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Die Erderwärmung gefährdet die Gesundheit

Ob Januar, März oder Juni: Das Jahr 2024 verzeichnete bereits mehrere Rekorde des jeweils heißesten Monats seit Beginn der Aufzeichnung. In sozialen Medien zirkulieren derweil klimawandelskeptische Behauptungen, die die Gefahren der Erderwärmung herunterspielen. Nutzerinnen und Nutzer verweisen dabei auf eine Studie aus der Fachzeitschrift „The Lancet“ und behaupten, durch die Erderwärmung würden mehr Menschenleben gerettet als bedroht. Die Daten werden online allerdings falsch wiedergegeben, erklärte ein Studienautor gegenüber AFP. Einige Zahlen wurden zudem irreführend verrechnet, um die Gefahren des menschengemachten Klimawandels herunterzuspielen.

„Lancet-Studie enthüllt die Lüge über die scheinbaren Klimatoten weltweit“, heißt es in einem Facebook-Post vom 23. Juli 2024. Dazu wird eine Studie der Zeitschrift „The Lancet“ aus dem Jahr 2021 verlinkt und eine Tabelle geteilt, die temperaturbedingte Todesfälle nach Kontinenten aufgeschlüsselt auflistet. „Weltweit überwiegen Kältetote die Hitzetoten um den Faktor 10“, schreibt ein weiterer Facebook-Nutzer, der die gleiche Studie verlinkt.

Die Behauptungen zirkulieren zudem auf X und werden zehntausendfach auf Telegram angeklickt. „Schon gewusst? In Afrika gibt es mehr Kältetote als Hitzetote“, schrieb etwa ein Telegram-Nutzer dazu.

Telegram- und Facebook-Screenshots der Behauptung: 1. August 2024

Die in den Posts verlinkte Studie des „Lancet“ wurde im Juli 2021 unter dem Titel „Global, regional, and national burden of mortality associated with non-optimal ambient temperatures from 2000 to 2019“ veröffentlicht. Darin wurden Todesfälle weltweit untersucht, die durch „nicht optimale“ Temperaturen verursacht wurden. Die Autorinnen und Autoren der Studie schlussfolgerten, dass die meisten temperaturbezogenen Todesfälle zwischen 2000 und 2019 eher mit kalten als mit warmen Temperaturen zusammenhingen.

Klimaexpertinnen und -experten, darunter ein Autor der Studie, erklärten AFP, dass die „Lancet“-Daten über rein temperaturbezogene Todesfälle nicht dafür geeignet seien, um daraus direkte Schlussfolgerungen über klimawandelbezogene Todesfälle zu ziehen.

In der Vergangenheit wurden Daten aus der „Lancet“-Studie bereits mehrfach aus ihrem Kontext gerissen, um damit den Klimawandel anzuzweifeln. Im Jahr 2023 widerlegte AFP bereits die Behauptung, dass höhere Temperaturen als Folge der Erderwärmung ungefährlich für die menschliche Gesundheit seien.

Daten aus dem Kontext der Originalstudie gerissen

„Der Klimawandel wirkt sich nicht nur auf die temperaturbedingte Sterblichkeit aus, sondern hat auch andere direkte und indirekte Folgen“, erklärte Yuming Guo, der an der „Lancet“-Studie mitgearbeitet hatte, am 25. Juli 2024 gegenüber AFP. Er verwies auf mehrere klimasensitive Faktoren wie Überschwemmungen, Dürren und Luftverschmutzung, die das Sterberisiko in einigen Bevölkerungsgruppen deutlich erhöhen können.

Guo lehrt an der australischen Monash-Universität in Melbourne globale Umweltgesundheit und Biostatistik. Er erklärte, sein Team habe herausgefunden, dass es aufgrund der globalen Erwärmung „in den meisten Teilen der Welt zu einem Nettoanstieg der temperaturbedingten Todesfälle kommen wird“.

Andere Studien haben gezeigt, dass die Zahlen der Todesfälle und Krankheiten im Zusammenhang mit Hitzewellen bereits in den vergangenen zehn Jahren zugenommen haben.

Guo bestätigte, dass in der „Lancet“-Studie höhere Zahlen für Todesfälle durch Kälte als durch Hitze genannt werden. Aber: „Die Schlussfolgerung, dass der Klimawandel Leben rettet, ist eindeutig voreingenommen“, sagte er und führte weiter aus: „Es ist offensichtlich, dass der Klimawandel ernsthafte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat.“ Darin seien sich ernstzunehmende wissenschaftliche Stimmen einig, wie es ein Faktenblatt aus dem sechsten Bericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) zusammenfasst.

Irreführende Rechnung

Einige der Beiträge in sozialen Medien beinhalten die Behauptung, dass durch die wärmeren Temperaturen als Folge des Klimawandels jedes Jahr „166.000 Menschenleben gerettet“ würden. Diese Behauptung wurde erstmals am 19. Juli 2024 in einem Facebook-Post des dänischen Statistikers und Autors Bjorn Lomborg auf Englisch veröffentlicht. Lomborg schrieb unter anderem ein Buch, in dem er argumentierte, die weltweite Sorge über den Klimawandel erzeuge mehr Schaden als Nutzen.

Lomborg errechnete in einem X-Thread die irreführende Zahl von 166.000 Menschenleben, in dem er die Differenz zwischen weltweiten kälte- und hitzebedingten Todesfällen in den Jahren 2000 bis 2019 darlegte: „Temperaturanstieg von 2000-19 bedeutet mehr Hitzetote (116.000), aber auch weniger Kältetote (283.000). Die Erderwärmung verhindert damit 166.000 Todesfälle pro Jahr“, schrieb er dazu.

