Spike-Proteine der Corona-Impfung schädigen weder Lunge noch weiße Blutkörperchen - Featured image

Spike-Proteine der Corona-Impfung schädigen weder Lunge noch weiße Blutkörperchen

Über Impfstoffe gegen das Coronavirus werden in sozialen Medien immer wieder Falschnachrichten verbreitet. In einem Video wird behauptet, in Folge der Corona-Impfung würden sich Spike-Proteine unaufhaltsam replizieren, die Lunge schädigen und die weißen Blutkörperchen deaktivieren. Expertinnen und Experten erklärten jedoch gegenüber AFP, dass die Impfung keine Gefahr für die Lunge und das Immunsystem darstellt.

„Der schreckliche Beweis, warum die Impfung ein Genozid ist“, heißt es in einem über 1000 Mal geteilten Beitrag auf Facebook vom 17. September 2023. Darin wird ein rund acht Minuten langes Video verbreitet, in dem eine Nutzerin namens Miriam Hope die Gefahren der Corona-Impfung erläutert. Ihr zufolge würden sich die Spike-Proteine nach der Corona-Impfung im Körper angeblich unaufhörlich replizieren, die Lunge angreifen und unter anderem zu Blutungen der Lunge führen sowie die weißen Blutkörperchen, die für den Selbstheilungsmechanismus der Zellen zuständig sind, deaktivieren.

Ähnliche Behauptungen untersuchte AFP beispielsweise bereits hier, hier und hier.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 27. September 2023

Eine Bildsuche eines Screenshots des Videos zeigt, dass es nicht zum ersten Mal in sozialen Netzwerken zirkuliert: Bereits im März 2021 wurde es fast 5000 Mal auf Facebook geteilt und kommt bis heute auf 150.000 Aufrufe. Eines der Suchergebnisse führt zu einer Liste an Clips mit dem Hashtag „miriam-hope“ auf dem Videoportal Bitchute. Dabei handelt es sich hauptsächlich um coronakritische Inhalte. Auch auf Youtube finden sich Videos von ihr. Dort verweist sie auf ihren Telegram-Kanal „MiriamHope_Original„, der aktuellste Eintrag stammt jedoch vom 19. Juli 2023.

Im Video nennt die Urheberin auch ihren X-Account (ehemals Twitter) „Miriamhope777“, der allerdings inzwischen gesperrt ist. Das Online-Portal „Belltower„, das sich in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung befindet, bezeichnete sie im Januar 2021 als „rechtsalternative Youtuberin„.

Antikörper reproduzieren sich nicht unaufhörlich

Miriam Hope behauptet, angeblich würde „nur ein kleines Stück der Virusgenetik, das speziell mit dem Spike-Protein verbunden ist“, durch die Impfdosis in den menschlichen Körper injiziert, wodurch „ein nicht-neutralisierender Antikörper gegen das Spike-Protein geschaffen“ würde. So könne das Virus in die Zellen gelangen und sich die Antikörper sowie die Spike-Proteine unaufhörlich reproduzieren. Das ist falsch.

„Die Aussage, dass sich Antikörper nach der Aufnahme in Zellen replizieren, ist nicht korrekt“, erklärte Daniel Sauter, Professor am Institut für medizinische Virologie und Epidemiologie der Viruskrankheiten am Universitätsklinikum Tübingen, in einer E-Mail vom 22. September 2023 gegenüber AFP.

Nach einer Virus-Infektion und einer Impfung können ihm zufolge sowohl neutralisierende als auch nicht-neutralisierende Antikörper gebildet werden. Beide Arten könnten sich direkt an Viren binden. „Neutralisierende Antikörper bieten dabei einen direkten Schutz, indem sie zum Beispiel die Bindung von Viren an Zellen verhindern“, erklärte Sauter. Somit würden sie verhindern, dass sich das Virus in weitere gesunde Zellen einschleusen könne und würden so dessen Ausbreitung im Körper erschweren.

Nicht-neutralisierende Antikörper hätten diese Eigenschaft nicht, spielten aber dennoch eine wichtige Rolle bei der Reaktion des Immunsystems auf Viren. „Durch sie können Viren als Fremdkörper markiert werden“, erklärte Sauter. „Diese Markierung dient anderen Immunzellen als Signal, um weitere Antikörper-unabhängige Abwehrmechanismen einzuleiten.“ Somit seien sie indirekt an der Eliminierung des Virus beteiligt.

Zur Bildung von Antikörpern erklärte Sauter zusätzlich: „Antikörper werden nach Infektion oder Impfung nur von spezialisierten Immunzellen, sogenannten Plasmazellen, produziert.“ Diese seien Teil des Immunsystems und würden aktiviert, wenn der Körper mit einem fremden Antigen in Kontakt kommt. Das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus sei ein solches Antigen. Die Aufnahme von einem Antikörper in Plasmazellen oder in andere Zellen führe jedoch nicht zur Produktion weiterer Antikörper und diese könnten sich nicht eigenständig vermehren.

