Donald Trumps Sieg gegen Kamala Harris bei der US-Präsidentschaftswahl war viel deutlicher als erwartet. Dennoch wurde online behauptet, in jenen Bundesstaaten, die Harris gewann, sei kein Identitätsnachweis beim Wählen erforderlich gewesen, weshalb Wählerinnen und Wähler mehrfach abgestimmt hätten. Auch hätten Menschen ohne US-Staatsbürgerschaft dort gewählt. Beides ist aufgrund geltenden Rechts in den USA nicht möglich. Zudem gewann Harris nicht alle Staaten ohne Ausweispflicht.
„Wie ich gestern gelernt habe, wissen selbst sehr politisch Engagierte in Deutschland bisher nicht, dass man in einigen US-Bundesstaaten ohne Identitätsnachweis – und damit ohne Staatsbürgerschaft und mehrfach – wählen kann“, hieß es in zahlreichen Facebook-Beiträgen kurz vor der US-Wahl am 5. November 2024. Sie zitieren einen Facebook- und X-Beitrag vom 1. November 2024 von Marcel Luthe, von 2016 bis 2021 zunächst FDP-, später parteiloser Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus und aktuell Vorsitzender der Good Governance Gewerkschaft. Diese Gewerkschaft will sich branchenübergreifend für die Freiheit von Bürgerinnen und Bürger einsetzen und legt dabei den Fokus auf die Themen Corona, Ukraine, Urheberrecht, Energie und Inflation.
In den Posts sind neben der Behauptung zwei Karten der Vereinigten Staaten von Amerika zu sehen: Die linke Karte zeigt, in welchen Bundesstaaten zur Wahl ein Identitätsnachweis mit oder ohne Bild oder kein Identitätsnachweis zum Wählen nötig ist. Auf der rechten Karte sind Staaten zu sehen, in denen Kamala Harris oder Donald Trump die Mehrzahl der Stimmen bekommen.
Zunächst einmal stammt der Beitrag von vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024. Das bedeutet, in welchen Bundesstaaten die demokratische Kandidatin Kamala Harris und in welchen der republikanische Kandidat Donald Trump gewonnen haben, konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht feststehen, da die Wahllokale noch nicht geöffnet oder gar geschlossen waren und die Auszählung somit noch nicht erfolgt war.
Bis alle Stimmen ausgezählt sind, dauert es in den USA mitunter Tage. Im Verlauf des 6. November 2024 deutscher Zeit stand jedoch bereits fest, dass Trump die Wahl für sich entschieden hat.
Eine umgekehrte Bildsuche der Karte über die erforderlichen Identitätsnachweise führte zu einem Artikel auf der Website Ballotpedia, die Informationen rund um Wahlen in den USA bereitstellt. Die Karte ist mit jener in den Beiträgen identisch.
Der Vergleich dieser Karte mit den Ergebnissen der Präsidentschaftswahl zeigt: Die Bundesstaaten, die Harris gewann, sind nicht deckungsgleich mit jenen ohne erforderlichen Identitätsnachweis. Nevada verlangt zwar keinen Nachweis, dort gewann allerdings Trump. In Colorado, Virginia, Delaware, Connecticut, Rhode Island und New Hampshire ist ein Ausweis nötig, diese Staaten gingen aber an Harris.
In 14 Staaten treffen beide Bedingungen – dass Harris sie für sich entscheiden konnte und dass dort keine Ausweispflicht bei der Stimmabgabe herrscht – zu: Washington, Oregon, California, New Mexico, Minnesota, Illinois, New York, Vermont, Maine, Massachusetts, New Jersey, Maryland, Hawaii und Washington D.C. Da Wahlen in Washington primär Briefwahlen sind, betrifft die Regelung jedoch nur wenige Wählerinnen und Wähler.
