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Westliche Länder haben Hilfe in die Erdbebengebiete in der Türkei geschickt

Anfang Februar 2023 erschütterte eines der verheerendsten Erdbeben seit Jahrzehnten das Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei. User behaupten in sozialen Netzwerken am Folgetag, dass lediglich russische Rettungskräfte in der Türkei halfen, „der Westen“ jedoch nur zu „Propaganda“-Zwecken Unterstützung versprochen, aber nicht geleistet habe. Tatsächlich haben aber Nato-Mitglieder, EU-Länder und auch internationale Hilfsorganisationen sehr schnell reagiert und Rettungskräfte, Hilfsgüter und Geld zur Verfügung gestellt.

User teilen Anfang Februar 2023 die Behauptung auf Facebook und Twitter in verschiedenen Varianten. Auf Telegram erreichte die Behauptung im Kanal der prorussischen Propagandistin Alina Lipp Zehntausende. Ursprünglich stammt die Russland bevorzugende Aussage vom und Propagandisten und türkischen Blogger Cem Kıran, der nach eigenen Angaben über das Leben in Russland berichtet.

Die Behauptung: User teilten am 7. Februar 2023 einen Text, in dem der türkische Blogger Cem Kiran zitiert wird. „In Adana gibt es einen NATO-Luftwaffenstützpunkt Incirlik, der von dem Erdbeben betroffen ist, aber von dort kommt keine Hilfe“, heißt es. Die Postings greifen das allgemeiner auf und schreiben „Russland hilft, der Westen nicht“ und „Die westlichen Länder erklären einmal mehr ihre Hilflosigkeit oder verweigern den Türken bewusst ihre Hilfe“.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 10. Februar 2022

Am 6. Februar 2023 bebte die Erde in Teilen der Türkei und Syrien. Bis zum Morgen des 13. Februar meldeten Behörden und Rettungskräfte in beiden Ländern mehr als 35.000 Todesopfer. Die wirtschaftlichen Schäden durch das Erdbeben in Syrien und der Türkei könnten sich auf vier Milliarden Dollar summieren. Die Verluste sind aktuell noch schwer einzuschätzen, da sich die Lage ständig ändert. Internationale Rettungskräfte und erste Hilfslieferungen haben die beiden Länder bereits erreicht. Bisher ist das Beben der Stärke 7,8 weltweit das 8. tödlichste Erdbeben des 21. Jahrhunderts. In der Türkei ist es die größte Katastrophe seit 1939.

Zum verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien kursieren zahlreiche Falschinformationen. Alte Aufnahmen werden aus dem Kontext gerissen und unter das echte Material gemischt. So etwa das Foto eines Hundes, der vermeintlich neben einer unter Trümmern verschütteten Person liegt oder ein vermeintlich explodierendes Kernkraftwerk in der Türkei. Weitere Falschinformationen zum Erdbeben in der Türkei und in Syrien hat AFP hier gesammelt.

Hilfe aus westlichen Ländern in der Türkei

Türkische Rettungskräfte gerieten in einigen Orten der Türkei in die Kritik von Anwohnerinnen und Anwohnern, zu wenig zu helfen. Anwohnerinnen und Anwohner fühlten sich angesichts der weiträumigen Zerstörung im Stich gelassen. Auch die Bauweise der Wohnhäuser wurde kritisiert.

Viele Regierungen, Vereinigungen und Hilfsorganisationen weltweit haben schnell auf das Erdbeben in der Türkei reagiert und Hilfsmaßnahmen veranlasst – und zwar vor 19.15 Uhr des 7. Februars 2023, dem Zeitpunkt des geteilten Postings.

Am 7. Februar, also einen Tag nach dem Erdbeben, hat die Nato um 17.54 Uhr eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie verkündete, dass mehr als zwanzig Nato-Verbündete und -Partner mehr als 1400 Rettungskräfte in die Türkei entsenden wollen. Auch die Türkei selbst ist Nato-Mitglied und hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 53.000 türkische Ersthelfende im Einsatz. Am selben Tag entsandte auch das US-Verteidigungsministerium Rettungskräfte in die Türkei.

 

Auch der von Kıran erwähnte US-Luftwaffenstützpunkt Incirlik bei Adana in der Türkei ist Teil der Hilfen. Er war laut türkischen Medien (hier, hier) bereits am 7. Februar zu einem Logistikdrehkreuz für ankommende Hilfsgüter umgewandelt worden. Die US-Air Force berichtete am 12. Februar auf der eigenen Internetseite, der Flugbetrieb der Basis sei um 340 Prozent gestiegen und tausende Tonnen Hilfsgüter entladen worden.

Die Europäische Union hat für solche Katastrophenfälle einen Mechanismus, der lebensrettende Hilfen aus den Ländern schneller und unbürokratischer bereitstellen soll. Es heißt „rescEU“. Damit hat die EU nach eigenen Angaben vom 7. Februar mehr als 1180 Rettungskräfte und 79 Suchhunde aus 19 EU-Ländern in die Türkei geflogen. Trotz angespannter diplomatischer Verhältnisse zwischen der Türkei und Griechenland schickte auch Griechenland Hilfe in die Türkei.

