Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen nimmt keine ukrainischen Geflüchteten auf - Featured image

Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen nimmt keine ukrainischen Geflüchteten auf

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin ist heute eine Bildungs- und Gedenkstätte, die sich mit den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands auseinandersetzt. Auf dem Gelände werden keine ukrainischen Geflüchteten untergebracht. Das behaupten jedoch verschiedene Postings, die seit Anfang Juli in sozialen Netzwerken geteilt werden.

Die Behauptung: Die aktuell geteilten Beiträge zeigen den Screenshot eines angeblichen Instagram-Postings der Gedenkstätte Sachsenhausen. Im Beitragstext heißt es, die Gedenkstätte hätte ukrainischen Geflüchteten Unterkünfte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ) angeboten. Auf einem Bild von zwei Häftlingsbaracken des Lagers sind zwei Spruchbänder in den ukrainischen Nationalfarben zu erkennen mit der Aufschrift: „Willkommen zu Hause“.

Nutzerinnen und Nutzer verbreiteten die Behauptung seit Anfang Juli 2022 auf Facebook (hier, hier) und Twitter. Zehntausende sahen sie auf Telegram (hier, hier). Ähnliche Postings kursierten zudem auf Englisch, Spanisch, Polnisch und Russisch. Einige User korrigierten nach der Veröffentlichung einer Richtigstellung durch die Gedenkstätte ihre Postings entsprechend oder entfernten sie ganz.

Verschiedene regionale Medien berichteten über den gefälschten Screenshot (hier, hier, hier). Das Rechercheprojekt Correctiv überprüfte die Behauptung in einem Faktencheck vom 12. Juli.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 12.07.2022

Über Geflüchtete aus der Ukraine kursieren immer wieder Falschbehauptungen im Netz. So verbreitete sich im Juni 2022 die Falschbehauptung, ukrainische Geflüchtete dürften in Deutschland früher in Rente gehen. Ende März 2022 behaupteten Nutzerinnen und Nutzer fälschlicherweise, ein „Mob ukrainischer Flüchtlinge“ habe einen 16-jährigen Jungen in Nordrhein-Westfalen getötet. Außerdem verbreiteten User alte Aufnahmen eines Brandes mit der Falschbehauptung, diese zeigten ein von ukrainischen Geflüchteten in Brand gesetztes Haus.

Manipuliertes Foto des ehemaligen KZ Sachsenhausen

Der aktuell verbreitete Screenshot zeigt einen Instagram-Beitrag eines Profils mit dem Namen „Sachsenhausenmemorial“ und einem weißen Gebäude als Profilbild. Auch das echte Instagram-Profil der Gedenkstätte trägt den Namen „Sachsenhausenmemorial“ und hat das Torgebäude des ehemaligen KZ als Profilbild. Die Instagram-Schaltflächen auf dem Screenshot sind auf Russisch. Auffällig ist, dass in dem aktuell geteilten Screenshot die Rede vom „Museumskomplex“ ist. In anderen Beiträgen auf Instagram wird stets die Selbstbezeichnung „Gedenkstätte Sachsenhausen“ verwendet. Auch der Begriff „Territorium“ für das Gedenkstättengelände ist unüblich.

Der Screenshot beinhaltet ein Foto zweier Lagerbaracken, an denen blau-gelbe Spruchbänder mit der Aufschrift „Willkommen zu Hause“ angebracht sind. Eine Rückwärtssuche mit dem Bild mit Hilfe von Google führte AFP zur Website eines Anbieters für geführte touristische Ausflüge aus Berlin. Das Unternehmen bietet unter anderem auch eine Tour in die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen im nördlichen Berliner Umland an.

