In mehreren Posts heißt es, Budanow habe angeblich in einem TV-Interview für den Fall eines Sieges der Ukraine die «physische Auslöschung» der Krim-Bewohner angekündigt. Dazu wird unter anderem ein entsprechendes Video mit deutschen Untertiteln vom staatlichen russischen Propagandamedium «RT» geteilt. Es soll die Aussagen belegen. Doch hat sich Budanow wirklich so geäußert?
Bewertung
Die Behauptung ist falsch, das Video wurde durch einen Zusammenschnitt manipuliert: Im Originalvideo sprach Kyrylo Budanow über die Herausforderungen für das Land nach einem Sieg der Ukraine. Demnach müssten die Menschen aus den derzeit von Russland besetzten Gebieten zunächst wieder in die Gesellschaft integriert werden. Von einer «Auslöschung» der Krim-Bewohner war dabei nie die Rede. An einer anderen Stelle spricht Budanow hingegen von «physischer Vernichtung» als gerechte Bestrafung, wenn es darum geht, bestimmte Personen für verübte Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen.
Fakten
In dem kursierenden Video des russischen Propagandamediums «RT» ist als Zeitangabe das Datum «19. Mai 2023» vermerkt. An diesem Tag ist auf Youtube tatsächlich ein Interview mit dem Direktor des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Generalmajor Kyrylo Budanow, hochgeladen worden. In dem knapp 40 Minuten langen Beitrag spricht der Geheimdienstler mit dem ukrainischen Journalisten Dmytro Komarow.
Komarow ist vor allem bekannt geworden als Moderator einer Sendung, die auf dem ukrainischen Fernsehsender «1+1» ausgestrahlt wird. Darin bereist er normalerweise verschiedene Länder und stellt diese vor. Im Zuge des russischen Überfalls der Ukraine hat der Journalist nun einen Dokumentarfilm mit dem Titel «Das Jahr» über den Krieg gedreht. Er spricht mit der Bevölkerung, Soldaten, Funktionären des Militärs oder auch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj. Einige Szenen haben bereits international für Aufmerksamkeit gesorgt, wie die dpa berichtete.
Auf dem Youtube-Kanal der Sendung hat der Journalist auch das Interview mit Kyrylo Budanow hochgeladen – samt englischer Untertitel. Inhaltlich geht es um verschiedene Themen, so fragt Komarow den Geheimdienstchef etwa, wie dieser den Tag des Überfalls erlebt hat (bei Minute 13:03). Dass der im Netz kursierende Clip aus diesem Video stammt, zeigt die Szene mit der Karte: Im verbreiteten «RT»-Clip ist direkt zu Beginn zu sehen, wie Journalist Komarow eine Karte hervorholt. Dieselbe Szene ist in dem Youtube-Interview bei Minute 32:53 zu sehen.
Und was passiert nach einem Sieg der Ukraine?
Zum Ende des Interviews (ab Minute 36:38) sprechen Komarow und Budanow über einen möglichen Sieg der Ukraine und die daraus resultierenden Folgen. Der Journalist stellt zunächst die Frage, welche Stadt auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim der Geheimdienstchef im Falle eines Sieges als erste besuchen würde. Budanow antwortet mit «Sewastopol». Das sei seine Heimatstadt. Diese Szene ist auch in dem kursierenden Clip zu sehen.
Angesprochen, was er nach dem Krieg gerne tun würde, stellt Budanow im dem Interview anschließend klar, dass mit Ende des Krieges die Normalität nicht sofort zurückkehre (ab Minute 36:56). Vielmehr würde für die Ukraine eine mehrjährige Zwischenphase folgen. So müssten nach einem Sieg laut Bodanow etwa drei Millionen Menschen aus den derzeit besetzen Gebieten – gemeint ist damit nicht nur die Krim – wieder integriert werden, da sie neun Jahre lang russischer Propaganda ausgesetzt waren. Der Journalist fragt nach: «Was sollten wir mit diesen Menschen tun?» Der Geheimdienstler antwortet: «Wir sollten diejenigen umerziehen, die umerzogen werden können.»
Komarow hakt an dieser Stelle (bei Minute 38:22) nochmal etwas zugespitzt nach, wie genau man diese Leute umerziehen sollte und fragt: «Mit Zuckerbrot oder mit der Peitsche?» Daraufhin entgegnet Budanow: «Mit allem, was wir haben. Sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche.» Von einer «physischen Auslöschung» der Krim-Bewohner ist an dieser Stelle und auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht die Rede.
Falscher Kontext: Aussage bezog sich auf bestimmte Kriegsverbrecher
In dem verbreiteten «RT»-Clip ist hingegen zu sehen, wie Budanow angeblich über «gerechte Bestrafung» redet und dann von «physischer Auslöschung». Diese Aussage wurde aus dem Zusammenhang gerissen: Ab Minute 19:03 geht es im Gespräch um die Gräueltaten und Kriegsverbrechen von russischen Soldaten an Ukrainerinnen und Ukrainern in Butscha. Komarow sagt, dass einige verantwortliche Gesichter bekannt seien und fragt, was nun die nächsten Schritte seien.
Daraufhin erklärt der Chef des Militärgeheimdienstes, dass alle verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen würden. Im englischen Untertitel wird seine Aussage mit «fair liability» übersetzt – auf Deutsch heißt das etwa «faire Haftung» oder eben «gerechte Bestrafung». Budanow führt anschließend aus, was er damit genau meint: Für bestimmte Personen könne eine gerechte Bestrafung nur die «physische Vernichtung» sein (im englischen Untertitel «physical extermination» bei Minute 19:30). Um die Bewohner der Krim ging es an dieser Stelle also nicht, sondern um Kriegsverbrecher.
Das Video wurde also manipulativ zusammengeschnitten. Darauf weist auch Journalist Dmytro Komarow in einer Nachricht in seinem Telegram-Kanal hin. Durch das Vertauschen von Fragen und Antworten sei der Sinn des Interviews verändert worden. Das könne man auch an der Audiospur des Videos erkennen, da die Töne an den geschnittenen Übergängen nicht zusammenpassen. Auch aus diesem Grund habe man für das Interview immer wieder mit Hintergrundmusik gearbeitet, weil dadurch Zusammenschnitte erkennbar werden, erklärt der Journalist.
Unterdessen können Kriegsverbrechen auf nationaler oder internationaler Ebene verfolgt werden. Nach Angaben des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) regelt das deutsche Strafrecht die Strafbarkeit von Kriegsverbrechen in den Paragrafen 8 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB). «Nach dem deutschen Strafrecht wird etwa die Tötung von Zivilisten und Kriegsgefangenen mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft», schreibt das BMJ. Bei internationaler Strafverfolgung erfolgt demnach die Strafzumessung je nach den Prozessregeln des jeweils tätig werdenden Gerichts.
(Stand: 13.6.2023)