Antikörper bilden sich, solange ihr Trigger vorhanden ist

Bei Spike-Proteinen handelt es sich laut Sauter um Proteine, die „auf der Oberfläche von SARS-CoV-2-Virus-Partikeln zu finden“ sind. „Sie ermöglichen es dem Virus, an seine Zielzellen zu binden und diese zu infizieren“, erklärte er. Voraussetzung dafür sei die Fähigkeit des Proteins, die Membranhülle des Virus und die Membran einer Körperzelle miteinander zu verschmelzen und bei einer Infektion so das Virus in eine Zelle einzuschleusen.

Diejenigen Spike-Proteine, die nach einer Impfung gebildet werden, dienen Sauter zufolge jedoch „als Antigen, um die antivirale Immunabwehr zu aktivieren“. Es sei möglich, dass ein Antikörper an ein Spike-Protein bindet, wenn sich dieses auf der Zelloberfläche befinde. Gemeinsam könnten sie in die Zelle aufgenommen werden. „Dies führt jedoch nicht zu der im Video genannten unkontrollierten Replikation von Antikörpern“, erklärte Sauter. „Stattdessen gibt es innerhalb von Zellen spezielle Abbauprozesse, die solche Antigen-Antikörper-Komplexe zerstören um deren Grundbausteine zu recyclen.“

Das bestätigte auch Ulrike Protzer, Professorin und Direktorin des Instituts für Virologie der Technischen Universität München, in einer E-Mail vom 22. September 2023 gegenüber AFP. Sie erklärte zusätzlich, dass die Bildung der Antikörper anhalte, „solange der Trigger vorhanden ist“. Bei einer Infektion sei das länger als bei einer Impfung.

Ein Fläschchen des Impfstoffes Comirnaty von Biontech/Pfizer wird in einem Kinder-Impfzentrum in Dortmund gezeigt – Ina FASSBENDER / AFP

„Die Covid-19-Impfung induziert im Körper die Bildung von spezifischen Antikörpern durch B-Zellen, welche jedoch nur eine begrenzte Zeit anhält“, erklärte auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in einer E-Mail vom 28. September 2023 gegenüber AFP. „Die Antikörperspiegel fallen mit der Zeit wieder ab.“ Dazu habe das PEI selbst Daten veröffentlicht. B-Zellen sind ein Typ weißer Blutkörperchen, der sich an neue Krankheitserreger anpassen kann, wie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung auf seiner Website erklärt.

Da der Antikörperspiegel nach einer Impfung oder Infektion abnimmt, seien nach aktuellem Wissensstand „zwei Impfungen für die Basisimmunität und mindestens eine Auffrisch-/Wiederholungsimpfung erforderlich“. Ein dreifacher Kontakt mit dem Spike-Protein durch eine Impfung gegen das Coronavirus oder eine Infektion sorge für eine gute Immunität gegen Covid-19 beziehungsweise einen schweren Verlauf, erklärte das PEI.

Auch mRNA repliziert sich nicht selbst

Ebenso wie Spike-Proteine beginne auch die mRNA „nicht, sich im Körper selbst zu replizieren“, erklärte Sauter darüber hinaus. Die mRNA könne sich nicht eigenständig vermehren, sondern werde „abgelesen, um das Spike-Protein zu produzieren und anschließend abgebaut.“

Zudem sei „nicht korrekt, dass bei der Pfizer/Biontech-Impfung ‚ein kleines Stück Virus-Genetik verbunden mit dem Spike-Protein‘ verabreicht wird“, erklärte Sauter. Der Impfstoff enthalte kein Spike-Protein, sondern eine mRNA, die für das Spike Protein codiert sei. „Das Spike-Protein wird erst gebildet, nachdem die mRNA in eine Zelle transportiert wurde.“ Weiter erklärte er: „Das Spike-Protein ist auch dann nicht mit der mRNA verbunden.“

Lungenzellen werden durch Covid-Infektion geschädigt, nicht durch eine Covid-Impfung

Eine weitere Behauptung im Video ist, dass die Lunge angeblich durch die Spike-Proteine und Antikörper angegriffen werde und „verschiedene Grade von Blutungen und Schäden“ der Lunge hervorgerufen würden.

Spike-Proteine können tatsächlich „Lungenzellen und auch andere Gewebe schädigen“, erklärte Sauter. Allerdings passiere das „vor allem bei der natürlichen SARS-CoV-2-Infektion und ist einer der Gründe dafür, warum Covid-19 so gefährlich ist“. Anders als eine natürliche Corona-Infektion der Lunge verbleibe der SARS-CoV-2-Impfstoff hauptsächlich an der Injektionsstelle im Muskel und in den benachbarten Lymphknoten, führte Sauter aus. „Von einer Schädigung der Lunge und der Verursachung von Blutungen durch das Spike-Protein ist nach Impfung daher nicht auszugehen“, erklärte Sauter. „Allerdings können nach einer Impfung Nebenwirkungen auftreten, die ähnlich der natürlichen SARS-CoV-2 Infektion sind, wobei diese sehr viel milder verlaufen und auch nach kurzer Zeit wieder abklingen sollten.“ Ungewöhnlich starke Reaktionen mit schweren Nebenwirkungen seien in seltenen Fällen dennoch möglich.

