„Plus 15 Prozent! Von der Leyen will ihr EU-Monatsgehalt auf 35.957 Euro erhöhen“, titelte der österreichische Exxpress am 12. Juni. Nicht nur die EU-Kommissionspräsidentin, sondern 50.000 EU-Mitarbeiter wollen sich laut dem Artikel „eine 15-prozentige Erhöhung ihrer Monatsbezüge gönnen“. Die vermeintliche Nachricht veröffentlichten auch Plattformen wie Reitschuster.de, der Deutschland-Kurier und die Weltwoche, die für Desinformation bekannt sind. Sie kursiert zudem in Sozialen Netzwerken, unter anderem verbreitet von einem AfD-Landesverband und der Werteunion.
Wir haben uns die Zahlen in den Artikeln angeschaut und sie mit den öffentlich verfügbaren Budgetplänen der EU verglichen. Zudem haben wir die Pressestellen der EU-Kommission und des EU-Parlaments dazu befragt. Beide Institutionen dementieren, dass eine Gehaltserhöhung von 15 Prozent geplant sei.
Unsere Recherche zeigt: Weder Ursula von der Leyen noch Mitglieder des EU-Parlaments entscheiden über ihr Gehalt. Dafür gibt es ein festgelegtes Rechnungsmodell, das etwa auch die Inflation berücksichtigt. Die jüngste Gehaltserhöhung für das Parlament und die Kommissionspräsidentin betrug 1,7 Prozent. Für 2024 stehen die Gehälter noch nicht fest.
Exxpress und Weltwoche berichten über Erhöhung von 15 Prozent, kommen in ihrer Rechnung aber auf unterschiedliche Gehälter
Viele Beiträge in Sozialen Netzwerken und einige der Blog-Beiträge mit der Behauptung verweisen auf den Artikel des Exxpress. Dieser gibt als Quelle den „eben aufgeflogenen Budgetplan der Europäischen Union für das Jahr 2024“ an. Im ersten Absatz des Artikels heißt es, die angebliche Gehaltserhöhung von 15 Prozent betreffe 50.000 EU-Mitarbeiter. „Erhöht sich das Monatsgehalt der 705 EU-Parlamentarierer, dann bekommt jeder Abgeordnete – auch die 19 EU-Abgeordneten aus Österreich – statt bisher 10.495 Euro künftig 12.069 Euro“, steht dort. Von der Leyens Gehalt steige von 31.250 Euro im Monat auf 35.957,50 Euro.
Am Tag davor berichtete die Schweizer Weltwoche ähnlich über eine Erhöhung von 15 Prozent im EU-Parlament. Doch die Zahlen im Artikel sind andere. Die Gehälter sollen laut Weltwoche um 15 Prozent auf 367.000 Euro steigen, also auf 31.000 Euro pro Kopf im Monat – also fast dreimal so viel wie der Exxpress für Parlamentsmitglieder ausrechnet. Dabei bezieht sich das österreichische Medium in seinem Text explizit auf jenes aus der Schweiz. Eine weitere Unstimmigkeit: In der Überschrift der Weltwoche geht es explizit um Gehälter. Im weiteren Verlauf des Artikels werden dieselben Zahlen als Kosten pro Parlamentsmitglied inklusive Spesen und Vorsorgeleistungen dargestellt.
Eins vorab: Die angebliche Erhöhung von 15 Prozent gibt es gar nicht. Zunächst erklären wir aber, wie die Gehälter der EU-Kommissionspräsidentin und der Parlamentsmitglieder zustande kommen.
EU-Politikerinnen und Politiker entscheiden nicht selbst über ihr Gehalt
Die jüngste Gehaltserhöhung für Ursula von der Leyen und die Mitglieder des EU-Parlaments betrug 1,7 Prozent. Sie trat im Juni 2023 rückwirkend ab 1. Januar 2023 in Kraft. Das bestätigten uns übereinstimmend die Pressestellen der EU-Kommission und des EU-Parlaments. Diese Erhöhung ist auch in einem Dokument der Gewerkschaft Union Syndicale Bruxelles (USB) nachzulesen, die EU-Beschäftigte vertritt.
