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Nein, es gibt keine Belege für ungewöhnlich viele Todesfälle bei Babys in Großbritannien

Immer wieder werden im Netz Falschbehauptungen im Zusammenhang mit angeblichen Impffolgen verbreitet. Ein britischer Bestattungsunternehmer behauptete etwa im Juli während eines Interviews, in Großbritannien würden auffällig viele Babys versterben und direkt ins Krematorium gebracht werden. Krankenhäuser würden die Fälle verschweigen, da keine Bestatter involviert seien. AFP sprach mit Vertreterinnen und Vertretern von Bestattungsunternehmen und Krematorien. Diese erklärten, sie hätten keine derartigen Beobachtungen gemacht. Öffentlich zugängliche Daten über Todesfälle liefern keine Beweise für die angebliche Häufung an Fällen verstorbener Babys. Außerdem sind Bestattungsunternehmen nicht verpflichtet, alle Einäscherungen zu organisieren.

Dutzende Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptung zu angeblichen Todesfällen unter Babys auf Facebook und Twitter verbreitet, auf Telegram sahen sie Hunderttausende. Teil der Beiträge ist ein Blog-Artikel der Schweizer Verschwörungsseite „Uncut News“. Dieser bezieht sich auf Behauptungen des britischen Bestatters John O’Looney aus einem Interview mit der australischen Website „Zeeemedia.com“. Die Seite veröffentlicht vor allem Artikel und Interviews, die sich kritisch zu Covid-19-Impfstoffen und Coronamaßnahmen positionieren.

Die Behauptung: Ein britischer Bestattungsunternehmer aus dem englischen Ort Milton Keynes berichtet online von zahlreichen Todesfällen bei Neugeborenen. Angeblich wisse er über einen Kollegen von den Todesfällen, bei ihm hätten sich aber keine Eltern gemeldet. Angeblich sollen die verstorbenen Babys in Kühlräumen für Erwachsene gelagert und direkt vom Krankenhaus ins Krematorium gefahren worden sein. In allen Fällen sei das Universitätskrankenhaus von Milton Keynes als Bestatter angegeben worden. Er folgert: „Es ist also kein Bestattungsunternehmer beteiligt.“ Die Fälle würden verschwiegen. Die Babys sollen angeblich zu sechst oder zu acht eingeliefert werden, wesentlich mehr als noch vor einigen Jahren.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 16.08.2022

Keine Berichte über ungewöhnlich viele Todesfälle 

Zur Überprüfung der angeblichen hohen Zahlen verstorbener Babys kontaktierte AFP die National Association of Funeral Directors (NAFD), den größten Verband der britischen Bestattungsbranche. Dieser teilte am 10. August 2022 mit, dass sie die Behauptungen geprüft habe und „nach Gesprächen mit einer repräsentativen Auswahl von NAFD-Mitgliedern“ bestätigen könne, „dass sie weder einen derartigen Anstieg der Sterbefälle von Säuglingen noch irgendwelche heimlichen Versuche von Krankenhäusern, Leichen direkt an Krematorien zu schicken, feststellen können“.

Laut NAFD, die mehr als 4100 britische Bestattungsunternehmen vertritt, hat es auch keine Massenbestellung von Särgen für Säuglinge gegeben.

Auch die National Society of Allied and Independent Funeral Directors, eine Vereinigung meist familiengeführter Bestattungsunternehmen in Großbritannien, die fast 1000 Mitglieder umfasst, erklärte am 8. August 2022 gegenüber AFP, ihr seien „keine Berichte über einen Anstieg der Zahl der Todesfälle von Säuglingen in Großbritannien bekannt“.

Brendan Day, der Sekretär der Federation of Burial and Cremation Authorities, die 85 Prozent der Krematorien in Großbritannien vertritt, erklärte am 9. August gegenüber AFP, er habe von seinen Mitgliedern nichts erfahren, was darauf hindeute, dass es mehr Einäscherungen von Babys als üblich gebe.

Day erklärte zudem, es sei nicht ungewöhnlich, dass ein Krankenhaus Verstorbene direkt in ein Krematorium bringe. Das Fehlen eines Bestattungsunternehmers bedeute nicht, dass es sich um eine Vertuschung handele, wie O’Looney behauptete. Einige Krankenhäuser hätten Verträge mit örtlichen Bestattungsunternehmen, um Verstorbene zu einem Krematorium zu bringen, andere machten es selbst, sagte er. In einigen Gegenden würden die örtlichen Behörden diese Dienstleistung anbieten, sagte Day.

