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Kasachisches Video wird als Aufnahme des Erdbebens in der Türkei geteilt

Zum tödlichen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet am 6. Februar 2023 kursieren zahlreiche aus dem Zusammenhang gerissene Aufnahmen, die nichts mit der aktuellen Naturkatastrophe zu tun haben. Eine in sozialen Netzwerken geteilte Aufnahme, die angeblich Momente vor dem Erdbeben in der Türkei zeigen soll, ist alt und stammt aus Kasachstan. Es zeigt wahrscheinlich eine dort im Jahr 2022 abgefeuerte Rakete.

User haben die Behauptung seit dem Erdbeben auf Facebook und Twitter geteilt, auf dem Telegramkanal der prorussischen Influencerin Alina Lipp sahen es Zehntausende. Auch in zahlreichen anderen Sprachen wie Englisch, Spanisch und Bosnisch verbreitete sich die Behauptung.

Die Behauptung: Auf Englisch ist im Video der Text „vor dem Türkei-Erdbeben“ eingeblendet. Nutzerinnen und Nutzer verbreiten es als aktuelles Video aus der Türkei. Manche User deuten außerdem angebliche menschengemachte Ursachen des Erdbebens an.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 14. Februar 2023

Am Morgen des 6. Februar 2023 hatte ein Erdbeben der Stärke 7,8 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert. Unzählige Menschen wurden beim Einsturz ihrer Häuser getötet und verletzt. Seither kursieren zahlreiche alte Aufnahmen, etwa der Explosion in Beirut 2020 oder ein Foto eines Rettungshundes in den US, die fälschlich in Zusammenhang mit dem Erdbeben gebracht werden.

Video ist älter als Erdbeben

Umgekehrte Bildsuchen mit Bildern aus dem Video zeigen, dass das gleiche Material bereits vor dem Erdbeben veröffentlicht wurde. User teilten das Video etwa im Januar 2023 auf TikTok, im Oktober 2022 auf Twitter und am 25. September 2022 auf Telegram.

Dem Tweet zufolge hat das Video mit dem von Russland genutzten Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zu tun. Der Telegram-Post legt nahe, dass es in Balkasch, Kasachstan, aufgenommen wurde – rund tausend Kilometer Luftlinie östlich des Kosmodroms Baikonur.

AFP war nicht in der Lage, die Herkunft des Videos genau zu belegen. Pressemitteilungen der US-Weltraumbehörde Nasa und ein Artikel der kasachischen Nachrichtenagentur Kazinform berichten aber, dass eine russische Sojusrakete am 21. September 2022 vom Weltraumbahnhof Baiksonur zur Internationalen Raumstation ISS gestartet ist. Die Rakete MS-22 hob um 14.54 Uhr GMT mit einem Nasa-Astronauten und zwei russischen Kosmonauten an Bord ab. Die Rakete im Video bewegt sich von Westen nach Osten, was zur Flugbahn passen würde.

 

Der Kazinform-Bericht und ein Artikel einer anderen kasachischen Nachrichtenagentur enthalten Aufnahmen und Fotos der Rakete, auf denen ein Schweif zu sehen ist, der dem in dem online geteilten Video ähnelt.

Gefilmt in Kasachstan

Bei der Suche in Balkasch auf Google Maps Street View fand AFP Bilder der Stadt, die Gebäude, Straßenlaternen und Geländer zeigen, die mit dem online kursierendem Clip übereinstimmen.

Der Vergleich belegt, dass die Aufnahme in der Abaya-Straße in der Nähe des Kulturpalastes der Metallarbeiter in Balkasch gemacht wurde.

Screenshots von TikTok vom 10. Februar 2023 mit von AFP hervorgehobenen Elementen
Screenshot aus Google Maps Street View vom 10. Februar 2023 mit von AFP hervorgehobenen Elementen

Erdbeben entstehen natürlich

Manche User deuten an, dass der Lichtkegel etwas mit dem US-Forschungsprogramm HAARP zu tun haben könnte, das fälschlich in Zusammenhang mit dem Erdbeben in der Türkei und Syrien gebracht wird. Eine solche Behauptung hat AFP bereits überprüft.

Andere Postings erwähnen das sogenannte „Project Blue Beam“, eine Verschwörungserzählung, laut der die Nasa mittels moderner Technologie angeblich eine weltweite Religion zu etablieren versucht.

Erdbeben entstehen natürlich. Die tektonischen Platten, aus denen die Erdkruste besteht, sind ständig in Bewegung, wie die US-Universität Caltech online erklärt. Wenn die Ränder dieser Platten gegeneinander gleiten, können diese sich durch Reibung verlangsamen, wodurch sich mit der Zeit Druck aufbaut. „Wenn die Kraft der Bewegung schließlich die Reibung überwindet, brechen Teile der Kruste plötzlich ab oder werden verschoben, wodurch der aufgestaute Druck in Form von seismischen Wellen freigesetzt wird“, erklärt die Universität.

 

Darstellung und Erläuterung der Plattentektonik sowie verschiedener Wellentypen

Die Türkei liegt in einer Region, in der Erdbeben zu erwarten sind, an der ostanatolischen sowie nordanatolischen Verwerfung.

Das US-Forschungsprogramm HAARP (High-frequency Active Auroral Research Program) hat mit dem Beben nichts zu tun. Das Programm untersucht physikalische Prozesse, die in den oberen Bereichen unserer Atmosphäre ablaufen. Dazu nutzen Forschende einen Hochfrequenzsender.

Toshi Nishimura, Geophysiker am College of Engineering der Universität Boston, erklärte gegenüber AFP am 8. Februar 2023, dass ihm keine wissenschaftlichen Belege dafür bekannt seien, dass HAARP ein Erdbeben verursachen könnte. „Künstliche Radiowellen können die obere Atmosphäre lokal stören, aber das ist vergleichbar mit der Störung durch die Sonne. Mir sind keine wissenschaftlichen Beweise dafür bekannt, dass die künstlichen Wellen viel stärkere Störungen verursachen und lokale seismische Bedingungen beeinflussen können. Die Leistung der Wellen nimmt mit der Entfernung ab.“

Jeffrey Hughes, Professor für Astronomie an der Universität Boston, stimmte dem am 8. Februar 2023 zu. Er erklärte, dass die Funkwellen von HAARP die Ionosphäre in einem begrenzten Bereich von etwa 100 Kilometern aufheizten. „Es gibt keinen Weg, damit einen Effekt halb um die Erde herum in der festen Erde zu erzeugen. Es tut mir leid, aber das ist einfach nur dumm“, sagte er.

Michael Lockwood, Professor für Weltraumphysik an der Universität Reading in Großbritannien, ergänzte am 8. Februar 2023: „HAARP ist keine Waffe in irgendeiner Form, war nie eine und kann auch nicht als Waffe eingesetzt werden.“ Dass HAARP von Gakon in Alaska aus seismische Aktivität, geschweige denn in der Türkei und Syrien, seismische Aktivität erzeugen könne, sei „lächerlich“.

Fazit: Das aktuell geteilte Video hat nichts mit dem Erdbeben in der Türkei im Februar 2023 zu tun. Es wurde bereits im September 2022 in sozialen Netzwerken geteilt und in Kasachstan aufgenommen. Erdbeben entstehen durch natürliche Plattenbewegungen.

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Politik, Gesellschaft

Autor(en): Eva WACKENREUTHER, Bill MCCARTHY, AFP Österreich, AFP USA

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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