Der russische Staatssender Zvezda berichtete bereits am Abend des 6. Februars, dass die russische Regierung hundert Rettungskräfte mit sieben Hunden in das Erdbebengebiet geflogen habe. Der türkische Ableger der BBC berichtete am selben Tag von russischen  Feldlazaretten in der Türkei. Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Abend des Erdbebens dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem Telefonat Hilfe angeboten.

Deutsche Hilfe in der Türkei

Auch deutsche Organisationen und Behörden waren bereits vor dem Postingzeitpunkt in der Türkei oder auf dem Weg dorthin.

In einer Regierungspressekonferenz am 8. Februar zählte Innenministeriumssprecher Maximilian Kall die deutschen Hilfen auf, die im Rahmen des rescEU-Verfahrens in die Türkei geschickt wurden. „Die Search-and-Rescue-Einheit, also die Rettungs-und-Bergungseinheit des THW, die auf genau solche Erdbebenkatastrophen spezialisiert ist und schon in vielen solcher Einsätze war, ist heute Früh eingetroffen und dürfte jetzt mit 50 Einsatzkräften und mit vier Hunden und der entsprechenden Technik dazu auf dem Weg in das Katastrophengebiet sein“, sagte er. Auch sei die Bundespolizei vor Ort.

Das Technische Hilfswerk (THW), das dem Bundesinnenministerium untersteht, berichtete auf seiner Internetseite, dass das genannte 50-köpfige Einsatzteam bereits am Abend des 7. Februar auf dem Weg in die Türkei gewesen sei. Am frühen nächsten Morgen twitterte das THW die Ankunft des Teams in der Türkei.

Hilfsgüter wie Zelte, Schlafsäcke und Decken seien laut Kall ebenfalls auf dem Weg. Insgesamt seien etwa 82 Tonnen Material im Wert von ungefähr einer Million Euro unmittelbar bereitgestellt worden und sollen von der Bundeswehr verpackt, beladen und transportiert werden.

Der deutsche Ableger der gemeinnützigen Organisation ISAR veröffentlichte ebenfalls am 7. Februar ein Foto von der Ankunft eines Such- und Rettungsteams mit Suchhunden in der Türkei auf Instagram. Ihr Zielort sei Hatay-Kırıkhan an der türkisch-syrischen Grenze.

 

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Bereits in der Nacht zuvor ist auch ein deutsches Feuerwehr-Team des internationalen Katastrophenschutzes @fire in Adana angekommen.

Hilfe aus der Schweiz und Österreich

Laut der Schweizerischen Eidgenossenschaft Internationale Zusammenarbeit hat die Humanitäre Hilfe der Schweiz, die der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) angegliedert ist, Rettungskräfte für den Einsatz in die Katastrophengebiete angeboten. 80 Spezialistinnen und Spezialisten sowie acht Suchhunde seien am Abend des 6. Februars von Zürich nach Adana aufgebrochen. Ein erstes kleines Team, um die Bedürfnisse vor Ort herauszufinden, sei bereits in der Türkei gewesen.

 

Das österreichische Bundeskanzleramt teilte am 6. Februar 2023 mit, 3 Millionen Euro und 84 Soldatinnen und Soldaten der „Austrian Forces Disaster Relief Unit“ angeboten zu haben, die am nächsten Tag bereit stünden. Sie seien laut eines Twitter-Videos des Sprechers des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, an diesem Tag in die Türkei geflogen.

Große Spendenbereitschaft

Auch internationale Hilfsorganisationen wie der Rote Halbmond und das Rote Kreuz, sind in der Türkei aktuell tätig. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius haben am 10. Februar 2023 die Organisationen, aber auch die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger gelobt.

Die Soforthilfe des Bündnisses „Aktion Deutschland hilft“ im türkisch-syrischen Erdbebengebiet läuft nach Angaben der Helfer mittlerweile auf Hochtouren. 20 Organisationen seien vor Ort im Einsatz und verteilten Lebensmittel, Babynahrung, Trinkwasser, Hygienebedarf sowie gegen die Winterkälte Zelte, Decken, Thermobekleidung, Matratzen und Heizstrahler, teilte das Bündnis am 9. Februar in Bonn mit. Hilfe würde auch Menschen in Syrien erreichen.

Zu den Helfern zählt den Angaben zufolge der Bundesverband Rettungshunde, der schon am Abend des 6. Februars 50 Einsatzkräfte mit einer Rettungshundestaffel in die Türkei geschickt habe. In der Nacht zum Mittwoch sei es dem Team gelungen, einen 16-jährigen Jungen und eine Frau in der türkischen Provinz Hatay nach 50 Stunden lebend aus den Trümmern zu befreien.

Die Arbeiten seien am 11. Februar etwa in Hatay im Süden der Türkei unterbrochen worden. Die Hoffnung auf Überlebende in den Trümmern schwindet.

Fazit: Die Behauptung, westliche Länder hätten keine Hilfe im Erdbebengebiet geleistet, ist falsch. Viele Staaten, Organisationen und auch private Hilfsorganisationen haben schnell reagiert und befanden sich zum Zeitpunkt des Postings bereits in der Türkei.

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Katastrophen

Autor(en): Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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