Ein seit 2013 nicht mehr genutztes Kirchengebäude in Deutschland wurde 2018 vom Energiekonzern RWE im Rahmen der Erweiterung eines Braunkohle-Tagebaus abgerissen. In ungarischen Facebook-Posts vom Februar 2024 wurde der Abriss des Gebäudes fälschlicherweise mit dem Islam in Verbindung gebracht und behauptet, dass „sie Kirchen zerstören und Moscheen bauen“. RWE bestätigte jedoch gegenüber AFP, dass das Gebäude von ihnen abgerissen wurde und Satellitenbilder zeigen, dass kein anderes Gebäude an Stelle der Kirche errichtet wurde. Die deutsche katholische Kirche erklärte gegenüber AFP, dass sie von keiner abgerissenen ehemaligen Kirche wissen, die später durch eine Moschee ersetzt worden wäre. Einem Experten zufolge sind abgerissene oder für einen anderen Zweck als für Gottesdienste genutzte Kirchengebäude in Deutschland meist auf die sinkenden Mitgliederzahlen in evangelischen und katholischen Kirchengemeinschaften zurückzuführen.
Ein Video, das zeigt, wie ein Kirchengebäude mit Baumaschinen abgerissen wird, wurde seit Anfang Februar 2024 von Hunderten geteilt und über 50.000 Mal angesehen. Das Video, das auf Facebook zum Beispiel hier, hier und hier geteilt wurde, trägt den ungarischen Titel: „Sie reißen Kirchen ab und bauen Moscheen“. Im Video ist der Schriftzug „Das ist Deutsche Zukunft“ zu lesen, zudem ist Orgelmusik zu hören.
Während einige Nutzerinnen und Nutzer im Kommentarbereich richtig anmerkten, dass das Kirchengebäude wegen einer Erweiterung eines Braunkohle-Tagebaus abgerissen wurde, glaubten viele andere, dass dies irgendwie mit dem Islam in Deutschland zusammenhänge. „Clever, die müssen ja die Bedürfnisse der vielen bunten ‚Hirnchirurgen‘ und ‚Ingenieure‘ befriedigen, damit sie nach ihrem anstrengenden Arbeitsalltag einen Platz zum Beten haben“, kommentierte jemand. „Jetzt haben also der Islam und die Migranten das Sagen, nicht der deutsche Staat“, schrieb ein anderer.
Die ungarische Regierung behauptet regelmäßig, beispielsweise hier, dass es „Pläne“ gäbe, die europäische Bevölkerung und „christliche Kultur“ durch Migranten aus hauptsächlich islamischen Ländern in einem „Bevölkerungsaustausch“ zu ersetzen. Ungarische Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien haben bereits andere irreführende Behauptungen zu diesem Thema geteilt und AFP hat einige von ihnen überprüft, wie hier.
Die Beiträge sind jedoch in hohem Maße irreführend und die Unterstellung, dass der Abriss des Kirchengebäudes in dem Video etwas mit dem Islam zu tun hat, ist falsch. AFP berichtete bereits 2018, dass die Kirche bereits 2013 entweiht und 2018 von einem Energieunternehmen abgerissen wurde, nachdem dieses im Zuge der Erweiterung eines Kohletagebaus mehrere Ortschaften umsiedeln musste. Das Unternehmen, das das Gebäude abreißen ließ, bestätigte all dies gegenüber AFP im Februar 2024.
Ein Experte erklärte gegenüber AFP, dass es in Deutschland zwar einige Kirchengebäude gibt, die keine sakralen Funktionen mehr erfüllen und von denen auch einige abgerissen wurden, dass dies aber hauptsächlich mit dem Rückgang der Mitgliederzahlen zu tun habe und keineswegs mit dem Islam. Außerdem teilte ein Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland AFP mit, dass die überwiegende Mehrheit der Kirchengebäude in Deutschland unter Denkmalschutz stände.
Ehemaliges Kirchengebäude wurde im Rahmen einer Kohletagebau-Erweiterung abgerissen
AFP führte eine Google-Suche mit den Begriffen „Kirchengebäude abgerissen“ durch. Dabei wurden ähnliche Bilder wie in den veröffentlichten Beiträgen gefunden, wie beispielsweise dieser Artikel des „Deutschlandfunk Kultur“ mit dem Titel: „Der Kohle geopfert: ‚Abriss des Immerather Doms‘ – Wie gehen wir mit unserem Kulturgut um?“
Der Artikel berichtet über die Bemühungen, Teile der Kirche in Deutschland zu retten, die 2018 im Zuge der Erweiterung des Kohletagebaus Garzweiler II abgerissen wurde.