In dem entsprechenden Eintrag auf der Website findet sich auch das Foto der beiden Lagerbaracken – allerdings ohne die blau-gelben Spruchbänder. Sowohl die Perspektive, aus der das Foto aufgenommen wurde, als auch die Wolkenformation und die Vegetation belegen, dass es sich um dasselbe Bild handelt. Die Spruchbänder müssen also nachträglich hinzugefügt worden sein. Laut der Metadaten des Fotos wurde es am 18. März 2019 zuletzt bearbeitet. Auch eine archivierte Version der Seite vom 14. August 2020 zeigt das Foto bereits ohne die Spruchbänder. Andere Tourismusanbieter verwenden das Bild ohne die Spruchbänder ebenfalls seit Jahren (hier, hier).

Gegenüberstellung des Fotos des Tourenanbieters (links) und dem Bild des manipulierten Screenshots (rechts) (Collage und Hervorhebung: AFP)

Die Gedenkstätte Sachsenhausen distanzierte sich am 12. Juli 2022 auf ihren Profilen in sozialen Netzwerken (Facebook, Twitter, Instagram) von den aktuell verbreiteten Behauptungen. Der Instagram-Screenshot sei gefälscht, heißt es in deutscher, englischer und russischer Sprache. „Wir verurteilen es, dass zunehmend Fake-News mit Bezügen zur NS-Geschichte eingesetzt werden, um plumpe Propaganda zu betreiben. Dagegen setzen wir wissenschaftsbasierte Geschichtsvermittlung und Aufklärung.“ Sie werde gegen die Fälschung rechtlich vorgehen, schrieb die Gedenkstätte. AFP konnte kein solches Posting mit der vermeintlichen Ankündiung auf Social-Media-Kanälen der Gedenkstätte finden.

 

Gedenkstätte will rechtliche Schritte einleiten

Der Pressesprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die die Gedenkstätte Sachsenhausen betreibt, Klaus Sefering, bestätigte das Dementi am 12. Juli 2022 gegenüber AFP. „Der Screenshot ist eine Fälschung. Wir haben die Polizei eingeschaltet, um zu prüfen, ob hier eine Straftat vorliegt“, sagte Sefering im Gespräch mit AFP. In dem Screenshot wird behauptet, die ukrainischen Geflüchteten sollen in einem eigens gebauten „temporären Hotel“ auf dem Gedenkstättengelände untergebracht werden. Sefering wies auch diese Behauptung im Gespräch mit AFP zurück: „Es gibt kein Hotel auf unserem Gelände.“

Für die Unterbringung von Geflüchteten sind in Brandenburg laut Landesaufnahmegesetz die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Constanze Gatzke ist die Pressesprecherin des Landkreises Oberhavel, in dem sich die Gedenkstätte Sachsenhausen befindet. Sie erklärte am 13. Juli 2022 per E-Mail gegenüber AFP, es habe von Seiten des Kreises zu „keinem Zeitpunkt“ Überlegungen gegeben, Geflüchtete aus der Ukraine auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen unterzubringen.

Insgesamt seien bislang 2450 Ukrainerinnen und Ukrainer in Oberhavel untergekommen, davon rund 300 in Liegenschaften des Kreises. „Der Großteil der Geflüchteten ist in privaten Haushalten untergebracht“, schrieb Gatzke. Die Kreisverwaltung habe für die kurzfristige Unterbringung vereinzelt leer stehende Gebäude angemietet, eine Umnutzung eines Gebäudes habe es nur in einem Fall gegeben: In den ersten Wochen nach Kriegsausbruch sei eine Turnhalle als Erstaufnahmeunterkunft für wenige neu ankommende Geflüchtete eingerichtet worden.

Fazit: Die Gedenkstätte Sachsenhausen hat nicht auf Instagram angekündigt, Geflüchtete aus der Ukraine unterbringen zu wollen. Der aktuell geteilte Screenshot ist eine Fälschung. Das erklärten sowohl die Gedenkstätte Sachsenhausen als auch der Landkreis Oberhavel, der für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig ist.

Fact Checker Logo

Politik

Autor(en): Feliks TODTMANN, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen