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Verursachen Ukrainer Autounfälle in Deutschland, müssen ihre Versicherungen haften

Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sind über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland geflohen, viele von ihnen mit ihren Autos. In sozialen Medien kursiert eine Sprachnachricht, in der behauptet wird, die Versicherungen deutscher Unfallopfer würden zahlen müssen, wenn ukrainische Fahrerinnen und Fahrer einen Unfall verursachen. Expertinnen und Experten erklärten, dass auch Verkehrsteilnehmende anderer Staaten in Deutschland eine gültige Versicherung vorweisen müssen. Ist das nicht der Fall, ist die Verkehrsopferhilfe zuständig.

„Also wenn dir ein Ukrainer einen Schaden ans Auto fährt, bezahlt auch noch deine Versicherung seinen Schaden, obwohl er Schuld daran hat. Sag mal, wo sind wir eigentlich gelandet?“, sagt eine Frau aufgeregt in einer Sprachnachricht. Seit Ende September 2023 wird die Nachricht in verschiedenen sozialen Netzwerken verbreitet. Auf Facebook wurde ein Post über 6000 Mal geteilt, auf Tiktok kommt ein Beitrag auf 84.000 Aufrufe.

In der Sprachnachricht, die auch über die Whatsapp-Tipline an AFP gesendet wurde, berichtet eine Frau von einem Unfall eines Freundes. Ihm sei an einer Ampel in Dieringhausen, einem Stadtteil von Gummersbach in Nordrhein-Westfalen, ein Fahrer eines ukrainischen Pkw aufgefahren. Die hinzugezogene Polizei habe die Versicherungsnummer des Freundes verlangt, weil bei von Ukrainerinnen und Ukrainern verursachten Unfällen die deutsche Versicherung des Unfallopfers für die Schäden an beiden Autos aufkommen würde. Ein Fonds der Bundesregierung erstatte der Versicherung angeblich anschließend die Summe der Reparatur des ukrainischen Pkw.

Die Aussagen der Frau in der Sprachnachricht sind jedoch irreführend. Eine ähnliche Behauptung zur Bevorzugung von Ukrainerinnen und Ukrainern durch Kfz-Versicherer überprüfte AFP hier. Falschinformationen rund um die Ukraine sammelt AFP hier.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 18. Oktober 2023

Es lässt sich nicht verifizieren, ob sich der Auffahrunfall an einer Ampel in Dieringhausen tatsächlich ereignet hat. Eine Sprecherin der zuständigen Kreispolizeibehörde Oberbergischer Kreis erklärte auf Anfrage von AFP in einer E-Mail vom 18. Oktober 2023, dass sie „aufgrund der sehr allgemeinen Angaben zum Verkehrsunfall“ und „fehlender Angaben“ wie dem genauen Unfallort oder dem Zeitpunkt nicht feststellen könne, ob es zu dem geschilderten Ereignis gekommen sei.

AFP hat zudem eine Stichwortsuche des Ortes Dieringhausen in den öffentlichen Pressemeldungen der Polizeibehörde vorgenommen. Für den Zeitraum vom Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 bis zum 18. Oktober 2023 lieferte die Suche keine Mitteilung, die auf die Aussagen in der Sprachnachricht zutrifft. Kleinere Unfälle werden dort allerdings nicht zwangsläufig aufgeführt.

Fahren ohne Kfz-Versicherung ist in Deutschland nicht erlaubt

„Ukrainische Autofahrer benötigen eine Kfz-Haftpflichtversicherung für ihr Fahrzeug, ohne gültigen Versicherungsschutz ist das Fahren in Deutschland nicht erlaubt“, erklärte eine Sprecherin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in einer E-Mail vom 16. Oktober 2023 gegenüber AFP . Sie nannte zwei Möglichkeiten, wie Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland diese Versicherung nachweisen können: „Der Versicherungsschutz kann über eine Grüne Karte des ukrainischen Versicherers nachgewiesen werden; alternativ ist der Abschluss einer Grenzversicherung möglich.“

Die sogenannte Grüne Karte ist die Internationale Versicherungskarte für den Kraftverkehr. Pkw-Halterinnen und -Halter aus der Ukraine bekommen sie von ihrer Versicherung und sind damit auch bei einem Unfall in Deutschland versichert, erklärt der GDV auf der Website seines Verbraucherportals „Die Versicherer“. „Sollte man die Grüne Karte nicht haben, so muss man bei Grenzübertritt in den EU-Raum eine Grenzversicherung abschließen“, heißt es dort weiter. Diese könnten Ukrainerinnen und Ukrainer bei verschiedenen deutschen Kfz-Versicherern abschließen.