Mit diesen Informationen ließ sich ein AFP-Bericht aus dem Jahr 2018 finden. Der Abriss der geschichtsträchtigen deutschen Kirche in Immerath sorgte damals für Empörung.
AFP berichtete, dass 2013 das Ende des Wohngebiets von Immerath in Nordrhein-Westfalen und der dortigen Kirche beschlossen wurde. Damals stellte das deutsche Verfassungsgericht fest, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht, dem Energiekonzern RWE die Erweiterung seines nahe gelegenen Braunkohletagebaus Garzweiler zu erlauben. Rund 900 Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner mussten ihr Zuhause verlassen, um Platz für den Tagebau zu schaffen – in der ganzen Region um Immerath waren es insgesamt 7900 Menschen.
Auf AFP-Anfrage bestätigte Guido Steffen, Sprecher des internationalen Energiekonzerns RWE Power AG, in einer E-Mail vom 8. Februar 2024, dass „die Videosequenz auf Facebook den 2018 erfolgten Abriss der ehemaligen katholischen Pfarrkirche im umgesiedelten Dorf Immerath zeigt, die für den von RWE betriebenen Tagebau Garzweiler weichen musste.“
Der Standort der ehemaligen Kirche und des Wohngebiets kann auf Google Earth lokalisiert werden. Die Satellitenfotos von 2015 beziehungsweise 2022 zeigen, dass das gesamte Gebiet abgerissen wurde, um dem Tagebau Platz zu machen.
Debatte über die Räumung von Wohngebieten wegen der Tagebau-Erweiterung
Um den Abriss der Kirche wurde eine hitzige Debatte geführt – mit dem Islam hatte diese jedoch nichts zu tun. Wie AFP berichtete, ist Deutschland zwar allmählich aus der Kernenergie ausgestiegen, setzt aber nach wie vor stark auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe und ist weiterhin der größte Emittent in der Europäischen Union – was Umweltschützerinnen und Umweltschützer stark kritisieren.
Im Mittelpunkt der Proteste steht häufig der Kohletagebau Garzweiler. Einerseits weil – wie in diesem AFP-Video erläutert – die Betriebszeit trotz lokaler Klimaziele und der Pläne zur Stilllegung immer wieder verlängert wird und andererseits, weil viele Dörfer und Kleinstädte geräumt werden mussten, um Platz für den immer größer werdenden Tagebau zu schaffen.
Im Zuge der Erweiterung von Garzweiler II mussten auch Teile der Stadt Erkelenz (darunter Immerath) abgerissen und umgesiedelt werden – wie das „Virtuelle Museum Erkelenz“ dokumentiert.
Das Museum zeichnet ein detailliertes Bild des Abrisses der Kirche. Dem Artikel zufolge begann der Abriss der Kirche offiziell am 8. Januar 2018 und erlangte große mediale Aufmerksamkeit. Dies wird auf die Tatsache zurückgeführt, dass die Einheimischen das alte Kirchengebäude inoffiziell als „Kathedrale von Immerath“ bezeichneten, obwohl es sich streng genommen nicht um eine Kathedrale handelte.
Der Artikel des virtuellen Museums enthält eine lange Liste aller Medienberichte über den Abriss der Kirche, darunter auch das Video der „WDR Lokalzeit“. In dem Video sind einige Szenen fast identisch mit denen, die in dem Facebook-Video zu sehen sind:
In den verschiedenen Berichten über den Abriss der „Kathedrale von Immerath“ heißt es, dass ein Teil der Demonstrantinnen und Demonstranten wütend auf die Politik war, weil sie den Abriss zuließen. Andere gaben wiederum dem Energieunternehmen die Schuld und Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten protestierten generell gegen die anhaltende Nutzung fossiler Brennstoffe. Moscheen oder der Islam wurden jedoch in keinem der von AFP gesichteten Berichte erwähnt.
Auf Google Maps kann man erkennen, dass sich die nächstgelegene Moschee in Hückelhoven in Nordrhein-Westfalen, befindet. Dieses Gebäude wurde im Jahr 2000 gekauft.