AFP sprach auch mit dem Universitätskrankenhaus von Milton Keynes, das laut O’Looney für die angeblichen Todesfälle der Babys als Bestattungsunternehmen angeführt sei, sowie mit dem wichtigsten Krematorium des Krankenhauses, dem Crownhill Crematorium.

Auf O’Looneys Behauptungen entgegnete ein Sprecher des Universitätskrankenhauses Milton Keynes am 29. Juli 2022: „Die Behauptungen sind völlig unwahr und unbegründet. Wir lassen uns derzeit rechtlich beraten, um unser weiteres Vorgehen festzulegen. Wir werden diese fadenscheinigen und zutiefst geschmacklosen Behauptungen nicht hinnehmen.“

Ein Vertreter des Crownhill Krematoriums erklärte gegenüber AFP am 5. August, dass es „nichts Ungewöhnliches bei der Anzahl der Einäscherungen vor Ort“ gegeben habe. Es gebe zudem keine gesetzliche Verpflichtung für eine Familie oder ein Krankenhaus, einen Bestattungsunternehmer einzuschalten, und das Universitätskrankenhaus Milton Keynes habe „keine Einäscherungen direkt ohne Bestattungsunternehmer arrangiert“.

Einäscherung gilt als angemessener 

Brendan Day erläuterte zudem, dass einige Krankenhäuser zuvor nicht lebensfähige Föten, das heißt Babys, die vor der 24. Schwangerschaftswoche entbunden wurden, in der Verbrennungsanlage des Krankenhauses einäscherten. In jüngerer Zeit sei es jedoch als angemessener und wichtiger für die Familien angesehen worden, zu diesem Zweck Krematorien zu nutzen.

„Es könnte durchaus sein, dass es sich bei der Zunahme entweder um nicht lebensfähige Föten oder um das Produkt von Abtreibungen handelt“, erklärte Day. Sogar Babys in der 10. oder 12. Schwangerschaftswoche würden ordnungsgemäß eingeäschert, da sie „für die Mutter von großer Bedeutung“ seien. „Wenn es also einen Anstieg gegeben hat, dann denke ich, dass es dafür ganz normale Gründe gibt. Es gibt nichts zu verbergen, wenn überhaupt, dann ist es, weil den Müttern ein besserer Service geboten wird“, erklärte er.

Dies wurde ebenfalls von der NAFD bestätigt: „Es war schon immer so, dass die Krankenhäuser nach einer Fehlgeburt eine Einäscherung arrangieren konnten, aber die Familien sind sich ihrer Möglichkeiten jetzt viel bewusster und möchten zunehmend eine Beerdigung für ihr kleines Kind arrangieren.“

Daten zeigen keinen Anstieg an Todesfällen

Öffentlich zugängliche Daten zu Todesfällen unter Säuglingen und Kleinkindern können die Behauptungen O’Looneys ebenfalls nicht stützen. Das britische Office of National Statistics (ONS) stellt vorläufige Daten über die wöchentlich in England und Wales registrierten Todesfälle bereit. Die beiden jüngsten Altersgruppen in ihrem Datensatz sind Todesfälle unter einem Jahr und Todesfälle zwischen einem und vier Jahren.

Zwischen 2015 und 2019 starben im Schnitt zwischen 33 und 64 Säuglinge pro Woche unter einem Jahr. In der Altersgruppe von ein bis vier Jahren liegt die Zahl zwischen fünf und elf Fällen pro Woche. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lagen die Daten für die ersten 30 Wochen des Jahres 2022 vor. Die höchste Zahl der wöchentlichen Todesfälle in der Altersgruppe unter einem Jahr lag in der Woche bis zum 27. Mai bei 55, also innerhalb des Durchschnittsbereichs. In der Altersgruppe von ein bis vier Jahren wurde die durchschnittliche Spanne zweimal überschritten: in der Woche bis zum 14. Februar gab es 14 Todesfälle und in der Woche bis zum 17. Juni waren es zwölf Todesfälle.