In der „Lancet“-Studie heißt es zwar tatsächlich, dass die globale Erwärmung „kurzfristig zu einer leichten Verringerung der temperaturbedingten Todesfälle führen könnte, obwohl auf lange Sicht zu erwarten ist, dass der Klimawandel die Sterblichkeitsrate erhöht“. Studienautor Guo erklärte dazu: „Von 2000 bis 2019 ging die kältebedingte Sterblichkeit zurück, während die hitzebedingte Sterblichkeit zunahm, was zu einem Netto-Rückgang der Gesamtsterblichkeit führte.“ Doch er betonte gleichzeitig, dass Lomborgs Schlussfolgerungen falsch seien: „Viele weitere Faktoren tragen zu den überhöhten Sterberaten bei. Es ist nicht richtig, diesen Nettorückgang allein dem Klimawandel zuzuschreiben.“

Auch die Klimaexpertin Lisa Alexander, Professorin für Klimatologie an der Universität von New South Wales in Australien, sagte am 24. Juli 2024 gegenüber AFP, dass die Beiträge in den sozialen Medien irreführend seien, weil sie sich auf einen einzigen Datensatz beschränkten.

„Kurzfristig könnte man von so etwas wie einem ‚Nettorückgang‘ der Todeszahlen durch die globale Erwärmung sprechen. Doch die Geschichte ist viel komplizierter“, sagte Alexander. „Die Auswirkungen von Hitze werden in der Regel durch andere Faktoren beeinträchtigt – Gesundheit, sozioökonomischer Status, Alter, und so weiter“, erklärte sie.

Unzureichende Daten über hitzebezogene Todesfälle

Laut Aussage von mehreren Klimaexpertinnen und -experten ist es grundsätzlich kompliziert, exakte Daten zu klimawandelbedingten Todesfällen zu erhalten. „Hitzetote werden überall stark unterberichtet“, sagte etwa Caradee Wright, leitende Forscherin beim Südafrikanischen Rat für medizinische Forschung, am 3. August 2023 gegenüber AFP. Darum sei es auch sehr schwierig, genaue Daten über hitzebedingte Gesundheitsprobleme zu sammeln – insbesondere in Ländern des Globalen Südens.

Ein Hitzschlagpatient, der in ein Krankenhaus eingeliefert wird, werde für gewöhnlich auch mit Grunderkrankungen wie Diabetes oder Atembeschwerden diagnostiziert, erklärte Wright. Diese Krankheiten würden häufig als Todesursache angeführt und die Hitze tauche seltener in der Statistik auf.

Klimatologin Lisa Alexander von der Universität New South Wales verwies auf Landarbeiter, die im Januar 2023 in verschiedenen Teilen Südafrikas an einem Hitzschlag gestorben waren. Sie fügte hinzu, dass insbesondere Menschen, die unter harten Bedingungen im Freien arbeiten und denen es an Ventilatoren, Wasser oder Klimaanlagen mangelt, „die Hauptlast der gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze tragen werden“.

Gleichzeitig werde über diese Bevölkerungsgruppen vergleichsweise wenig geforscht und berichtet, führte Alexander aus: „Insbesondere aus vielen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen Hitze ein großes Problem darstellt, haben wir kaum verlässliche Daten über Todesursachen und Übersterblichkeit.“

Ein Schafhirte auf der rissigen Erde am al-Massira-Damm im Dorf Ouled Essi Masseoud, etwa 140 Kilometer südlich von Casablanca, am 6. März 2024 – Fadel SENNA / AFP

Auch Klimaexperte Elfatih Eltahir, Professor am US-amerikanischen MIT-Zentrum für Klimawandel in Cambridge, betonte am 23. Juli 2024 gegenüber AFP, dass „das Risiko durch extreme Temperaturen erheblich variiert“ und von vielen sozioökonomischen Faktoren abhänge. „Verschiedene Gemeinden sind unterschiedlich stark durch Klimaveränderungen gefährdet und weisen ein unterschiedliches Maß an Vulnerabilität auf“, erklärte er.

Hitzebedingte Todesfälle nehmen zu

Der IPCC stellte in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 fest, dass die vergangenen vier Jahrzehnte jeweils wärmer waren als jedes vorangegangene Jahrzehnt seit 1850. „Es ist eindeutig, dass die Atmosphäre, die Ozeane und das Land durch menschlichen Einfluss erwärmt wurden“, so der Bericht.

Je nach Erwärmungsniveau und Ort werde der Anteil der Menschen, die tödlichem Hitzestress ausgesetzt sind, laut IPCC-Daten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts von 30 Prozent auf 48 bis 76 Prozent steigen – und damit aller Voraussicht nach auch die hitzebedingten Todesfälle.

Im Jahr 2024 gab es bereits mehrere Hitzewellen in weiten Teilen der Welt, darunter osteuropäische Länder, Japan sowie Nord- und Mittelamerika. In Marokko starben kürzlich mindestens 21 Menschen innerhalb von 24 Stunden durch extreme Temperaturen.

Alle Faktenchecks zu falschen und irreführenden Behauptungen über den Klimawandel sind auf der AFP-Website zu finden.

Fazit: Online kursiert die irreführende Behauptung, die Erderwärmung würde jährlich 166.000 Menschenleben bewahren. Dazu wird eine „Lancet“-Studie aus dem Jahr 2021 verlinkt. Die Daten der Studie wurden allerdings aus ihrem eigentlichen Kontext gerissen, um die Gefahren des Klimawandels herunterzuspielen, erklärte ein Studienautor gegenüber AFP. Laut mehreren Klimaexpertinnen und -experten führt die Erderwärmung tatsächlich zu mehr Krankheiten und Todesfällen, insbesondere bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen.

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Klimawandel, Gesundheit

Autor(en): Gundula HAAGE / Manon JACOB / AFP USA

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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