Sobald es um die Anzahl von Geschlechtern, das Gendern oder Fragen sexueller Orientierung geht, erhitzen sich die Gemüter. Laut einem Screenshot eines Artikels, der in sozialen Medien geteilt wird, sei Sex mit Kindern durch ein Gleichstellungsgsetz bald straffrei. Das ist jedoch falsch. Der Artikel bringt mehrere Gesetze durcheinander, von denen keines sexuelle Handlungen Erwachsener mit Kindern thematisiert. Auch Expertinnen und Experten widersprechen der Behauptung.
„Gleichstellungsgesetz: Sex mit Kindern bald straffrei“, ist in einem Screenshot eines Artikels zu lesen, der im Oktober 2024 zahlreich auf Facebook, X und Telegram geteilt wird. Nutzerinnen und Nutzer empören sich über diese angeblichen Pläne, mit denen sich dem Screenshot zufolge der Bundestag befasse. „Einer der Gründe warum man gegen diese Politische Agenda kämpfen muss!!“, steht beispielsweise in einem Beitrag vom 10. Oktober 2024.
Die Behauptung ist jedoch falsch. Mithilfe einer Stichwortsuche fand AFP heraus, dass der Artikel im Screenshot auf der Website anonymousnews veröffentlicht wurde. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Ersterscheinung. Einen Tag zuvor, am 4. Oktober 2024, wurde der Artikel auf der Website Tichys Einblick veröffentlicht. Dabei handelt es sich um einen Gastbeitrag der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel, die sich heute in der 2024 gegründeten Partei Werteunion engagiert. AFP hat bereits zuvor von Tichys Einblick verbreitete Falschinformationen überprüft.
Artikel dreht sich um eine Petition
Die Überschrift des Artikels ist ursprünglich eine andere: „Pädophilen-Petition im Bundestag? Wenn Kontrollmechanismen versagen“ statt wie im Screenshot „Gleichstellungsgesetz: Sex mit Kindern bald straffrei“. Auch der einleitende Absatz im Screenshot ist nicht Teil des Artikels auf Tichys Einblick. In dem Text geht es zudem nicht um das Gleichstellungsgesetz, wie der Titel im geteilten Screenshot ankündigt. Pantel nennt zwar zunächst das ab November 2024 geltende Selbstbestimmungsgesetz als ein Beispiel politischer Maßnahmen der Bundesregierung zu Geschlechterfragen, die sie kritisiert. Mit dem eigentlichen Thema ihres Gastbeitrages, einer Petition zur Verankerung von Kinderrechten und sexueller Identität im Grundgesetz, hat auch dieses Gesetz jedoch nichts zu tun.
Sie kritisiert, dass sich der Bundestag überhaupt mit dieser Petition befasst hat, die von der Gruppe Krumme 13 und dem darin aktiven, für den Vertrieb von Kinderpornographie vorbestraften Dieter Gieseking gestartet wurde. Die Gruppe setzt sich für Pädophile ein, bietet unter anderem Gefangenenhilfe an. Mit der Petition wollte sie erreichen, dass auch Pädophilie als sexuelle Identität ins Grundgesetz aufgenommen und somit geschützt wird, sammelten aber nur 37 Unterschriften. Das Grundgesetz sichert entgegen Pantels Kritik allen ein allgemeines Recht darauf zu, sich mit Anliegen an die Volksvertretung zu wenden.
Tatsächlich stimmte der Bundestag über diese Petition gemeinsam mit vielen weiteren in seiner Sitzung vom 26. September 2024 ab und folgte dem Vorschlag des Petitionsausschusses, das Verfahren abzuschließen (Pet 4-19-07-103-044636). Auf AFP-Anfrage erklärte ein Sprecher des Bundestags am 22. Oktober 2024 in einer E-Mail, dass die Petition abgelehnt wurde.
Gesetze behandeln keine Straftaten
Im Screenshot ist die Rede von einer Änderung „im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes“. In Deutschland gibt es jedoch mehrere Gesetze, die die Gleichstellung verschiedener Personengruppen zum Ziel haben. So steht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Ein weiteres Gleichstellungsgesetz, das Bundesgleichstellungsgesetz, soll die Benachteiligung in Bundesbehörden und Gerichten aufgrund des Geschlechts verhindern. Und schließlich soll Artikel 3 des Grundgesetzes garantieren, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Auf Letzeres bezieht sich die Petition der Gruppe Krumme 13.
