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Dieses Bild ist lediglich ein Modell einer menschlichen Zelle

Seit Jahren teilen User in sozialen Netzwerken eine Illustration von Mitochondrien. Sie bezeichnen das Bild als das „derzeit detaillierteste Foto einer menschlichen Zelle“. Bei dem Modell handelt es sich jedoch weder um ein realistisches Foto noch die derzeit detaillierteste Darstellung einer menschlichen Zelle. Das erklärte einer der Urheber des Bildes, Gael McGill, gegenüber AFP.

User teilten das Bild mit der Behauptung Mitte März 2023 auf Facebook, jedoch kursierte es dort bereits im November 2020. Auf Telegram erreichte die Behauptung Tausende, auf Twitter  Dutzende.

Die Behauptung: User teilen das Bild mit der Behauptung es sei das „derzeit detaillierteste Foto einer menschlichen Zelle“.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 16. März 2023

Bereits im Mai 2020 kursierte ein weiteres Bild, mit der nahezu wortgleichen Behauptung. AFP hat diese damals hier geprüft und gezeigt, dass es sich um ein Werk eines Künstlers handelt und auch keine menschliche Zelle, sondern eine tierische zeigt.

Immer wieder verbreiten sich solche Illustrationen als vermeintlich wissenschaftliche Darstellungen.Auch im November 2021 wurde ein 3D-Kunstwerk in sozialen Medien als vermeintlich neue Korallenart dargestellt. So auch einen Monat später eine Papierskulptur als Mikroskopaufnahme einer Schneeflocke.

Digitale Illustration ist keine Fotografie

AFP hat mithilfe einer umgekehrten Bildsuche die Quelle des Bildes gefunden. Es stammt von dem US-Unternehmen Digizyme, das sich laut Homepage als Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst versteht und sich für Wissenschaftsverständnis einsetzt. Es verkauft Visualisierungen von etwa Vesikeln oder Proteinen.

Auf der Website heißt es: „Visualisierung ist eine starke Brücke zwischen Wissenschaftlern und ihren vielen Zielgruppen. Unsere Arbeit schafft oft Klarheit über Wirkmechanismen, experimentelle Methoden und neuartige Technologien und Instrumente.“

Das verbreitete Bild stammt aus einer als „Molekulare Landschaften“ bezeichneten Serie aus dem Portfolio des Unternehmens.

Über dem Serientitel steht „Cell Signaling Technology“, ein US-amerikanischer Kunde von Digizyme, der sich auf wissenschaftliche Dienstleistungen spezialisiert hat. Auf der Seite des Kunden ist die interaktive Grafik ebenfalls zu finden. Ein Klick auf das Bild führt zum Modell, in dem verschiedene Zellstrukturen ausgewählt werden können.

AFP hat am 17. März 2023 bei Gael McGill, dem Geschäftsführer von Digizyme nach dem angeblichen Foto nachgefragt. Er sagte gegenüber AFP: „Nein, es ist kein Foto. Es ist unmöglich, Fotos auf molekularer Ebene zu machen. Moleküle sind zu klein.“ Eukaryoten sind bis zu 100 Mikrometer groß.

Modell zeigt Mitochondrien

Laut „Cell Signaling Technology“ zeigt die „interaktive Landschaft“ eine Mitochondrie und den Abbauweg eines Proteinkomplexes und verschiedenen Zytoskelettstrukturen. Die Daten für das Modell seien laut der Unternehmenswebsite aus der Protein Data Bank (PDB) und der Electron Microscopy Data Bank (EMDB) abgeleitet worden und mit dem grafischen Modellierungsprogramm Molecular Maya (mMaya) modelliert und animiert worden.

Das bestätigte auch McGill gegenüber AFP. Er erklärte: „Es handelt sich um eine mehr als zehn Jahre alte Software-3D-Rekonstruktion, die auf echten Molekülstrukturdaten für alle Moleküle in der Szene basiert. Mit anderen Worten: Alle Formen, die Sie in diesem Bild sehen, sind real und basieren auf Daten.“

Das Bild soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden die Komplexität des Inneren einer eukaryotischen Zelle veranschaulichen. Solche Zellen, die auch Menschen besitzen, haben, anders als Bakterien, einen Zellkern.

Die „realen 3D-Strukturen“ würden laut McGill die Proteine und Signalwege der Zelle darstellen. Aber: „Die Farben zum Beispiel sind nicht realistisch, weil Moleküle so klein sind, dass sie unterhalb der Wellenlänge des sichtbaren Lichts liegen und daher keine Farbe haben. Wir verwenden Farbe, um dem Betrachter zu helfen, zwischen den verschiedenen Familien von Molekülen zu unterscheiden.“

McGill sagte weiter: „Dieses Bild wurde vor ein paar Jahren von einer Facebook-Newsseite aus unserem Online-Portfolio gestohlen – ohne jegliche Genehmigung, Credits und mit einer erfundenen Bildunterschrift. Seitdem ist es auf Facebook, Instagram, Twitter und Reddit viral. Als Wissenschaftler ist der beunruhigendste Aspekt dabei die falsche Bildunterschrift, die in Umlauf gebracht wurde: ‚Das genaueste Modell einer menschlichen Zelle.'“

Modell ist nicht die detaillierteste Darstellung

Das Bild sei laut McGill anders als in sozialen Medien behauptet, derzeit nicht das detaillierteste. Es gebe von Digizyme weitere Modelle, welche unter anderem auch vom Strukturbiologen David Goodsell inspiriert seien. Goodsell malt sehr detaillierte Zelllandschaften als Aquarelle.

Dieter Fuerst von Institut für Zellbiologie an der Universität Bonn sagte am 23. März 2023 zum Bild: „Das Bild ist der Versuch, möglichst viele Aspekte einer Zelle in ein ’nettes‘ Bild zu packen. Es ist eine am Computer gezeichnete Abbildung, die einige bekannte Daten und Strukturen aufnimmt, aber es ist, wie gesagt, eine digitale, idealisierte Zeichnung und in keinem Punkt ein echtes mikroskopisches Bild.“ Es zeige außerdem nur einen kleinen Teil einer Zelle.

Auch Benjamin Towbin vom Institut für Zellbiologie an der Universität Bern bestätigte, dass es sich um kein Foto einer Zelle handele, sondern eine künstlerische Darstellung. Am 21. März 2023 sagte er: „Das dichte Bild des Zellinneren entspricht ungefähr dem, wie wir uns eine Zelle vorstellen.“ Über die Größenverhältnisse sei er sich nicht ganz sicher. Den Farben widerspricht er: „Die meisten Moleküle sind in Wirklichkeit wohl farblos.“

Fazit: Die Behauptung, das geteilte Bild sei derzeit das detaillierteste Foto einer menschlichen Zelle, ist falsch. Es ist kein Foto, sondern ein Modell zur Wissensvermittlung. Moleküle sind zu klein, um fotografiert zu werden oder so bunt zu sein. Laut den Produzenten des Modells gibt es außerdem weitere ähnlich detaillierte Darstellungen.

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Wissenschaft

Autor(en): Jan RUSSEZKI / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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