Abgerissene oder umgenutzte Kirchengebäude in Deutschland
Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, schrieb in einer E-Mail vom 8. Februar 2024 an AFP, dass man genau unterscheiden müsse „Gebäude werden profaniert – das heißt, sie sind dann keine Sakralgebäude mehr und können anders genutzt werden. Oder Gebäude werden abgerissen. Mir ist jedoch kein Fall in Deutschland bekannt, wo in einer Kirche eine Moschee eingerichtet wurde.“
Er fügte hinzu, dass es „katholischerseits aktuell bundesweit knapp 24.000 sakrale Kirchengebäude in Deutschland [gibt], davon sind etwa 22.800 denkmalgeschützt.“ Kulturdenkmäler sind in Deutschland von Gesetzes wegen gegen die „Zerstörung, Beschädigung oder sonstige Veränderungen der Substanz oder des Erscheinungsbildes“ oder die Entfernung vom Stand- oder Aufbewahrungsort geschützt.
Kopp führte weiter aus, dass 2023 bei insgesamt 650 katholischen Kirchen bundesweit die liturgische Nutzung beendet worden war, 239 davon zu dem Zeitpunkt verkauft waren und 177 mittlerweile abgerissen worden sind.“ Er fügt hinzu, dass „18 Abrisse katholischer Kirchen aufgrund staatlicher Zwangsenteignung zu montanindustriellen Zwecken [erfolgten], neun Kirchen wurden zwecks Baus von Talsperren geflutet.“
Der Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (Fowid), Carsten Frerk, schrieb am 8. Februar 2024 in einer E-Mail an AFP über die Behauptungen in sozialen Medien, dass „schon allein, dass dieses Video mit Orgel-Kirchenmusik unterlegt wurde die Absicht [zeigt], Stimmung zu machen.“ Die Forschungsgruppe Fowid will „auf empirischer und mit robusten wissenschaftlichen Methoden […] Daten und Fakten zu relevanten Aspekten von Weltanschauungen in Deutschland (und der Welt) erheben, auswerten und der Allgemeinheit zugänglich machen. Dafür würden sie „die gesamte Bandbreite an Fragen und Themen ab[-decken], die mit Weltanschauungen – gleich ob politischer, religiöser oder nicht-religiöser Art – einhergehen.“
Carsten Frerk merkte weiters an, dass „[es] die Thematik, dass Kirchen in Deutschland (und in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, etc.) entwidmet / profaniert werden, [zwar tatsächlich gibt], aber sie ist marginal.“ Weiters verwies er auf einen ausführlichen Bericht von Fowid aus dem Jahr 2018 zum Thema „entweihte und geschlossene Kirchengebäude“, in dem festgestellt wird, dass „in den vergangenen Jahrzehnten Kirchengebäude besonders in den Braunkohlegebieten oft wegen des Tagebaus weichen mussten.“
In dem Bericht wird weiters festgestellt, dass der Rückgang der Mitgliederzahlen in den evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland einerseits dazu führt, dass Kirchengebäude leer stehen, andererseits stellt das auch eine finanzielle Herausforderung dar, da die Haupteinnahmequelle der Kirchen in Deutschland die Kirchensteuer ist, die direkt von den Mitgliedern gezahlt wird.
„In der nicht-kirchlichen Nutzung gibt es verschiedenste Varianten und ganz selten kommt es vor, dass – sozusagen im interreligiösen Dialog – auch eine evangelische Kirche verkauft und zur Nutzung als Moschee umgebaut wird“, so Frerk weiters. Auch nennt er Beispiele aus Berlin, wo die Neuapostolische Kirche zwei ehemalige Kirchengebäude an einen islamischen Verein verkauft hat, und einen Fall aus Hamburg. „Dass eine Kirche abgerissen wurde, um an ihrer Stelle eine Moschee zu bauen, ist mir nicht bekannt„, so der Experte.
Nach Recherchen der „Zeit“ gibt es in Deutschland rund 2800 Moscheen, alle auf dem Gebiet des ehemaligen Westdeutschlands. Nur etwa zehn Prozent von ihnen sind als solche erkennbar, etwa durch ein Minarett oder eine Kuppel. Dem Artikel zufolge wurden seit 2011 rund 97 solcher Gebäude errichtet.
Fazit: Die Behauptung, die in den geteilten Facebook-Videos aufgestellt werden, wonach ein Kirchengebäude in Immerath abgerissen wurde, um durch eine Moschee ersetzt zu werden, ist falsch. Das Kirchengebäude wurde zwar im Jahr 2018 abgerissen, jedoch um Platz für eine Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler des Energiekonzerns RWE zu schaffen.