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Dieser Vergleich zu Todesfällen im Sport ist irreführend

Impfskeptische verbreiten online immer wieder Behauptungen, die von einem plötzlichen Anstieg an Todesfällen seit Einführung der Corona-Impfungen sprechen. In einem seit Anfang Januar 2023 geteilten Sharepic heißt es dazu, im Jahr 2021 seien so viele Sportlerinnen und Sportler an Herzanfällen gestorben wie insgesamt in den Jahren 1966 bis 2004. Der Vergleich basiert allerdings auf einer online veröffentlichten Auflistung von Herzstillständen, die nicht nur aktive Sportlerinnen oder Sportler betreffen. Medizinerinnen und Mediziner erklärten gegenüber AFP, aus dem Vergleich ließe sich keine Verbindung zwischen Corona-Impfungen und Todesfällen ableiten. 

Hunderte User haben die Behauptungen zu Herzanfällen im Sport auf Facebook geteilt. Auch auf Instagram, Telegram und Twitter kursierten entsprechende Beiträge. Die Behauptung verbreitete sich ebenfalls auf Englisch und Französisch.

Die Behauptung: „Im Jahre 2021 sind so viele Sportler an Herzanfällen verstorben wie 1966 – 2004 zusammen“, heißt es in einem Sharepic. Dazu wird in einigen Beiträgen erklärt, der US-Kardiologe Peter McCullough sei Quelle des Vergleichs.

Instagram-Screenshot der Behauptung: 25. Januar 2023

Die aktuell geteilten Beiträge kamen kurz nach dem Herzstillstand des US-Footballspielers Damar Hamlin in Umlauf. Dieser ereignete sich am 2. Januar 2023 während eines NFL-Spiels. Hamlin wurde anschließend in kritischem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert, woraufhin online über einen Zusammenhang mit den Corona-Impfstoffen spekuliert wurde. AFP überprüfte in der Vergangenheit bereits ähnliche Behauptungen, wonach Corona-Impfungen angeblich zu vermehrten Herzstillständen im Fußball geführt habe.

Worauf berufen sich die Zahlen?

Die online kursierenden Beiträge geben den US-Kardiologen Peter McCullough als Quelle des Vergleichs an. McCullough ist AFP bereits in der Vergangenheit mehrfach mit Falschbehauptungen aufgefallen, die in verschiedenen Faktenchecks widerlegt wurden (hier, hier).

Am 3. Januar 2023 veröffentlichte McCullough einen Tweet, in dem er einen von ihm mitverfassten Brief an die Herausgeber im Scandinavion Journal of Immunology, einer Fachzeitschrift der Skandinavischen Gesellschaft für Immunologie, teilte. Darin erläutert der Kardiologie, dass seit Beginn der Corona-Impfungen genauso viele Sportlerinnen und Sportler an einem Herzstillstand verstorben seien wie im Zeitraum von 1966 bis 2004. Am selben Tag erklärte McCullough auf dem US-Sender Fox News, dass Herzerkrankungen wie die von Hamlin womöglich mit den Covid-19-Impfstoffen zusammenhingen. Diese könnten „tödlich“ sein.

In McCulloughs Brief vergleicht der Kardiologie zwei Veröffentlichungen, die die Grundlage der aktuell verbreiteten Behauptungen bilden. Zum einen wird eine 2006 erschienene Studie aus dem European Journal of Preventive Cardiology. Die Arbeit ist „peer-reviewed„, sie wurde also von unabhängigen Forschenden begutachtet.

In der Arbeit untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Verbindungen zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC) Berichte in medizinischen Datenbanken über Fälle von plötzlichem Herztod unter jungen Athleten. Dabei stießen sie auf 1101 Berichte bei Sportlerinnen und Sportlern unter 35 im Zeitraum von 1966 bis 2004.

In der Studie heißt es dazu: „Plötzlicher Herztod tritt häufiger bei jungen Athleten sogar denen unter 18 Jahren auf als erwartet und wird hauptsächlich durch bereits vorhandene angeborene Herzanomalien ausgelöst.“ Die Fälle würden häufiger unter Sportlern als Nicht-Sportlern auftreten.

In seinem Brief nutzte McCullough diese Ergebnisse, um einen Vergleich mit Berichten zu kollabierten und verstorbenen Sportlern zu bemühen, die auf der Website „GoodSciencing.com“ gesammelt werden. Die Website wird nach eigenen Angaben von einer anonymen Gruppe von „Ermittlern, Nachrichtenredakteuren, Journalisten und Wahrheitssuchern“ betrieben.