Das bestätigt das PEI: „Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 kann es durch das Eindringen des Virus in das Lungengewebe zu Schädigungen kommen, an denen das Spike-Protein beteiligt sein könnte.“ Weder klinische Prüfungen, noch milliardenfache Corona-Impfungen würden jedoch Hinweise darauf geben, dass durch Covid-19-Impfstoffe ebenfalls Lungenschäden auftreten würden.

Weiße Blutkörperchen bleiben von Covid-Impfung unversehrt

Schließlich wird im Video behauptet, dass die Makrophagen angeblich durch die Spike-Proteine und Antikörper gebunden und somit deaktiviert würden. Makrophagen beziehungsweise weiße Blutkörperchen sind sogenannte Fresszellen des Immunsystems, deren Aufgabe es ist, „Krankheitserreger zu erkennen und zu ‚fressen'“, also zu eliminieren, erklärte das PEI gegenüber AFP.

Ulrike Protzer zufolge fressen Makrophagen „alles auf, was ihnen in den Weg kommt, auch Spike-Proteine“. Deaktiviert würden sie dadurch allerdings nicht – im Gegenteil: „Sie werden dadurch eventuell aktiviert, aber sicherlich nicht inaktiviert.“ Auch Daniel Sauter widerspricht der Behauptung: „Mir ist keine wissenschaftliche Studie oder Veröffentlichung bekannt, die eine Inaktivierung von Makrophagen durch Spike-Proteine“ zeige, ebenso nicht durch Antikörper.

Nutzen der Corona-Impfungen überwiegen gegenüber den Risiken

„Zu beachten ist, dass die im Video genannten Prozesse, also die Produktion des Spike-Proteins und die Produktion von nicht-neutralisierenden Antikörpern, auch bei einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion stattfinden“, erklärte Sauter.

Grundsätzlich ist die Corona-Impfung keine Gefahr für das Immunsystem, sie könne es aber in sehr seltenen Fällen überstimulieren, erklärte Ulrike Protzer. „Impfstoffe, die das menschliche Immunsystem gefährden, würden wohl keinen spezifischen Covid-19-Schutz erzeugen, was ja für die Zulassung nachgewiesen werden muss“, heißt es seitens des PEI. Generell würden Impfstoffe nur zugelassen, wenn die zugehörigen Daten „eindeutig zeigen, dass der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt“.

In Deutschland und dem Europäischen Wirtschaftsraum werden laut PEI „nur solche Impfstoffprodukte zugelassen, für die in nicht-klinischen Untersuchungen und klinischen Prüfungen der Nachweis von Qualität, Sicherheit/Verträglichkeit und Wirksamkeit erbracht wurde und bei denen, wie erwähnt, der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt.“ Die Überprüfung der Sicherheit erfolge auch nach der Zulassung dauerhaft, wodurch gleichwohl sehr seltene Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe bekannt seien.

Biontech-Gründer sprach sich für Impfung aus

Am Rande wird im Video zusätzlich behauptet, der Biontech-Gründer und Vorstandsvorsitzende Uğur Şahin und auch seine Mitarbeiter würden sich nicht impfen lassen. Beispielsweise ein gefälschtes Video von Şahin und andere Beiträge mit ähnlichen Aussagen wurde bereits in der Vergangenheit von AFP überprüft. Zum Zeitpunkt, als das Video von der Nutzerin Miriam Hope 2021 zuerst veröffentlicht wurde, galt in Deutschland laut Chronik des Bundesgesundheitsministeriums noch ein Stufenplan nach Prioritätsgruppen für die Verteilung der Corona-Impfstoffe. Şahin hatte im Dezember 2020 öffentlich die Absicht erklärt, sich und seine Mitarbeiter impfen lassen zu wollen.

Biontech-Gründer Uğur Şahin nach einer Pressekonferenz bei Biontech in Marburg am 2. Februar 2023 – ANDRE PAIN / AFP

Außerdem wird im Video der Great Reset angesprochen, wodurch Miriam Hope zufolge „die Eliminierung von Millionen, wenn nicht gar Milliarden Menschen“ erreicht werden soll. Bei dem Begriff handelt es sich nicht nur um den Titel eines 2020 erschienen Buches von Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF), sondern auch um eine Initiative des WEF zur Umgestaltung wirtschaftlicher Gegebenheiten angesichts der Corona-Krise. Die Initiative gerät immer wieder in den Fokus von Verschwörungsideologien, wie AFP beispielsweise hier untersucht hat.

Weitere Faktenchecks zur Corona-Pandemie und zu Corona-Impfstoffen sammelt AFP hier.

Fazit: Die Corona-Impfung stellt keine Gefahr für das Immunsystem dar. Behauptungen, dass der mRNA-Impfstoff durch Spike-Proteine und Antikörper die Lunge angreifen und weiße Blutkörperchen deaktivieren würde, sind falsch. Das bestätigten Expertinnen und Experten sowie das Paul-Ehrlich-Institut gegenüber AFP.

Fact Checker Logo

Corona, Gesundheit

Autor(en): Johanna LEHN / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen