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Politiker-Aussagen falsch eingeordnet

Reichsbürger behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner und legitimer Staat. Eine Zusammenstellung von Zitaten berühmter Politiker wird so gedeutet, als hätten auch diese so etwas gesagt. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Bewertung

Den Zitaten fehlt der jeweilige Zusammenhang. Keiner der genannten Politiker wollte mit seiner Äußerung die Legitimation Deutschlands anzweifeln.

Fakten

In sozialen Netzwerken wird ein Bild geteilt, das bekannte Politiker verschiedener Parteien als «echte Reichsbürger enttarnt» haben will. Grundlage dafür sind vier Aussagen, die belegen sollen, dass offenbar auch sie Deutschland nicht für einen souveränen Staat halten. Die Äußerungen sind allerdings nur vor dem jeweiligen Hintergrund zu verstehen.

Die Mär vom Fortbestand des Deutschen Reichs

Dem ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) wird die Aussage zugeschrieben, das Deutsche Reich sei «nie untergegangen».

In einer Rede anlässlich des Deutschlandtreffens der Schlesier, einem von einem Vertriebenenverband organisierten Treffen, im Juli 1989 hat sich Waigel zwar so geäußert. Der historische Zusammenhang ist jedoch zum Verständnis wesentlich: Zum Zeitpunkt der Ansprache war Deutschland noch geteilt. Im Rahmen der Potsdamer Konferenz wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vormals ostdeutsche Gebiete unter polnische Verwaltung gestellt und die Oder-Neiße-Linie als vorübergehende neue Westgrenze Polens festgelegt. Die DDR bestätigte diese Grenzziehung 1950 mit dem Görlitzer Abkommen, die BRD schließlich 1970 mit dem Warschauer Vertrag.

Diese Regelungen waren jedoch nur solange bindend, bis das Ziel der Wiedervereinigung erreicht war, urteilte auch das Bundesverfassungsgericht 1973 mit Verweis auf das Grundgesetz. Auf diese bis dato geltende Rechtsprechung bezog sich Waigel auf dem Schlesiertreffen, wie er nach Kritik an seiner Rede betonte – Deutschland als Staat stellte er damit nicht in Frage. Spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und dem deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 ist die Grenze zudem völkerrechtlich anerkannt.

Souverän versus supranational

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) soll Deutschlands Unabhängigkeit angezweifelt haben. So soll er gesagt haben, Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg «zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän» gewesen.

Die Formulierung entstammt einem Vortrag auf dem 21. Europäischen Bankenkongress im Jahr 2011. Hier spricht Schäuble über die Währungsunion, wörtlich sagt er: «Und wir in Deutschland sind seit dem 08. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen. Das wusste übrigens das Grundgesetz, das steht schon in der Präambel 1949 – das Ziel, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa, dem Frieden, der Welt zu dienen.»

Im Folgenden verweist er auf den damaligen Grundgedanken, dass die Nationalstaaten Europas nicht mehr alle Probleme nur in Eigenregie lösen konnten. Die Euro-Zone entspräche dem Versuch einer derartigen übergeordneten Systems, erklärt er. Gegen Deutschland als Nationalstaat spricht er sich damit nicht aus. Im Gegenteil: Noch im Vorfeld der zitierten Aussage verweist er auf die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten hinsichtlich Finanzpolitik und Budgetrecht des Parlaments.

Die GmbH-These

Eine weitere beliebte Behauptung unter Reichsbürgern ist, Deutschland sei kein Staat, sondern eine Firma. Dieser Meinung soll auch der Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin (Grüne) sein.

Ein Videoausschnitt, in dem von seiner Seite das Wort «Firma» zu hören ist, stammt aus einer Fernsehrunde im Rahmen der Bundestagswahl 2009. Hier weist Trittin auf die Notwendigkeit hin, sich inhaltlich vom TV-Duell zwischen Angela Merkel(CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Vorabend abzuheben, in dem diese besprochen hätten, «ob die die Firma vielleicht gemeinsam weiterführen» wollten.

Das Wort verwendete er in diesem Zusammenhang als umgangssprachliches Stilmittel in Anspielung auf etwaige Koalitionsgespräche. So wie sich etwa «den Laden am Laufen halten» auch nicht immer konkret auf ein Ladengeschäft bezieht, habe Trittin hier mit Firma nicht gemeint, dass Deutschland kein legitimer Staat sei, teilte sein Büro der dpa auf Anfrage mit.

Im Sinne der «Firmen-Theorie» soll auch der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel gesagt haben, Angela Merkel sei «Geschäftsführerin einer neuen Nichtregierungsorganisation in Deutschland».

Der damalige SPD-Politiker hat das zwar gesagt, aber ironisch gemeint, wie er der dpa gegenüber bereits in der Vergangenheit klarstellte. Gabriel verwendete die Begrifflichkeiten als Stilmittel in einer Rede auf dem Landesparteitag der SPD Nordrhein-Westfalen und hat sich im Nachhinein klar von den Reichsbürgern distanziert.

Der Verfassungsschutz ordnet Personen unter anderem dann der Reichsbürger-Szene zu, wenn sie «die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen» oder «den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen». Keiner der aufgezählten Politiker hat das mit seinen Aussagen getan.

(Stand: 22.12.2022)

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Politik

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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