Dort wurde in einem Beitrag von Ende Dezember 2022 behauptet, seit Beginn der Corona-Impfungen habe es 1598 Herzstillstände unter Athletinnen und Athleten gegeben. Davon seien 1101 verstorben. Dazu schreibt „GoodSciencing.com“: „Es ist definitiv nicht normal, dass so viele junge Athleten an Herzstillständen leiden oder beim Spielen ihres Sports sterben, dieses Jahr passiert das aber.“ Viele der Fälle seien angeblich kurz nach Verabreichung der Corona-Impfung aufgetreten.

Als vermeintliche Belege liefert die Website eine umfangreiche Liste an Nachrichtenbeiträgen über Menschen, die aufgrund einer Vielzahl an Erkrankungen und Umständen zusammenbrachen oder verstarben. Die Liste kann allerdings nicht beweisen, dass mehr als 1000 Sportlerinnen und Sportler seit Beginn der Corona-Impfungen an einem plötzlichen Herztod starben.

Jonathan Kim, leitender Sportkardiologe an der Universitätsklinik Emory in Atlanta, erklärte am 5. Januar 2023 gegenüber AFP, die online gestellte Liste sei Unsinn und keine seriöse Wissenschaft. „Diese ‚Berichte‘ in diesem Blog, wenn man sie so nennen kann, stammen aus der ganzen Welt und aus allen Altersgruppen. Es handelt sich nicht um ein seriöses Leistungssportler-Register, bei dem alle Fälle ordnungsgemäß überprüft wurden.“

GoodSciencing.com verweist beispielsweise auf Berichte über Mike Leach, den Cheftrainer des Football-Teams der Mississippi State University, der Mitte Dezember an einem schweren Herzinfarkt verstarb. Die Website verweist ebenfalls auf Berichte über den Tod eines 62-jährigen kanadischen Curlingspielers und eines 25-jährigen norwegischen Orientierungsläufers. Beide verstarben allerdings an Krebs. In keinem der Berichte wird ein Zusammenhang zur Corona-Impfung hergestellt.

Neel Chokshi, Leiter für Sportkardiologie und des Fitnessprogramms am medizinischen Zentrum Penn Medicine in Philadelphia, erklärte am 5. Januar in einer E-Mail an AFP, es sei schwierig, einen Blog-Post mit einer Liste an Ereignissen direkt mit einer wissenschaftlichen Studie zu vergleichen. Es werde nicht beschrieben, wie die Menschen in dem Blog-Beitrag ausgesucht wurden. „Daher wäre es ungenau, die beiden Datensätze für die gestellte Frage zu vergleichen.“

Er fügte hinzu: „Die hier vorgelegten Daten stützen nicht die Annahme, dass Impfstoffe einen Anstieg plötzlicher Todesfälle verursacht haben.“

Auch Susanne Berrisch-Rahmel, Sprecherin der AG Sport und Prävention des deutschen Bundesverbands niedergelassener Kardiologen, erklärte am 30. Januar 2023 gegenüber AFP, die verwendete Website mit der Auflistung der Todesfälle sei nicht seriös. Ein Zusammenhang mit der Corona-Impfung könne hier nicht hergestellt werden. Zudem sei ein solcher Anstieg in keinem offiziellen Register aufgefallen.

In einer Erläuterung zum sogenannten SCD-Register der Universität des Saarlandes, dem Register zum plötzlichen Herztod beim Sport in Deutschland, heißt es online, in Deutschland würden jährlich nur einige hundert Menschen beim Sport an einem plötzlichen Herztod sterben. „Die Häufigkeit plötzlicher Herztodesfälle bei jungen Sportlern wird mit 0,5 bis 3 pro 100.000 und Jahr angegeben und steigt ab dem 35. bis 40. Lebensjahr an.“ Das Risiko eines plötzlichen Herztods sei abhängig vom Geschlecht und Alter. In 90 Prozent der Fälle seien Männer betroffen, am häufigsten im Alter zwischen 40 und 50. Ein höheres Risiko bestehe auch bei einer höheren Belastungsintensität. Besonders Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien eine häufige Ursache für Todesfälle im Sport.

Belege für Todesfälle fehlen 

Laut der Cleveland Clinic ist der plötzliche Herztod mit jährlich etwa 325.00 Fällen bei Erwachsenen die häufigste natürliche Todesursache in den USA. Die Hälfte aller Todesfälle im Zusammenhang mit Herzerkrankungen gehe darauf zurück. Am häufigsten betroffen seien erwachsene Männer in ihren mittleren 30ern und 40ern.

