 2025 einigten sich die Innenministerinnen und -minister der EU-Mitgliedstaaten auf eine Verschärfung der Regeln für Abschiebungen. Unter anderem sollen Menschen ohne Bleiberecht härter bestraft werden, wenn sie sich weigern, die EU zu verlassen. Sie sollen über sogenannte Rückführungszentren in Drittstaaten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Nach den neuen Regeln sollen Asylsuchende künftig zudem direkt an den EU-Außengrenzen zurückgewiesen werden können, wenn ihr Antrag nicht erfolgsversprechend ist. Die Maßnahmen müssen noch vom EU-Parlament gebilligt werden.
AFP überprüfte mehrere Behauptungen zum Thema Asyl und Migration.
Fazit: Online kursierte die irreführende Behauptung, dass die Polizei Personen nach einem Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts nicht mehr in ihrer Unterkunft abholen dürfe, um sie abzuschieben. Dadurch würden Abschiebungen „faktisch unmöglich“ sein. Stattdessen braucht die Polizei laut der Entscheidung jedoch nur vorab einen Durchsuchungsbeschluss. Das Dokument selbst sowie mehrere Fachleute bestätigten dies.