Doch die Politikerinnen und Politiker entscheiden nicht selbst über ihr Gehalt. In einem öffentlichen Statement erklärt die deutsche Vertretung der EU-Kommission dazu: „Die Berechnung erfolgt automatisch auf der Grundlage eines vorab festgelegten Systems für alle EU-Organe (einschließlich Rat, Europaparlament, Rechnungshof, Gerichtshof und Europäische Zentralbank). Das System basiert auf einem Beschluss der 27 Mitgliedstaaten im Rat und im Europäischen Parlament und ist seit 2013 in Kraft.“
Weiter heißt es, das System berücksichtige die Entwicklung der Kaufkraft der Beamtinnen und Beamten in den EU-Mitgliedstaaten und die Inflation in Brüssel und Luxemburg. So könne es zu Anpassungen der Gehaltsniveaus nach oben oder nach unten kommen. „Es handelt sich um eine automatische Berechnung ohne politischen Ermessensspielraum“, so die Vertretung der Kommission.
Was EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen aktuell verdient
Das Gehalt der Kommissionspräsidentin ist streng geregelt. Es beträgt genau 138 Prozent des höchsten Beamtengehalts in der EU, wie uns eine Sprecherin der Kommission erklärte. Dieser Grundsatz ist auch im Amtsblatt der EU nachzulesen (PDF, Seite 3). Das höchste Beamtengehalt entspricht der Besoldungsgruppe 16 und der Dienstaltersstufe 3. Es findet sich ebenfalls im Amtsblatt (PDF) und betrug Stand Juli 2022 monatlich 22.646,29 Euro brutto.
138 Prozent davon sind 31.251,88 Euro. Allerdings berücksichtigt das noch nicht die Erhöhung von 1,7 Prozent. Rechnet man sie hinzu, ergibt sich das aktuelle Gehalt von Ursula von der Leyen: 31.782,16 Euro.
Das ist das aktuelle Gehalt von EU-Parlamentsmitgliedern
Auch EU-Parlamentsmitglieder entscheiden nicht über ihr Gehalt, es wird ebenfalls anhand eines festgelegten Prozentsatzes ermittelt. Dieser beträgt 38,5 Prozent der Grundbezüge von Richtern am EU-Gerichtshof. Das Gehalt betrug Stand 1. Juli 2022 demnach 9.808,67 Euro. Mit der Erhöhung von 1,7 Prozent ergibt das ein aktuelles Gehalt von 9.975,42 Euro.
Das Modell zur Berechnung der Gehaltsanpassungen verwendet den Zeitraum von Juli des vergangenen Jahres bis zum Juli des laufenden Jahres. Der Zeitraum für die Berechnung für 2023 ist also noch nicht zu Ende. Laut der EU-Kommission ergab die Methode für 2022 eine Erhöhung um 4,4 Prozent.
Im Fall einer hohen Inflation hat die EU eine zwischenzeitliche Aktualisierung vorgesehen. Seit der Einführung des Modells ist das laut der Gewerkschaft USB erst zweimal passiert – in den Jahren 2022 und 2023. 2022 waren es 3,7 Prozent, 2023 – wie bereits erwähnt – 1,7 Prozent.
Im Budgetentwurf der EU für 2024 findet sich keine Gehaltserhöhung von 15 Prozent
Zu der angeblichen Erhöhung der Gehälter um 15 Prozent schreibt uns eine Sprecherin des EU-Parlaments: „Die Behauptung ist nicht richtig. Die Gehälter der EU-Parlamentsmitglieder steigen 2024 nicht um 15 Prozent.“ Auch eine Sprecherin der EU-Kommission schreibt uns, die Behauptung sei „komplett falsch und irreführend“.
Wie kommen aber die Weltwoche und der Exxpress auf diese Zahl? In ihren Artikeln beziehen sie sich auf den Budgetentwurf der EU für 2024. Die Weltwoche schreibt, er sei am 17. Mai 2023 erschienen. Doch mit diesem Datum existiert kein Budgetentwurf. Wir fragten beide Medien, was ihre Quelle ist. Geantwortet hat uns nur die Weltwoche.