In Deutschland sterben laut Deutschem Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung jährlich etwa 65.000 Menschen an plötzlichem Herztod. Das entspreche 20 Prozent aller durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachten Todesfälle.

Die US-Gesundheitsbehörde CDC beobachtet einige seltene „unerwünschte Ereignisse von Interesse“, die nach der Covid-19-Impfung gemeldet wurden –  darunter auch Herzbeschwerden, die zum plötzlichen Herztod führen können. Dazu zählt beispielsweise Myokarditis, also eine Herzmuskelentzündung. Solche Erkrankungen treten jedoch weitaus häufiger nach einer Covid-19-Infektion als nach einer Impfung auf, und laut CDC gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Impfung massenhaft Menschen tötet.

Auch in Deutschland berichtete das für die Impfstoffüberwachung zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit Stand vom 31. Oktober 2022 von sehr seltenen Fällen von Myokarditis oder Perikarditis, einer Herzbeutelentzündung, nach Gabe von bivalenten, also angepassten, mRNA-Impfstoffen. Bis Ende Oktober 2022 sei zudem kein neues Risikosignal aufgrund der erhaltenen Verdachtsfallmeldungen zu möglichen Nebenwirkungen der angepassten mRNA-Impfstoffe von BioNTech und Moderna ausgemacht worden.

In zwei Verdachtsfällen zu einem Tod nach Verabreichung der angepassten mRNA-Impfstoffe, darunter ein Herzinfarkt, sehe das PEI aufgrund der vorliegenden Informationen und Grunderkrankungen keinen ursächlichen Zusammenhang zur Impfung. Zudem sei in mehreren Studien gezeigt worden, dass die Corona-Impfungen „insgesamt und insbesondere auch bei älteren Menschen“ zu keiner Übersterblichkeit führten, so das Institut.

Im PEI-Sicherheitsbericht für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2021 schrieb das Institut zu den damals verabreichten Impfstoffen, es seien 18 Todesfälle einer Myo- oder Perikarditis im zeitlichen Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung gemeldet worden. In fünf Fällen sei ein Zusammenhang mit der Impfung auf Basis der Autopsieberichte als möglich bewertet worden. Für die anderen Fälle sei es zu dem Zeitpunkt nicht möglich gewesen, einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen.

Die US-Gesundheitsbehörde CDC erklärte am 4. Januar 2023 gegenüber AFP, es sei „wissenschaftlich ungenau, irreführend und unverantwortlich“, Todesfälle nach einer Impfung auch mit Todesfällen gleichzusetzen, die durch die Impfung verursacht wurden. „Die Covid-19-Impfstoffe werden der intensivsten Sicherheitsüberwachung in der Geschichte der USA unterzogen. Bis heute hat die CDC keine ungewöhnlichen oder unerwarteten Muster für Todesfälle nach Impfungen festgestellt, die darauf hindeuten würden, dass Covid-Impfstoffe Todesfälle verursachen oder zu ihnen beitragen.“

Die CDC sowie die US-Arzneimittelbehörde FDA haben in neun Todesfällen einen kausalen Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson festgestellt, der mit einer seltenen Blutgerinnungserkrankung in Verbindung gebracht wird. Die CDC empfiehlt daher die Impfungen von Pfizer oder Moderna gegenüber denen von Johnson & Johnson.

Gegenüber AFP erklärte die CDC, sie empfehle, dass sich jeder, der dafür infrage kommt, impfen lassen sollte.

Fazit: Dem Vergleich von Todesfällen im Sport fehlt die Basis. Der für die Verbreitung von Falschbehauptungen bekannte US-Kardiologe Peter McCullough bezieht sich dafür auf eine Liste mit Nachrichtenbeiträgen zu Menschen, die aufgrund einer Vielzahl an Erkrankungen und Umständen zusammenbrachen oder verstarben. Die Berichte stammen teils aus aller Welt und verschiedenen Altersgruppen, ein Zusammenhang mit Corona-Impfungen wird darin nicht beschrieben. Einige der Berichte beziehen sich zum Beispiel sogar auf Todesfälle durch Krebs. Die Liste sei nicht seriös und belege keinen Zusammenhang zur Impfung, erklärten Expertinnen und Experten gegenüber AFP.

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Corona, Gesundheit

Autor(en): Daniel FUNKE, Saladin SALEM, AFP USA, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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