Über Kriminalitätsraten von Ausländern in Deutschland kursieren viele Halbwahrheiten und Mythen. In einem Beitrag auf der Plattform X wirkt es allerdings, als habe ein Nutzer seriöse Zahlen von Quellen wie dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Statistischen Bundesamt für ein Diagramm ausgewertet. Darin heißt es, die Tatverdächtigenquote für Afghanen bei Gruppenvergewaltigungen sei 70 Mal höher als die Tatverdächtigenquote von Deutschen. Afrikanische Ausländer seien 40 Mal häufiger an Gruppenvergewaltigungen beteiligt als Deutsche. Der Grafik ist zu entnehmen: Pro eine Millionen Einwohner in Deutschland seien 0,6 Deutsche, 23 Afrikaner und 41 Afghanen Tatverdächtige einer Gruppenvergewaltigung. Doch diese Auswertung ist nicht seriös.
Bewertung
Kein Beleg für genannte Tatverdächtigenquoten und kein seriöser Umgang mit der Statistik. Es fehlen genaue Angaben, aus welchem Jahr und von welchem Stichtag die Daten stammen. Zudem hätte die Anzahl der Tatverdächtigen innerhalb ähnlicher Teilgruppen verglichen werden müssen und nicht mit der gesamten Bevölkerung einer Nationalität.
Fakten
Aus der Grafik des X-Nutzers geht hervor, dass sie sich aus mehreren Quellen speisen soll: Der Nutzer hat aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) die Staatsangehörigkeiten von Tatverdächtigen entnommen, die der überfallartigen Vergewaltigung durch Gruppen verdächtigt wurden. Außerdem wurden Daten des Statistischen Bundesamts zur ausländischen Bevölkerung verwendet – offenbar um zu ermitteln, wie groß der Anteil von Afghanen oder Menschen mit Staatsangehörigkeiten afrikanischer Länder an der Bevölkerung in Deutschland ist.
Vier Punkte an diesem Vorgehen verdeutlichen, dass sich daraus keine statistisch seriöse Quote errechnen lässt, wie viele Tatverdächtige einer Gruppenvergewaltigung es pro eine Million Angehöriger einer Nationalität in Deutschland gibt. Es gibt keinen Beleg, dass die angegebenen Werte auf der Grafik zutreffen.
Angaben zu Jahr und Stichtag der Daten fehlen
Erstens gibt es keine Angaben dazu, aus welchem Jahr die verwendeten Zahlen stammen. In einem weiteren X-Beitrag aus dem gleichen Thread ist von Zahlen aus 2016 bis 2017 die Rede. Doch aus welchem Jahr von welchem Stichtag genau stammen die Angaben zu den angeblichen Tatverdächtigenquoten oder die Angaben zum Anteil von Ausländern an Deutschlands Bevölkerung?
Das Jahr und der Stichtag spielen eine wichtige Rolle für die Auswertung. Das BKA wies auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) darauf hin, dass die Grafik in dem X-Beitrag nicht berücksichtige, dass Straftaten auch von Personen begangen werden können, die zum Stichtag der Hochrechnung nicht in Deutschland wohnen und damit nicht zur Wohnbevölkerung zählen. «Gerade im betrachteten Zeitraum kann es einen großen statistischen Unterschied ausmachen, ob bspw. die Zahl der afghanischen Staatsangehörigen zum 01.01.2016 oder zum 31.12.2016 betrachtet wurde. Das wird aus der Quellenangabe nicht ersichtlich», teilte ein BKA-Sprecher mit.
Hochrechnung niedriger Zahlen befördert Verzerrung
Zweitens sind die niedrigen Fallzahlen ein Fallstrick: Der BKA-Sprecher sagte dpa, «um Aussagen im Vergleich zur Bevölkerung zu treffen, muss anhand der Tatzeit analysiert werden, ansonsten ist der Vergleich zur Wohnbevölkerung statistisch ungenau, diese Ungenauigkeit steigt bei geringerer Zahl an Tatverdächtigen.» Solche niedrigen Zahlen liegen in dem Beispiel aus dem X-Beitrag vor: Im Jahr 2017 wurden laut PKS nur neun afghanische Tatverdächtige zum Delikt «Vergewaltigung überfallartig (durch Gruppen)» ermittelt, 18 Verdächtige afrikanischer Nationalitäten und 27 Deutsche (siehe Tabelle 62).
Auch die Hochrechnung auf «pro 1 Million Einwohner» ist verzerrend. Denn so viele Afghanen oder Menschen aus afrikanischen Ländern leben gar nicht in Deutschland. Zum Stichtag 31. Dezember 2017 etwa lebten rund 539.000 Bürger afrikanischer Länder in Deutschland und knapp 252.000 Afghanen.
Die Rechnung ist also unseriös, weil sie nicht angibt, ob die Wohnbevölkerung zur Tatzeit beachtet wurde. Und sie stellt eine unseriöse Hochrechnung auf, die den Bevölkerungsanteil und die Zahl der Tatverdächtigen künstlich höher wirken lässt.
Auswertung vernachlässigt besondere Merkmale der Gruppen
Drittens würde eine seriöse Statistik ähnliche Vergleichsgruppen bilden. Das fehlt in dem X-Beitrag. Die Bevölkerungsgruppen von Deutschen, Afghanen oder Bürgern afrikanischer Länder, die in Deutschland leben, unterscheidet sich aber erheblich.
Auf dpa-Anfrage wies das BKA darauf hin, dass bei Vergleichen von Tatverdächtigen verschiedener Nationalitäten oder Herkunftsgruppen weitere Faktoren berücksichtigt werden müssten – etwa der Anteil der Geschlechter in der jeweiligen Gruppe, deren Altersstruktur oder die soziale Einordnung. So sind unter Zuwanderern anteilig mehr jüngere Männer als im deutschen Durchschnitt.
Jüngere Männer haben generell ein höheres Kriminalitätsrisiko als andere Bevölkerungsgruppen, unabhängig von ihrer Herkunft. Laut BKA werden auch Vergewaltigungsdelikte aus Gruppen heraus eher von männlichen Tatverdächtigen unter 40 Jahren begangen werden. «Daher sollten hier nur die entsprechenden Untergruppen für entsprechende Aussagen verglichen werden», so ein BKA-Sprecher.
Ausländische Tatverdächtige werden eher angezeigt als Deutsche
Viertens lässt eine Auswertung von Daten der PKS ohnehin nur begrenzt eine Aussage über tatsächliche Kriminalität zu. Die PKS erfasst ausschließlich Angaben der Polizei über ermittelte Tatverdächtige. Ob ein Gericht diese später tatsächlich als Täter oder Täterin verurteilt, ist daraus nicht abzulesen. Zwar ist in der Grafik korrekt von «Tatverdächtigen» die Rede, doch in einem Post heißt es, afrikanische Ausländer seien häufiger an Gruppenvergewaltigungen beteiligt – dabei geht aus der PKS nur hervor, wie oft Tatverdächtige mit bestimmten Nationalitäten ermittelt wurden.
Es ist irreführend, daraus eine Interpretation zur Kriminalität ausländischer Tatverdächtiger zu machen: Denn dass diese vergleichsweise häufiger in der Kriminalstatistik auftauchen, liegt unter anderem daran, dass sie eher angezeigt werden als etwa Deutsche, wie eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften 2018 herausfand. Je ausländischer ein mutmaßlicher Täter wirke, desto höher sei die Anzeigebereitschaft.
(Stand: 7.8.2024)