Bewertung
Auf einigen Bildern der Dokumente finden sich eindeutige Spuren einer nachträglichen Bearbeitung. Durch die Manipulation soll der Eindruck entstehen, die Verluste der Ukraine seien deutlich größer als die russischen.
Fakten
Das mutmaßliche Geheimdokument, welches im Fokus steht, zeigt eine Karte der Front im Südosten der Ukraine. In der unteren linken Hälfte des Dokuments sind in einem Kasten die geschätzten Verluste an Soldaten und Kriegstechnik auf beiden Seiten von Beginn der Invasion bis zum 1. März 2023 aufgelistet.
Versionen mit unterschiedlichen Zahlen im Umlauf
Eine Version der Dokumente beziffert in diesem Kasten die russischen Verluste deutlich höher als die der ukrainischen Seite. Demnach sollen seit dem Einmarsch vor gut einem Jahr 35 500 bis 43 500 russische Soldaten getötet worden sein («35.5k – 43.5k KIA» für «killed in action»). Zudem soll Russland 72 Abfangjäger/Bomber, 82 Hubschrauber, sowie 6 004 Bodenfahrzeuge verloren haben.
Auf ukrainischer Seite sind 16 000 – 17 500 Soldaten, 60 Abfangjäger/Bomber, 32 Hubschrauber und 11 strategische, sowie 34 taktische Boden-Luft-Raketen («surface-to-air missiles» oder «SAMs») verzeichnet.
Eine andere Version des Dokuments zeichnet ein anderes Bild: Die 16 000 – 17 500 gefallenen Soldaten werden hier Russland zugeschrieben. Die ukrainischen Verluste belaufen sich laut dieser Darstellung auf 61 000 – 71 500 Soldaten.
Auch die Angaben beim Kriegsgerät weichen stark ab. Russland soll laut dieser Version 7 Abfangjäger/Bomber, 8 Hubschrauber und 600 Bodenfahrzeuge verloren haben, die Ukraine 60 Abfangjäger/Bomber, 32 Hubschrauber, sowie 21 strategische und 74 taktische SAMs.
Zahlen vertauscht und anders zusammengesetzt
Bei genauerem Hinsehen erkennt man Unstimmigkeiten in der Version, welche die russischen Verluste geringer zeichnet. Die angebliche Anzahl der mutmaßlich gefallenen russischen Soldaten («16k – 17.5k KIA»), die in der anderen Version die Verluste der Ukraine angibt, wurde schlicht kopiert und weiter oben eingefügt. Das erkennt man an der Neigung der Zeile, die nicht verändert wurde und daher nicht zu den darüber und darunter liegenden Zeilen passt.
Gleichzeitig hat man die ukrainischen Verluste vergrößert, indem Ziffern vertauscht wurden: 16 statt 61 und 17.5 statt 71.5. Dabei wurde die 6 jedoch etwas zu tief eingefügt. Außerdem ist der Abstand zwischen der 1 und dem Punkt zu groß, weil an dieser Stelle ursprünglich eine 7 stand, die breiter ist.
Bei den Angaben der angeblich verlorenen russischen Bodenfahrzeuge (600) fällt auf, dass der Abstand zwischen der 6 und der ersten 0 größer ist als beispielsweise bei der 60 drei Zeilen weiter unten. Dies kann man dadurch erklären, dass in der anderen Variante die Anzahl der russischen Fahrzeugverluste mit «6.004» angegeben wurde. Bei der Bearbeitung wurden zwar der Punkt und die Ziffer 4 gelöscht sowie der Folgetext nachgezogen. Der Abstand zwischen der 6 und der 0 wurde jedoch nicht angepasst.
Zweifelhafte Verlustangaben der russischen Luftwaffe
Auch die einstelligen Zahlen der angeblich verlorenen russischen Flugzeuge und Kampfhubschrauber werfen Fragen auf. Im Verlauf des letzten Jahres haben deutsche und internationale Medien immer wieder von abgeschossenen oder abgestürzten russischen Kampfjets berichtet.
Allein beim ukrainischen Angriff auf den russischen Luftwaffenstützpunkt Saki auf der Krim am 9. August 2022 wurden mehrere Flugzeuge zerstört. Auf kurz darauf veröffentlichten Satellitenbildern sind mindestens fünf Wracks zu erkennen. Ukrainische Quellen gehen davon aus, dass bei diesem Angriff mindestens 8 Flugzeuge zerstört wurden.
Auch wenn man Angaben derzeit nur schwer überprüfbar sind, ist es also äußerst unwahrscheinlich, dass Russland seit Beginn der Invasion nur sieben Flugzeuge verloren haben soll. So gehen beispielsweise die niederländische Webseite Oryx und der Kommandant der US-Luftwaffe in Europa, General James B. Hecker, von rund 70 zerstörten russischen Flugzeugen aus. Dies deckt sich mit den Angaben in der ersten Version des mutmaßlichen Geheimdokuments (72 Abfangjäger/Bomber).
Auf russischen Online-Foren werden zudem Listen gefallener russischer Luftwaffenoffiziere verbreitet. Vergleicht man diese mit offiziellen Todesanzeigen und Berichten auf russischen Nachrichtenseiten, lassen sich viele Piloten identifizieren, die nach offiziellen Angaben während einer Flugmission in der Ukraine gefallen sind (beispielsweise hier, hier, hier, hier oder hier).
FBI nimmt 21-jährigen Militärangehörigen fest
Recherchen ergaben, dass Teile der Geheimdokumente in unterschiedlicher Form bereits zu Beginn des Jahres 2023 auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht wurden. Das Investigativ-Netzwerk Bellingcat vermutet, dass einige der Dokumente sogar noch früher online gestellt worden sein könnten.
Laut Medienberichten haben das US-Justizministerium und das Pentagon eine Untersuchung der Daten-Leaks in die Wege geleitet. Ein 21-jähriger Verdächtiger wurde laut US-Justizminister Merrick Garland mittlerweile festgenommen.
(Stand: 14.4.2023)