Das Selbstbestimmungsgesetz, auf das Pantel in ihrem Gastbeitrag zu Beginn Bezug nimmt, behandelt ebenfalls keine Straffreiheit sexueller Handlungen mit Kindern. Das Gesetz, das am 12. April 2024 vom Bundestag beschlossen wurde und am 1. November 2024 in Kraft tritt, macht es für inter- und transgeschlechtliche sowie nonbinäre Menschen einfacher, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen auf dem Standesamt ändern zu lassen. Es geht also auch hier ausschließlich um die Geschlechtsidentität von Personen.
Das Bundesjustizministerium bezeichnete die Behauptung auf AFP-Anfrage am 22. Oktober 2024 als Falschinformationen, die sich mit geltendem Recht widerlegen ließen. Für all diese Gesetze gelte zudem, dass darin „insgesamt keine strafrechtlichen Fragen geregelt werden“, erklärte Anna Lena Göttsche, Professorin in Familien-, Kinder- und Jugendrecht an der TH Köln sowie Leiterin der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht des Deutschen Juristinnenbunds gegenüber AFP in einer E-Mail vom 22. Oktober 2024. Sie bezeichnete das verbreitete Narrativ als „eine schlichte Lüge“.
Dem stimmte Max Kolter, Jurist und Redakteur des juristischen Fachmediums „Legal Tribune Online“, zu. Er publizierte selbst bereits zum Selbstbestimmungsgesetz. Weder dieses Gesetz, noch die genannten Gleichstellungsgesetze sähen es vor, sexuelle Handlungen Erwachsener mit Kindern zu entkriminalisieren, erklärte er in einer E-Mail an AFP vom 22. Oktober 2024. Auch Daniel Grein, Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes, schrieb AFP am 22. Oktober 2024 in Bezug auf das Selbstbestimmungesetz: „Zum Thema sexuelle Gewalt an Kindern äußert sich das Gesetz an keiner Stelle, insofern kann auch keine Entkriminalisierung stattfinden.“ Gleiches gelte für die genannten Gleichstellungsgesetze.
Eine Stichwortsuche in den angesprochenen Gesetzen nach Wörtern, die mit der falschen Behauptung in Zusammenhang stehen wie etwa „Kinder“ oder „Pädophilie“, ergab zudem keine Treffer.
Sexuelle Handlungen an Kindern sind strafbar
Das Strafgesetzbuch regelt in einer Vielzahl von Paragraphen die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen Erwachsener mit Kindern. So sind diese beispielsweise grundsätzlich strafbar, wenn das Kind jünger als 14 Jahre ist. Handelt es sich um sogenannte Schutzbefohlene, also beispielsweise Kinder, die durch den oder die Erwachsene erzogen oder ausgebildet werden, sind sexuelle Handlungen mit ihnen bis zur Volljährigkeit verboten.
Auch Kinderpornografie herzustellen, weiterzugeben oder zu erwerben, steht unter Strafe und wird laut Strafgesetzbuch mit sechs Monaten bis zehn Jahren Haft geahndet. Zuletzt gab es Diskussionen darüber, dass das Mindeststrafmaß für den Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Frühjahr 2024 herabgesetzt wurde. Wegen der Definition, ab welcher Dauer der Strafe eine Tat als Vergehen oder als Verbrechen gilt, mussten zuvor beispielsweise auch Eltern mit Strafverfolgung rechnen, wenn sie pornografische Inhalte zur Warnung an andere Eltern weiterleiteten.
Fazit: Weder das Selbstbestimmungsgesetz noch zentrale Gesetze zur Gleichstellung in Deutschland behandeln die Straffreiheit von sexuellen Handlungen Erwachsener mit Kindern. Das bestätigten auch Expertinnen und Experten gegenüber AFP. Das Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft tritt, regelt lediglich die Änderung des Geschlechtseintrages sowie des Vornamens. Der Artikel, der im Screenshot abgebildet ist, handelt zudem von einer abgelehnten Petition zur Gleichstellung sexueller Identitäten.