Identitätsnachweis in meisten Staaten nötig
Jeder Bundesstaat entscheidet selbst, ob Wählerinnen und Wähler ihre Identität nachweisen müssen, wenn sie im Wahllokal wählen gehen, erklärt die General Services Administration (GSA) der US-Regierung (hier archiviert). Die meisten verlangen demnach einen Identitätsnachweis. Das könne in einigen Staaten ein Lichtbildausweis wie ein Führerschein oder ein Personalausweis sein, in anderen Bundesstaaten reiche beispielsweise eine Geburtsurkunde oder ein Sozialversicherungsnachweis ohne Foto aus. Die National Conference of State Legislatures (Nationale Konferenz der Landesgesetzgeber) listet die genauen Bestimmungen in den Staaten ohne Ausweispflicht auf (hier archiviert).
In manchen Bundesstaaten, die keinen Identitätsnachweis im Wahllokal verlangen, müssen Wählerinnen und Wähler stattdessen ein spezielles Dokument ausfüllen. Andere Staaten nutzen bei Zweifeln an der Wahlberechtigung einer Person einen provisorischen Stimmzettel, der nach einer Identitätsprüfung gezählt wird, führt die GSA weiter aus.
Wählerinnen und Wähler müssen sich jedoch für die Wahl registrieren – unabhängig davon, ob ihr Bundesstaat einen Identitätsnachweis beim Wählen fordert oder nicht.
Registrierung zur Wahl: US-Staatsbürgerschaft ist Pflicht
In den Vereinigten Staaten dürfen Menschen bei nationalen Wahlen ihre Stimme abgeben, wenn sie US-Bürgerinnen oder -Bürger sind, zum Zeitpunkt der Wahl mindestens 18 Jahre alt sind und die Wohnsitzbestimmungen des Bundesstaates erfüllen (hier archiviert). North Dakota ist der einzige US-Bundesstaat ohne förmliche Wählerregistrierung – dort gelten andere Sicherheitsvorkehrungen, die die Sicherheit der Wahlen gewährleisten sollen (hier archiviert).
Der National Voters Registration Act (Nationales Wählerregistrierungsgesetz, hier archiviert) aus dem Jahr 1993 verpflichtet alle Staaten dazu, ein einheitliches Formular zur Registrierung zu nutzen, auf dem potenzielle Wählerinnen und Wähler bei Bundeswahlen unter Androhung von Meineid bestätigen müssen, dass sie US-Bürgerinnen und -Bürger sind. Für diese Registrierung ist ein Identitätsnachweis notwendig, beispielsweise ein Führerschein oder ein Personalausweis, der vom jeweiligen Bundesstaat ausgestellt wird, erklärt die Regierungsbehörde GSA (hier archiviert). Welche Papiere als Identitätsnachweis akzeptiert werden, entscheidet demnach jeder Bundesstaat selbst.
David Becker, geschäftsführender Direktor und Gründer des Center for Election Innovation and Research, erklärte in einem Youtube-Video vom 13. Mai 2024 ebenfalls: „Nicht-US-Bürgerinnen und -Bürger dürfen bei Bundeswahlen nicht wählen“ (hier archiviert). Dabei bezieht er sich auf das Bundesrecht, den United States Code, wonach Wählen ohne US-Staatsangehörigkeit eine Straftat ist (hier archiviert). Bestimmte Ausnahmen gelten nur auf niedrigerer Ebene: Einige Gemeinden in Kalifornien, Maryland und Vermont sowie der District of Columbia haben Gesetze erlassen, die es Nicht-Staatsbürgerinnen und -Staatsbürgern erlauben, an kommunalen Wahlen teilzunehmen, nicht aber an nationalen (hier archiviert).
Illegale Stimmabgaben kommen selten vor
„Es gibt ziemlich empfindliche Strafen dafür, wenn man behauptet, US-Bürgerin oder -Bürger und wahlberechtigt zu sein, obwohl man es nicht ist“, erklärte Martha Kropf, Professorin für Politikwissenschaft und öffentliche Verwaltung an der Universität North Carolina-Charlotte, gegenüber AFP am 9. April 2024 für einen weiteren Faktencheck.
