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Nein, eine Mischung aus Natron und Ahornsirup hilft nicht gegen Krebs

Die Behandlung von Krebserkrankungen ist komplex und hängt individuell von der Art eines Tumors ab. Ein aktuell geteilter Blogbeitrag behauptet, Krebs ließe sich mit einer Mischung aus Backsoda und Ahornsirup heilen. Medizinerinnen und Mediziner warnen jedoch vor der Einnahme eines solchen Gemischs zur Behandlung einer Krebserkrankung. Es gebe keine wissenschaftlichen Belege für dessen Wirksamkeit. Unter Umständen könnte eine solche Behandlung sogar gefährlich sein.

Hunderte User haben seit Anfang Dezember einen Blogartikel auf Facebook geteilt, demzufolge Krebserkrankungen mit einer Mischung aus Backsoda und Ahornsirup geheilt werden können. Laut medizinischen Fachleuten gibt es keine Belege für die Wirksamkeit dieser Behandlung. Die Behauptung kursierte zudem in sozialen Netzwerken auf Polnisch.

Die Behauptung: Der aktuell geteilte Blogartikel behauptet, Krebs sei ein Candidapilz, der sich mit Hilfe eines Gemischs aus Natriumhydrogencarbonat, auch bekannt als Soda oder Natron, und Ahornsirup heilen lasse. Der Zucker im Sirup diene demnach als Vehikel, um das basische Natron in die Krebszellen „einzuschleusen“, wo es deren Wachstum hemme und die Entstehung weiterer Krebszellen verhindere.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 11. Januar 2023

In sozialen Netzwerken kursieren regelmäßig angebliche alternative Behandlungsmethoden für Krankheiten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt ist. AFP überprüfte in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang etwa Behauptungen, wonach verschiedene Öle im Bauchnabel Krankheiten heilen oder der Alterungsprozess mit Kraft der Gedanken aufgehalten werden könnte.

Wie entsteht Krebs?

Expertinnen und Experten für Krebserkrankungen und deren Behandlung erklärten gegenüber AFP, dass es keine wissenschaftlichen Belege für eine heilende Wirkung des Backsoda-Ahornsirup-Gemischs gebe. Unter Umständen könnte eine Einnahme bei Krebspatientinnen und-patienten sogar zu unerwarteten Neben- und Wechselwirkungen führen. Krebs gehe zudem auch nicht auf den Candidapilz zurück, sondern auf Veränderungen des Erbgutes, wie die Fachleute gegenüber AFP erklärten.

Der geteilte Blogbeitrag behauptet, Krebs sei ein Candidapilz, ein Pilz aus der Familie der Hefepilze. Medizinisch betrachtet ist Krebs eine bösartige Gewebeneubildung, deren Zellen sich unkontrolliert vermehren, in benachbartes Gewebe einwachsen, gesundes Gewebe zerstören und Ableger – sogenannte Metastasen – bilden, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) auf seiner Website schreibt.

Jutta Hübner ist Professorin für integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Medizin in der Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft. Im Gespräch mit AFP am 11. Januar 2023 sagte sie: „Krebs entsteht durch Mutationen in der Zelle. Das heißt, es liegen genetische Veränderungen in der Zelle vor.“ Diese Mutationen könnten unter anderem durch Rauchen, Alkohol, zu wenig Bewegung, ungesunde Ernährung oder UV-Licht ausgelöst werden. Hefepilze seien jedoch nicht dafür verantwortlich.

Die Deutsche Krebsgesellschaft schreibt zur Entstehung von Krebs auf ihrer Website: „Die Ursache für die Krebsauslösung ist jeweils eine Änderung des Erbguts oder der Regulation der entsprechenden Gene.“ Diese genetischen Veränderungen entstünden spontan im Lebensverlauf. In seltenen Fällen werde die Neigung zu Krebserkrankungen vererbt. Zu den krebsauslösenden Faktoren gehören demnach Zigarettenrauchen, starker Alkoholkonsum, übermäßige Einwirkung von Sonnenlicht oder auch Infektionen mit einigen Krankheitserregern wie den Humanen Papillomaviren (HPV).

„Die Entstehung von Krebs ist unglaublich komplex. Es gibt jede Menge Ursachen von Krebs, das einzige, was es nicht ist, ist Candida“, sagte Cyrus Khandanpour, Professor für Onkologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck am 12. Januar 2023 im Gespräch mit AFP.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) listet zudem bekannte krebserregende Stoffe auf ihrer Website auf. Der Candidapilz befindet sich nicht darunter.

Unbewiesene Behandlungsmethode

In dem Blogbeitrag wird weiter behauptet, Krebserkrankungen ließen sich durch ein Gemisch aus Backsoda und Ahornsirup behandeln. Onkologin Jutta Hübner widerspricht: Krebs entstehe durch Mutationen in der Zelle. Bei derartigen spontanen genetischen Veränderungen handele es sich um Zufallsprozesse. „Diese sind nicht umkehrbar. Das bedeutet, selbst wenn ein Hefepilz der Auslöser für die Mutation wäre, würden wir mit dem Abtöten des Pilzes den Krebs, die mutierte Zelle, damit nicht wieder wegbekommen“, erklärte Hübner.

Auch Cyrus Khandanpour erklärte gegenüber AFP, dass Natron und Ahornsirup keinen Einfluss auf das Tumorwachstum hätten: „Das bringt nichts. Bei einer oralen Einnahme würde das Gemisch im Magen, in der Leber und schließlich im Darm abgebaut werden.“ Die vermeintlichen Wirkstoffe würden daher gar nicht erst im Tumorgewebe ankommen. „Wenn es ein solches einfaches Heilmittel gegen Krebs gäbe, würden wir es nutzen“, ergänzte Khandanpour.

