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KI-Video gaukelt Geschichte eines Holocaust-Opfers vor

In einem kurzen, schwarz-weißen Video radelt ein kleines Mädchen einen Gehweg entlang. Das Kind soll Hannelore Kaufmann heißen, geboren am 5. August 1931 in Berlin, geliebt von seinen Eltern. Der Autor eines Facebook-Posts mit diesen Bildern verlinkt dann zu einem Blogpost mit der Behauptung: «1944, im Alter von nur 13 Jahren, wurden Hannelore und ihre Familie nach Auschwitz deportiert, dem berüchtigtsten Vernichtungslager des Naziregimes.» Dort sei das Mädchen gestorben. Die rührende Geschichte hat allerdings einen Haken: Das Video und die Geschichte sind gefälscht und erfunden.

Bewertung

Das Video wurde mit Künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen und der Text ebenfalls erfunden. Beide haben nichts mit einem tatsächlichen Holocaust-Opfer namens Hannelore Kaufmann zu tun. Das Mädchen wurde in Sterkrade geboren und starb im Vernichtungslager Sobibor.

Fakten

Das Video auf Facebook offenbart spätestens auf den zweiten Blick zahlreiche Unstimmigkeiten: Zu Beginn des fünf Sekunden kurzen Clips verändert sich der Blick des Mädchens auf unnatürliche Weise. Sein Fahrzeug, ein Dreirad, schwankt seltsam. Tatsächlich fehlt ein Rad hinten rechts – so wäre das Gefährt überhaupt nicht fahrfähig. Zudem verändert sich die Form des Rahmens ständig und auch das vorhandene Hinterrad führt ein seltsames Eigenleben.

Alle diese Beobachtungen sind eindeutige Hinweise, dass der Clip mit KI erstellt wurde – also keine reale Situation zeigt. Echte Filme aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind zudem meist grobkörniger als jene Teile des Clips, die scharf zu sehen sind. Offenbar handelt es sich um die animierte Fassung einer KI-Abbildung, auf der die gefälschte «Hannelore» bereits in niederländischsprachigen Posts auftauchte.

Geschichte zum falschen Video ist ebenfalls erfunden

Auch die Erzählung zu dem KI-Clip ist falsch. Zwar wurden mehrere Frauen namens Hannelore Kaufmann tatsächlich Opfer des Holocaust, aber hier endet die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit auch.

An eine Hannelore Kaufmann wird in Yad Vashem, der offiziellen israelischen Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Holocaust, erinnert. Sie wurde 1930 in Sterkrade, heute ein Stadtteil von Oberhausen, geboren und flüchtete in die Niederlande. Von dort deportierten die Nazis sie am 20. Juli 1943 ins Vernichtungslager Sobibor, wo sie drei Tage später für tot erklärt wurde. Von einer Geburt 1931 und Kindheit in Berlin, wie im Blogpost behauptet, ist also ebenso wenig die Rede wie von einem Tod in Auschwitz 1944.

Die in Yad Vashem dokumentierte Hannelore Kaufmann findet sich auch in der Datenbank des United States Holocaust Memorial Museums wieder. Dort gibt es noch drei weitere Einträge mit demselben Namen. Zwei von ihnen haben das gleiche Geburtsdatum, weshalb es sich um dieselbe Person handeln dürfte. Ihr Schicksal ist unbekannt. Eine weitere Hannelore Kaufmann überlebte die Kriegszeit. Keine von ihnen wurde 1931 in Berlin geboren.

Emotionen und Klicks als Erlösmodell

Die Facebookseiten hinter diesen irreführenden Beiträgen teilen ständig Geschichten, die auf die Gefühle der Leserinnen und Leser zielen und häufig mit KI-Bildern oder KI-Videos illustriert sind. Hier geht es offensichtlich um Clickbait, also die Erhöhung der Nutzerzahl mit fragwürdigen Mitteln.

Die erfundene Erzählung von Hannelore Kaufmann, die in verschiedenen Sprachen existiert, passt in einen neuen Trend in sozialen Netzwerken. Dabei werden die Namen echter Holocaust-Opfer verbunden mit fiktiven Geschichten und KI-Abbildungen oder echten Fotos, die bearbeitet wurden.

Das Auschwitz-Museum hat auf diesen Trend bereits reagiert. Es sei «keine Ehrung» der Opfer, wenn Holocaust-Schicksale und fiktive Bilder mit Künstlicher Intelligenz erzeugt würden. «Dies ist ein tiefgreifender Akt der Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken derer, die in Auschwitz gelitten haben und ermordet wurden. Es untergräbt die Integrität der historischen Wahrheit», schreibt das Museum.

Die Vielzahl von Seiten mit solchen Inhalten in verschiedenen Sprachen deutet darauf hin, dass es hier um ein Erlösmodell geht. Dank der Klicks und der Reaktionen können die Betreiber der Seiten im Content-Monetarisierungsprogramm von Facebook nämlich Geld verdienen. Allein 2024 zahlte das Programm zwei Milliarden Dollar aus.

So wird der Missbrauch der Schicksale von Holocaust-Opfern zu einer Geldmaschine: Das Thema bleibt gesellschaftlich relevant, es spricht die Emotionen von Internet-Nutzern an und beruht auf einer schier endlosen Liste von Namen. Die Künstliche Intelligenz macht dieses Geschäft mit Schicksalen noch einfacher.

(Stand: 23.6.2025)

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Gesellschaft

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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