Über Whatsapp verbreitet sich ein Kettenbrief: Die Vereinten Nationen (UNO) würden versuchen, Kinderpornografie zu legalisieren, indem sie „explizite Inhalte“ mit Kindern entkriminalisiere, heißt es darin. Nutzerinnen und Nutzer werden dazu aufgefordert, eine Petition zu unterzeichnen, damit Deutschland einen entsprechenden Vertragsentwurf der Vereinten Nationen blockiert. Über unseren Whatsapp-Chatbot baten Dutzende Personen um Prüfung der Behauptung – die Petition wurde auch auf X und Telegram verbreitet.
In der Petition geht es um den Entwurf der United Nations Convention Against Cybercrime vom 7. August 2024, ein internationales Abkommen der UNO-Mitgliedstaaten zur „Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für kriminelle Zwecke“. Ein Teil des Entwurfs befasst sich mit Regelungen zu Kinderpornografie. CORRECTIV.Faktencheck hat nachgeschaut, was darüber in dem Abkommen steht und die Textstellen vom Deutschen Kinderschutzbund und dem Bundesjustizministerium einordnen lassen.
Was steht zu Kinderpornografie im UNO-Entwurf des Abkommens gegen Computerkriminalität?
Grundsätzlich steht in dem Entwurf erst einmal: Die Mitgliedsstaaten sollen das Herstellen, Anbieten, Verkaufen, Verteilen, Übertragen, Ausstrahlen, Vorführen, Veröffentlichen oder anderweitiges Verfügbarmachen von Material über sexuellen Kindesmissbrauch oder sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen als Straftat festsetzen. Das gilt auch für das Anfordern, Beschaffen, Zugreifen, den Besitz oder die Kontrolle über solches Material.
Das Abkommen, an dem die UNO-Mitgliedsländer drei Jahre lang gearbeitet haben, soll vor allem einen umfassenderen Austausch von Beweismitteln zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen. Doch der Entwurf ist auch umstritten, mehr dazu hier zum Aufklappen:
Der Anstoß für das UNO-Abkommen zur „Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für kriminelle Zwecke“ kam laut Medienberichten vom Mitgliedstaat Russland. Das deutsche Justizministerium schrieb auf Anfrage, einige Artikel der UNO Cybercrime-Convention seien anfangs „außerordentlich umstritten“ gewesen: „Einige islamische Länder wollten die entsprechenden Straftaten sehr weit fassen und z. B. auch homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen oder Ehebruch darunter fassen, während insbesondere Japan sehr dafür gekämpft hat, Mangas auszunehmen, also Abbildungen, die keine echten Menschen darstellen. Für uns in Deutschland war vor allem wichtig, dass Sexualverhalten nicht kriminalisiert wird, das in Deutschland erlaubt ist.“
Viele Menschenrechtsaktivisten kritisieren, dass der Geltungsbereich des aktuellen Entwurfs zu weit gefasst sei und fürchten, dass das Abkommen von autoritären Regierungen zur Überwachung und Verfolgung von Oppositionellen und Minderheiten missbraucht werden könnte. Nichtregierungsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation warnten vor „Überkriminalisierung“ und davor, wie die Regelungen Unterzeichnern wie Russland in die Karten spielen könnten.
Der Entwurf „entkriminalisiert“ nicht den Besitz von Kinderpornografie – er schafft neue Regeln
Die Falschbehauptung aus dem Kettenbrief, die UNO wolle „explizite Inhalte“ mit Kindern „entkriminalisieren“ basiert wahrscheinlich auf Artikel 14, Absatz 4. Demnach können die Vertragsstaaten eine Strafbarkeit bei Herstellung, Weitergabe oder Besitz von „privatem“ und „einvernehmlich“ entstandenen Material ausschließen. Das betrifft Aufnahmen, die eine minderjährige Person einvernehmlich bei einer sexuellen Handlung zeigen, solange das Verhalten nach innerstaatlichem Recht legal ist und kein Missbrauch zu sehen ist. Doch was bedeutet das?
Das fragten wir den Deutschen Kinderschutzbund und das Justizministerium in Deutschland. Beide wiesen uns zusätzlich auf Artikel 16, Absatz 4 des Abkommens hin: Dort steht, sobald es sich um Darstellungen von Kindesmissbrauch handelt, werde diese Ausnahmeregelung ausgehebelt.
Wir haben den Kinderschutzschutzbund um eine weitere Einordnung des Paragrafen gebeten. Pressesprecherin Wlodarczak antwortete uns: „Gleichzeitig steht in Artikel 16, Absatz 3, dass der Austausch von intimen Bildern durch Kinder erst legal ist, wenn diese in ihrem Heimatland das Schutzalter überschritten haben.“ In Deutschland liegt das sogenannte Schutzalter bei 14 Jahren. Kinder, die unter das Schutzalter fallen, könnten, so Wlodarczak weiter, laut dem Entwurf der UNO-Konvention überhaupt keine Einwilligung geben. Damit werde jede Form von sexueller Ausbeutung in dem Bereich kriminalisiert.