Unter dem Durchschnitt lagen die wöchentlichen Todesfälle in den Wochen bis zum 21. Januar 2022 (drei Todesfälle), 25. Februar (drei Todesfälle), 8. April (ein Todesfall), 15. April (vier Todesfälle), 6. Mai (drei Todesfälle) und 10. Juni (vier Todesfälle). Betrachtet man die Gesamtzahl der Todesfälle in den ersten 30 Wochen des Jahres 2022, so waren die Zahlen in beiden Altersgruppen niedriger als im Fünfjahresdurchschnitt. Nach Berechnungen von AFP gab es in den ersten 30 Wochen dieses Jahres insgesamt 1373 Todesfälle in der Altersgruppe unter einem Jahr und 218 Fälle in der Altersgruppe von ein bis vier Jahren, verglichen mit dem Fünfjahresdurchschnitt von 1536 beziehungsweise 241.

Für die Veröffentlichung der wöchentlichen Sterbefälle in Nordirland ist die Northern Ireland Statistics and Research Agency zuständig. Dort umfasst die jüngste Altersgruppe null bis 14 Jahre. Nach den Berechnungen von AFP gab es in dieser Gruppe 67 Todesfälle in den ersten 30 Wochen des Jahres 2022. Das ist weniger als im gleichen Zeitraum der Vorjahre: 80 Todesfälle im Jahr 2021, 70 im Jahr 2020 und 83 im Jahr 2019.

In Schottland veröffentlicht Public Health Scotland monatlich Daten zu Totgeburten und Todesfällen bei Säuglingen. Eine Sprecherin der Organisation erklärte am 12. August gegenüber AFP, dass die Zahl der Totgeburten in Schottland seit Beginn der Pandemie im März 2020 bis Juni 2022, den jüngsten verfügbaren Daten, den erwarteten Zahlen entspreche. Die Zahl der Todesfälle bei Säuglingen sei jedoch etwas höher als erwartet ausgefallen, insbesondere im September 2021 und im März 2022. Die Sprecherin erklärte, es seien etwas mehr Neugeborene als üblich in den ersten vier Wochen nach Geburt verstorben. Die Rate dieser neonatalen Todesfälle habe im September 2021 bei 5,1 und im März 2022 bei 4,6 Fällen unter 1000 Lebendgeburten gelegen, verglichen mit einer durchschnittlichen Rate von 2,2.

In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies 22 Neugeborenen-Todesfälle im September 2021 und 18 im März 2022. Über diese Spitzenwerte im September und März wurde in Medien wie der BBC berichtet, und sie werden derzeit untersucht.

AFP erkundigte sich bei den Gesundheitsbehörden auch nach der Behauptung, dass die Kinderabteilungen so überfüllt seien, dass verstorbene Babys in Kühlräumen für Erwachsene untergebracht werden müssten. Ein Sprecher des britischen Ministeriums für Gesundheit und Soziales teilte AFP am 11. August 2022 mit, man habe keine Informationen, die darauf hindeuteten, dass die pädiatrischen Abteilungen oder Leichenhallen in England überfüllt seien. Eine Sprecherin der walisischen Regierung erklärte am selben Tag: „Offizielle Statistiken der Statistikbehörde ONS zeigen, dass es in Wales keinen signifikanten Anstieg der Zahl der Totgeburten oder des Todes von Säuglingen gegeben hat.“ Eine Behandlung von Säuglingen außerhalb von Neugeborenenstationen sei ihr nicht bekannt.

O’Looney wird im Video-Interview als Whistleblower bezeichnet 

In dem Interviewausschnitt, in dem O’Looney von den vermeintlichen Todesfällen bei Babys berichtet, wird dieser als „Whistleblower“ bezeichnet. AFP nahm daher Kontakt zu O’Looney auf, um zu erfahren, ob der Bestatter die örtlichen Behörden über das, was er in Erfahrung gebracht haben soll, in Kenntnis gesetzt hatte. O’Looney erklärte allerdings am 10. August 2022, dass dies nicht der Fall gewesen sei.

Fazit: Verbände von Bestattungsunternehmen, Krematorien, Gesundheitsbehörden und das Universitätskrankenhaus Milton Keynes widersprachen den Behauptungen von John O’Looney. Öffentliche zugängliche Daten zeigen zudem in den jüngsten Altersgruppen keinen signifikanten Anstieg an Todesfällen. Außerdem sind Bestattungsunternehmen nicht verpflichtet, alle Einäscherungen zu organisieren.

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Gesundheit

Autor(en): Saladin SALEM, Anna HOLLINGSWORTH, AFP Finnland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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