Auf Anfrage schickte uns der Autor des Weltwoche-Artikels einen Bericht, der am 17. April erschien. Darin geht es um die geschätzten Einnahmen und Ausgaben des Parlaments für das Haushaltsjahr 2024. Dort heißt es auf Seite 15, dass für Mitglieder des Parlaments Ausgaben von 258,9 Millionen Euro vorgesehen sind. Das ist die Zahl, die der Autor nach eigenen Angaben als Grundlage für seine Berechnung der Gehälter nutzte.
Dieselbe Zahl findet sich auch im aktualisierten Budgetentwurf von Juni 2023 auf Seite 71 (PDF). Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass die 258,9 Millionen Euro keine Gehaltsausgaben sind.
Die Tabelle heißt „Administrative expenditure of the institutions“, also Verwaltungsausgaben der Institutionen. Demnach sind diese Ausgaben für das EU-Parlament 15 Prozent höher als im Jahr davor. Die geplanten Ausgaben für 2023 in der Spalte „Mitglieder“ betragen 258,9 Millionen Euro. Das sind „Non-salary expenditures“, wie es in der Tabelle explizit heißt – also Ausgaben, die nichts mit dem Gehalt zu tun haben. Dazu steht auf Seite 72: „Die wichtigsten Bereiche, die einen Anstieg der Nicht-Gehaltsausgaben bewirken, sind die hohen Energiekosten und die für 2024 vorgesehenen Änderungen des Mandats.“
Die Weltwoche nahm für ihre Rechnung also eine falsche Zahl als Grundlage. Der Autor teilte die 258,9 Millionen durch die Anzahl der Parlamentsmitglieder (705), das ergibt die im Text genannten rund 367.000 Euro jährlich oder rund 31.000 Euro im Monat. Wie wir zuvor schrieben, ist das aktuelle Gehalt eines EU-Parlamentsmitglieds wesentlich niedriger: 9.975,42 Euro.
Im Budgetentwurf kommen Ausgaben vor, die das Wahljahr 2024 berücksichtigen
Was fällt unter die von der Weltwoche zitierten generellen Ausgaben für Parlamentsmitglieder? Auf Anfrage erklärt uns eine Sprecherin des Parlaments, dass darin sowohl die voraussichtlichen Bezüge der neuen Abgeordneten berücksichtigt sind, als auch die „Übergangsgelder“ der scheidenden Abgeordneten. Die sogenannten Übergangsgelder erhalten Mitglieder des Parlaments nach dem Ende ihres Mandats. Dann bekommen sie für maximal zwei Jahre pro geleistetem Dienstjahr ein Monatsgehalt gezahlt. Treten sie aber ein Mandat in einem anderen Parlament an oder bekleiden ein öffentliches Amt, wird das Übergangsgeld um die Höhe des neuen Gehalts gekürzt.
In derselben Tabelle findet sich auch die geplante Erhöhung der Verwaltungsausgaben für die EU-Kommission. Sie beträgt bei den Mitgliedern für 2024 im Vergleich zu 2023 28,3 Prozent, also 18,4 Millionen Euro. „Das ist keine Gehaltserhöhung“, schreibt uns eine Sprecherin der Kommission.
Im Budgetentwurf findet sich an einer anderen Stelle eine Schätzung für die mögliche jährliche Gehaltserhöhung. Auf Seite 75 heißt es, die geschätzte jährliche Aktualisierung betrage zum 1. Juli 2023 4,4 Prozent und zum 1. Juli 2024 3,4 Prozent. Selbst wenn man diese vorläufigen Schätzungen zusammenrechnen würde, fielen sie niedriger als die angebliche 15-prozentige Erhöhung aus.
Redigatur: Matthias Bau, Kimberly Nicolaus
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Zwischenzeitliches Update zu Gehältern in den EU-Institutionen, Gewerkschaft Union Syndicale Bruxelles, 1. Juni 2023: Link (archiviert)
- Vorschlag für den EU-Haushalt 2024 der EU-Kommission, 7. Juni 2023 : Link (archiviert)
- Gehaltserhöhungen von EU-Bediensteten, Pressemitteilung der Europäischen Kommission, 15. Juni 2023: Link (archiviert)
- EU-Verordnung zu Bezügen von hochrangigen EU-Amtsinhabern: 29. Februar 2016: Link (archiviert)
- Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union, EU-Amtsblatt, 14. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Dienst- und Versorgungsbezüge der Mitglieder des EU-Parlaments: Link (archiviert)