Nicht-Staatsbürgerinnen und -Staatsbürgern drohen Geld- und Gefängnisstrafen sowie die Abschiebung, wenn sie sich illegal registrieren lassen oder wählen. Daten der konservativen Heritage Foundation und eine Studie des Brennan Center for Justice zeigen, dass die Anzahl illegaler Stimmabgaben verschwindend gering ist (hier und hier archiviert). So ergab beispielsweise die Analyse der Heritage Foundation von Klagen im Zusammenhang mit Wahlen nur 24 Fälle von Stimmabgabe durch Nicht-US-Bürgerinnen und -Bürger zwischen 2003 und 2023.
Die Behauptung, auch Nicht-US-Bürgerinnen und -Bürger hätten bei den US-Wahlen abgestimmt, taucht nicht zum ersten Mal auf. Sie ist ein viel verbreitetes Narrativ im Zuge der Präsidentschaftswahl, das AFP in den vergangenen Monaten bereits in Bezug auf verschiedene Bundesstaaten mehrfach widerlegt hat.
Mehrfach Wählen ist strafbar
Im zweiten Teil der Behauptung geht es darum, dass Wählerinnen und Wähler mehrfach ihre Stimmen abgegeben hätten. Verwirrung um dieses Thema kam bereits im September 2020 auf, als der damalige Präsident Donald Trump Wahlberechtigte in North Carolina dazu aufrief, sowohl per Brief als auch in Person zu wählen, „um das System zu testen“, wie beispielsweise die Nachrichtenagentur Reuters oder der Sender BBC damals berichteten.
Die Organisation der Wahlen ist in den USA Sache der Bundesstaaten. Für North Carolina erklärte Karen Brinson Bell, Geschäftsführerin des North Carolina State Board of Elections (Wahlbehörde von North Carolina), damals, dass Briefwählerinnen und -wähler in einem elektronischen Verzeichnis aufgeführt würden und so nicht noch einmal im Wahllokal wählen könnten.
Laut Bundesrecht der Vereinigten Staaten ist mehrmaliges Wählen verboten. Wer unter anderem bei Präsidentschaftswahlen oder auch den Wahlen von Mitgliedern des Senats oder des Repräsentantenhauses „mehr als einmal wählt, wird mit einer Geldstrafe von höchstens 10.000 US-Dollar oder einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren oder beidem belegt“, legt der United States Code fest (hier archiviert). Das Strafmaß setzen die Bundesstaaten selbst fest.
Nach Umzug in zwei Staaten registriert
Es kann jedoch sein, dass US-Bürgerinnen und -Bürger, die umgezogen sind, in zwei Bundesstaaten für Wahlen registriert sind. Ihre Wählerregistrierung im Bundesstaat ihres vorherigen Wohnsitzes wird erst einige Jahre, nachdem sie dort nicht mehr gewählt haben, gelöscht, erklärt das Centre for Economic Policy Research (hier archiviert).
Mit dieser Tatsache gehen die Staaten unterschiedlich um: Der National Conference of State Legislatures zufolge ist die Stimmabgabe in mehreren Bundesstaaten in 19 Bundesstaaten grundsätzlich verboten, in acht Bundesstaaten dürfen Wählerinnen und Wähler nicht zwei Mal für dasselbe Amt abstimmen und 35 Bundesstaaten verbieten die zweifache Stimmabgabe bei derselben Wahl (hier archiviert).
Faktenckecks zu den US-Wahlen finden sich auf der AFP-Website.
Fazit: US-Bundesstaaten, in denen Harris gewann, sind nicht deckungsgleich mit jenen, in denen keine Ausweispflicht für Wahlen gilt. Zudem regeln die nationalen und bundesstaatlichen Wahlgesetze, dass sich nur US-Bürgerinnen und -Bürger für die US-Präsidentschaftswahl registrieren dürfen. Die mehrmalige Stimmabgabe einer Person bei einer Wahl ist per Gesetz verboten.