Verkehrsopferhilfe übernimmt bei unversicherten Schuldigen

Wenn sich in Deutschland ein Unfall ereignet, an dem der Fahrer oder die Fahrerin eines unversicherten ukrainischen Autos schuld ist, hat das Unfallopfer „dadurch keinen finanziellen Nachteil“, erklärte die Sprecherin des GDV. Denn: „Für die Entschädigung ist die Verkehrsopferhilfe zuständig.“ Dabei handelt es sich um eine Einrichtung der deutschen Kfz-Haftpflichtversicherer, die für Personen- und Sachschäden aufkomme, wenn die Verantwortlichen für den Unfall keine gültige Versicherung haben und nicht selbst für die Kosten der Reparatur aufkommen können. Die Grundlage für diese Regelung ist das Pflichtversicherungsgesetz, das eine Kfz-Haftpflichtversicherung in Deutschland vorschreibt.

Ein Sprecher des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) konkretisierte gegenüber AFP in einer E-Mail vom 18. Oktober 2023, dass das Unfallopfer für die Reparatur seines Autos zunächst die eigene Versicherung in Anspruch nehmen müsse, wenn das ukrainische Fahrzeug nicht versichert sei. Man bleibt aber nicht selbst auf den Kosten sitzen. Die Reparaturkosten übernimmt die Versicherung, darüber hinaus anfallende Kosten wie zum Beispiel eine Selbstbeteiligung trägt die Verkehrsopferhilfe.

Die Anzahl der Unfälle mit unversicherten ukrainischen Autos ist der Sprecherin des GDV zufolge jedoch vergleichsweise gering. Wie viele in der Ukraine zugelassene Autos in Deutschland unterwegs sind, sei dem GDV zwar nicht bekannt, er erfasse jedoch die Unfälle sich mit unversicherten ukrainischen Autos. Im Zeitraum von Anfang Juni 2022 bis Ende Mai 2023 seien es bundesweit 341 Unfälle dieser Art gewesen. In einer Pressemitteilung führt der GDV zum Vergleich die Gesamtzahl aller Schadenfälle an, die deutsche Kfz-Haftpflichtversicherungen im Jahr 2021 regulierten: Es waren demzufolge über 3,3 Millionen.

Sonderregelung kurz nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine

Eine Sprecherin des Bundes der Versicherten ergänzte in einer E-Mail vom 17. Oktober 2023 an AFP, dass eine Grenzversicherung maximal für ein Jahr gelte. Danach müssten ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ihr Fahrzeug in Deutschland zulassen und versichern lassen. Zu Beginn des Krieges habe außerdem eine Ausnahmeregelung gegolten. Bis Ende Mai 2022 „wurden Haftpflichtschäden, die durch einen gegebenenfalls unversicherten ukrainischen Pkw in Deutschland verursacht wurden, von den deutschen Kfz-Versicherern gemeinschaftlich übernommen“, so die Sprecherin des Bundes der Versicherten.

Dabei gebe es bis Ende 2024 mögliche Ausnahmeregelungen, sodass unter bestimmten Voraussetzungen die Grenzversicherung länger als zwölf Monate gelten könne. Einen gesonderten Fonds für die Rückerstattung der Kosten, der die Versicherungsunternehmen entschädigen soll und von dem in der Sprachnachricht die Rede ist, gibt es der Sprecherin zufolge nicht.

Maßnahmen bei Unfall mit Fahrzeugen aus anderen Ländern

Ist der Fahrer oder die Fahrerin eines Fahrzeugs aus dem Ausland an einem Unfall schuld, „gilt dasselbe wie bei sonstigen Unfällen auch“, erklärte der ADAC-Sprecher. „Sprich, Unfallstelle sichern, wenn nötig Erste Hilfe leisten oder Krankenwagen rufen, Beweise sammeln durch Fotos der Unfallstelle und der beteiligten Autos, nach Zeugen Ausschau halten und deren Personalien aufnehmen.“ Außerdem sei es ratsam, die Polizei zu rufen.

Fazit: Ukrainerinnen und Ukrainer müssen in Deutschland eine Kfz-Versicherung vorweisen können, um ihr Auto nutzen zu dürfen. Diese haftet bei einem verschuldeten Unfall. Expertinnen und Experten erklärten gegenüber AFP, dass im Falle von Unfällen mit unversicherten ukrainischen Fahrzeugen die Verkehrsopferhilfe für die Regulierung des Schadens des Unfallopfers aufkomme. Die pauschale Behauptung, die Kosten würden die deutschen Versicherungen der Geschädigten übernehmen, ist irreführend.

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Autor(en): Johanna LEHN / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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