Für junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 18 Jahren gilt laut Artikel 16, Absatz 4 aus dem Entwurf der UNO-Konvention: „Eine Person, die unter 18 Jahre alt und auf einem Intimbild abgebildet ist, kann nicht in die Verbreitung eines Intimbildes einwilligen.“
Wie uns Wlodarczak schreibt, bleibe ausschließlich das private Versenden und Empfangen freizügiger Aufnahmen unter Personen legal, die darüber im Einvernehmen und über 14 Jahre alt sind. Es stimmt also nicht, dass der UNO-Entwurf den Besitz und die Erstellung von Kinderpornografie bei Einvernehmen und privatem Handeln „entkriminalisiere“.
Dieser Teil des Entwurfs ist laut der UNO-Sprecherin, die wir dazu angefragt haben, in Einklang mit den Leitlinien von Menschenrechtsorganisationen. „Der Ausschuss für die Rechte des Kindes […] hat verbindlich erklärt, dass Kinder nicht für die Herstellung von Material, auf dem sie abgebildet sind, oder für den einvernehmlichen Besitz desselben durch sie oder ihre Partner bestraft werden dürfen, da dies gegen die sich allmählich entwickelnden Autonomierechte der Kinder verstoßen würde.“ Es bleibt zudem strafbar, das Material ohne Einverständnis der beteiligten Personen anderen zugänglich zu machen (Artikel 14 und Artikel 16, Absatz 3 des Entwurfs).
Regelungen zu KI-generierter Kinderpornografie im UNO-Entwurf sind umstritten
Die Petition, die mit dem Whatsapp-Kettenbrief kursiert, kritisiert außerdem: Mit dem Entwurf würde die UNO den Staaten freistellen, die Produktion, Verbreitung und den Besitz von Inhalten zu „entkriminalisieren“, „die sexuell exponierte Kinder zeigen, solange das Material keine existierende Person darstellt“ – gemeint ist damit zum Beispiel KI-generierte Kinderpornografie.
Tatsächlich steht in Artikel 14, Absatz 3 des Entwurfs: Ein Mitgliedstaat kann Strafen eingrenzen auf Material, das existierende Personen darstellt oder die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen visuell darstellt. Daraus lässt sich schließen, dass es den Ländern freisteht, künstlich erstellte Inhalte nicht zu belangen. Juliane Wlodarczak, Pressesprecherin des Deutschen Kinderschutzbundes, schrieb uns dazu per E-Mail: Es sei problematisch, dass es im Entwurf keine explizite Formulierung gebe, die KI-generiertes Bild- oder Videomaterial einschließt.
In Deutschland können solche Inhalte nach Informationen der Bundesregierung aber belangt werden. Hintergrund ist Paragraf 184b, Absatz 3, Strafgesetzbuch. Demnach wird zum Beispiel der Besitz oder Abruf von kinderpornografischem Inhalt, der ein „tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen“ wiedergibt, mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Das muss sich nicht durch das UNO-Abkommen ändern.
Was bedeutet das Abkommen für Deutschland?
Der von der UNO-Generalversammlung eingesetzte Ausschuss hatte sich am 7. August 2024 auf den Entwurf geeinigt. Er steht den 193 Mitgliedsstaaten bis zur Unterzeichnung offen. Ob der Vertrag in Kraft tritt, hängt nicht allein von Deutschland ab – mindestens vierzig Länder müssen dafür stimmen.
Auf die Gesetzgebung in Deutschland hat das Abkommen aktuell also noch keine Auswirkungen. Per E-Mail teilte uns ein Sprecher des Bundesjustizministeriums am 7. Oktober mit, dass Deutschland das Abkommen noch nicht unterzeichnet und ratifiziert habe. „Ob und wann das der Fall sein wird, ist derzeit noch nicht absehbar.“
Der Sprecher stellte aber klar: Die UNO-Konvention halte Mindeststandards fest, die nationale Gesetzgebung dürfe immer weiter gehen, als dort festgelegt wird. Wo in den Regelungen das englische Wort „may“ (Deutsch: „kann“) stehe, seien Abweichungen erlaubt, wenn das nationale Recht das so vorsieht. Die durch den UNO-Entwurf vorgesehen Regelungen würden durch die in Deutschland existierende Gesetzeslage erfüllt (Paragraf 176 ff. und 184 ff. Strafgesetzbuch).
Redigatur: Steffen Kutzner, Kimberly Nicolaus
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Übersicht der Abschlusssitzung des Ausschusses der Vereinten Nationen zur Cybercrime Convention (englisch): Link (archiviert)
- „Cybercrime Convention“-Abkommen der Vereinten Nationen, Entwurf vom 7. August 2024 (englisch): Link (archiviert)
- Auslegungshinweise zu einzelnen Artikeln des Entwurfs zur Cybercrime Convention der Vereinten Nationen (englisch): Link (archiviert)
- Bericht der Nichtregierungsorganisation Electronic Frontier Foundation über die Cybercrime-Convention, 13. August 2024 (englisch): Link (archiviert)
- Bericht des Chaos Computer Club Deutschland zur Cybercrime-Convention: Link (archiviert)
- Strafrechtsvorschriften Kinder- und jugendpornografische Inhalte, Bundeskriminalamt Deutschland: Link (archiviert)
- Deutscher Bundestag zu KI-generierten kinderpornografischen Inhalte im Internet, 15. Mai 2024: Link (archiviert)
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