ZDF-Beitrag irreführend verbreitet: Hamburg beschlagnahmt keine Gewerbeimmobilien, um Geflüchtete unterzubringen

„Es geht los!“, schreibt ein Nutzer auf Facebook am 12. August 2023 und teilt dazu ein Video mit einem Ausschnitt einer ZDFheute-Sendung über die Stadt Hamburg. „Gewerbeimmobilien werden beschlagnahmt, um Flüchtlinge unterzubringen“ steht über dem Video. Der Facebook-Beitrag wurde mehr als 2.000 Mal geteilt und mehr als 100.000 Mal aufgerufen. Viele Nutzerinnen und Nutzer reagieren empört.

Unsere Recherche zeigt: Der ZDFheute-Beitrag ist echt, aber er stammt aus dem Jahr 2015. Ein damaliges Gesetz erlaubte eine solche Beschlagnahmung von Gewerbeimmobilien, doch es kam laut der Stadt Hamburg nie zur Anwendung. Seit April 2017 ist es außer Kraft. Aktuell sei nichts dergleichen vorgesehen, heißt es von der Hamburger Behörde für Sport und Inneres.

Screenshot eines Beitrages auf Facebook
Auf Facebook wird mit diesem Ausschnitt aus einer ZDFheute-Sendung aktuell Stimmung gegen Geflüchtete gemacht. Doch der Nachrichtenbeitrag ist von 2015. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)


ZDFheute
-Beitrag über Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien in Hamburg ist von 2015

In dem auf Facebook geteilten knapp anderthalb minütigen Beitrag von ZDFheute ist ein Bericht über die Stadt Hamburg zu sehen. Darin heißt es, Hamburg wolle nun auch leerstehende Gewerbeimmobilien beschlagnahmen, um Geflüchtete unterzubringen. Im Video ist zu sehen, wie die Feuerwehr eine leerstehende Tennishalle als Notunterkunft für Geflüchtete öffnet. Ein „Gesetz zur Beschlagnahme von leerstehenden Immobilien“ sei vom rot-grünen Senat „in aller Eile“ auf den Weg gebracht worden, heißt es weiter.

Eine Datumsangabe ist nicht sichtbar. Eine Stichwort-Suche bei Google nach dem Gesetz liefert keine aktuellen Medienberichte. Stattdessen gibt es mehrere Artikel aus Herbst 2015, unter anderem von Focus, NTV und dem Spiegel. Gegenüber der Deutschen Presseagentur bestätigte das ZDF, dass der Nachrichtenbeitrag am 1. Oktober 2015 lief.

Anders als im Netz suggeriert, spielten sich die Szenen im ZDFheute-Beitrag also nicht aktuell, sondern vor knapp acht Jahren ab.

Gesetz war bis Ende März 2017 befristet 

Laut den Medienberichten von Herbst 2015, kamen in Hamburg damals bis zu 500 geflüchtete Menschen täglich an. Die Kapazitäten der Stadt zur Unterbringung seien aufgebraucht gewesen. Laut dem damaligen Innensenator Michael Neumann (SPD) mussten 500 Geflüchtete eine Nacht vor der zentralen Registrierungsstelle im Freien verbringen. Um zu verhindern, dass Geflüchtete über den Winter in Zelten leben müssten, habe die Hamburger Bürgerschaft am 1. Oktober 2015 das umstrittene „Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“ beschlossen, berichtete unter anderem der Spiegel.

Im Antrag zum Gesetzesentwurf steht: Der Entwurf eröffne die Möglichkeit der Sicherstellung privater ungenutzter Grundstücke und Gebäude, um die Gefahr einer Massenobdachlosigkeit zu verhindern. Das Gesetz ziele nicht darauf, privaten Wohnungsraum sicherzustellen, sondern „große ungenutzte private Flächen und Immobilien“. Dies gelte nur für den Fall, dass es keine anderen Plätze für eine angemessene Unterbringung gebe. Für die befristete Beschlagnahme müsse zudem eine Entschädigung bezahlt werden. Mit Ablauf des 31. März 2017 trete das Gesetz außer Kraft.

Stadt Hamburg: Gesetz zur Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien für Geflüchtete kam nie zur Anwendung

Wie uns Daniel Schaefer, Pressesprecher der Behörde für Inneres und Sport der Stadt Hamburg, mitteilte, sei das Gesetz nie angewendet worden. Das belegt eine Antwort der Behörde auf ein Bürgerschaftliches Ersuchen im April 2017.

Auch die Tennishalle im ZDFheute-Beitrag hat nichts mit dem damaligen Gesetz zu tun. Sie gehört laut dem Hamburger Abendblatt zu einer von mehreren Hallen, die die Stadt Hamburg 2015 gekauft hat, um Geflüchtete unterzubringen. Der damalige Innensenator Neumann erklärte gegenüber der Zeitung, warum die Feuerwehr die Eingangstür der Halle aufbrach: Man sei sich mit dem Eigentümer bereits handelseinig gewesen, sie hätten ihn aber in der Notsituation nicht erreichen können.

Zur aktuellen Situation schrieb uns Schaefer, dass es nicht vorgesehen sei, leerstehende Immobilien, wie etwa Gewerbeimmobilien oder Wohnungen zu beschlagnahmen, um asyl- und schutzsuchende Menschen unterzubringen.

Redigatur: Max Bernhard, Kimberly Nicolaus

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Antrag zum Entwurf „Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“, 29. September 2015: Link (PDF, archiviert)
  • Antwort der Hamburger Behörde für Sport und Inneres auf ein Bürgerschaftliches Ersuchen, 5. Mai 2017: Link (PDF, archiviert)
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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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