Auch das DKFZ äußert sich auf seiner Website zu den Behauptungen, Backpulveroder Natron helfe gegen Krebs. „Natron und Backpulver sind nicht Bestandteil einer evidenzbasierten Krebstherapie“, schreibt das Forschungszentrum. Bislang lägen keine Daten aus klinischen Studien mit Krebspatienten vor. Daher handele es sich dabei um eine „Methode mit unbewiesener Wirksamkeit“.

Laut DKFZ geht die Behauptung, Soda könne Krebs heilen, auf eine US-amerikanische Studie zurück, die 2018 in der Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht wurde. Darin untersuchten Forschende, wie sich die Einnahme von Natron auf krebskranke Mäuse auswirkt.

Bislang keine klinischen Studien zur Wirkung von Natron

Die Studie untersuchte demnach zwei Mechanismen in Krebszellen: In sauerstoffarmen Gewebe verstoffwechseln Zellen Zucker und geben Milchsäure als Abbauprodukt an ihre Umgebung ab. Das umgebende Gewebe wird saurer, wodurch die Zellteilung im Tumorgewebe pausiert und Krebszellen nicht mehr auf Therapien reagieren. Die Forschenden zeigten, dass Backpulver im Trinkwasser von Mäusen helfen kann, die Zellteilung in Krebszellen anzuregen, damit sie wieder auf Behandlungen ansprechen.

Das DKFZ warnt auf seiner Website jedoch davor, die Ergebnisse dieser und ähnlicher Laboruntersuchungen zur Wirkung von Soda auf Krebszellen auf den Menschen anzuwenden. Es handele sich dabei um Grundlagenforschung. „Solche Erkenntnisse können nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden. Dazu bedarf es klinischer Studien mit Krebspatienten.“

Labormaus: Erkenntnisse aus Laboruntersuchungen an Mäusen lassen sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen

Ähnlich äußerte sich Jutta Hübner: „In Laborexperimenten lassen sich Krebszellen mit vielem abtöten.“ Das meiste, was im Labor produziert werde, sei in der angewandten Medizin nicht nutzbar. Die Erkenntnisse aus sogenannten In-Vitro-Studie dienten in der Regel dazu, Hypothesen zu generieren und seien nicht ohne Weiteres auf die Verhältnisse im menschlichen Körper übertragbar.

Kleine, lokale Veränderungen im pH-Wert oder der Sauerstoffversorgung des betroffenen Gewebes würden etwa durch die Durchblutung ausgeglichen. Das bestätigt auch Onkologe Khandanpour: „Es gibt gewisse Stoffwechselveränderungen, die im Tumor auftreten. Der Tumor wird saurer, das lässt sich von außen allerdings nur sehr, sehr schwer beeinflussen.“

Nach Angaben des britischen Krebsforschungszentrums „Cancer Research UK“ wurden bislang keine klinischen Studien zur Wirksamkeit von Natron als Krebsmedikament veröffentlicht. Eine kleine klinische Studie mit neun Probandinnen und Probanden, die 2013 in den USA durchgeführt wurde, untersuchte, ob Natron Krebsschmerzen lindern könne. Die Studie ging jedoch nicht in die zweite klinische Phase über und brachte keine Ergebnisse.

Warnung vor Nebenwirkungen

Die Einnahme von Natron oder Backpulver könne vielmehr zu Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen, warnt das DKFZ. Eine Überdosierung könne Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Muskelschwäche, Krämpfen, Bluthochdruck oder Nierensteinen zur Folge haben.

Durch das Natron könne sich das Säure-Basen-Gleichgewicht im Körper verschieben, erklärte Jutta Hübner. Dies könne die Aufnahme von anderen Medikamenten, die stark von den Säure-Basen-Spiegeln in Magen und Darm abhängig sind, beeinflussen. „Deswegen würde ich jedem Patient, der irgendwelche Medikamente einnimmt, dringend davon abraten, solche Versuche zu machen.“

Als Quelle für die Behauptung, bei Krebs handele es sich um eine Pilzerkrankung und könne mit Hilfe von  Natron behandelt werden, nennt der Blogbeitrag den ehemaligen italienischen Arzt Tullio Simoncini. Der Artikel enthält ein Youtube-Video von 2011, in dem Simoncini seine Thesen verbreitet.

Italienischen Medienberichten zufolge verurteilte ein Gericht Simoncini 2006 zu vier Jahren und vier Monaten Haft, weil er drei Patienten mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium mit Natron behandelte, die kurz darauf starben. Die italienische Ärztekammer schloss Tullio Simoncini im selben Jahr aus. 2022 stand er laut einem Bericht der italienischen Zeitung „Corriera della Sera“ wegen unerlaubter Berufsausübung erneut vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, aus Albanien Patientinnen und Patienten über WhatsApp und Skype Behandlungen mit Natriumbikarbonat verschrieben zu haben.

Fazit: Es gibt keine Belege, dass Natron oder Backsoda eine therapeutische Wirkung gegen Krebs hat. Frühere Laboruntersuchungen mit Mäusen haben gezeigt, dass Natron helfen kann, die Zellteilung anzuregen. Klinische Studien mit Menschen gibt es hingegen bislang nicht.

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Wissenschaft, Gesundheit

Autor(en): Feliks TODTMANN, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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