Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022, ist Desinformation eine Waffe im Krieg gegen die Ukraine geworden. So wurden zum Beispiel mehrere Websites deutschsprachiger und internationaler Medien im Zuge einer umfassenden Desinformationskampagne nachgeahmt, um Falschmeldungen und pro-russische Propaganda zu verbreiten. Um die Berichterstattung westlicher Medien über den Konflikt falsch darzustellen, ist auch eine Serie von angeblichen Titelbildern des satirischen Wochenmagazins „Charlie Hebdo“ erschienen, die alle anti-ukrainische Botschaften verbreiteten.
Auch in anderen Sprachen hat AFP verschiedene Behauptungen überprüft, die von Troll-Profilen verbreitet wurden, beispielsweise hat die spanische Tageszeitung „El País“ keinen Tweet über die „Vorteile“ des islamischen Rechts für Frauen veröffentlicht; und die sterblichen Überreste des spanischen Diktators Francisco Franco wurden nicht ins „Valle de los Caídos“ oder das Tal der Gefallenen nahe der spanischen Hauptstadt Madrid überführt. Diese Behauptungen gehen ebenfalls auf Troll-Profile zurück.
Zusammenstellung von Screenshots der Twitter-Profile von Accounts, die von AFP als Troll, Fake oder Parodie identifiziert wurden, erstellt am 11. April 2023
Das Team des Observatoriums für audiovisuelle Inhalte der Universität Salamanca in Spanien (Ocausal) fasste in einer Antwort an AFP vom 30. März 2023 zusammen: „Ein Troll-Account versucht aus der Anonymität heraus zu destabilisieren oder Verwirrung zu stiften.“
Mariluz Congosto ist Forscherin an der Universität Carlos III in Madrid. Sie sagte gegenüber AFP am 29. März 2023: „Ein Troll-Account ist ein Profil, das sich in Unterhaltungen einschaltet, um zu ärgern und Spannungen zu erzeugen.“ Natalia Meléndez ist Journalismus-Professorin an der spanischen Universität Málaga. Sie erklärte am 3. April 2023 gegenüber AFP, dass Troll-Accounts auch Profile einschließen, die „böswillige Informationen und Nachrichten verbreiten“.
Meléndez sagte weiter: „Sie versuchen, das Umfeld zu vergiften, sowohl im sozialen Netzwerk Twitter [wo sich die meisten analysierten Personen aufhalten] als auch im Allgemeinen.“
Das Team des Observatoriums der Universität Salamanca (Usal) führte weiter aus: „Manchmal geben sie sich als eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Medium aus. Häufiger jedoch nehmen sie das Profil eines bestimmten Personentyps an (zum Beispiel einer Person, die einer bestimmten Partei angehört), um bestimmte Behauptungen zu verbreiten, die mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht werden können, um sie zu diskreditieren.“ Das Team nannte dazu das Beispiel von „Feministen-Trolls“.
Zu Beispielen von Troll-Konten gehört das Twitter-Profil sanchezcasrejon, das sich nur durch den Buchstaben „r“ vom Benutzernamen des echten Profils des spanischen Ministerpräsidenten sanchezcastejon unterscheidet. Dem Konto ist es gelungen, angebliche Nachrichten als wahr auszugeben, die anschließend in anderen sozialen Netzwerken viral gegangen sind.
Ein anderes Beispiel ist das Konto der angeblichen „Feministin, Republikanerin, Anti-Wissenschaftlerin“ hinter dem Namen Jenytrans17.
Diese Konten „zielen nicht unbedingt darauf ab, dass ein gefälschter Inhalt viral geht oder dass eine bestimmte Regierungsmaßnahme scheitert“, so die Professoren und Professorinnen der Universität Salamanca (Usal).
Sie fügten hinzu: „Es handelt sich um eine eher unterschwellige Aktivität, die die Debatte langsam untergräbt und eine negative Einstellung gegenüber der Gruppe oder Bewegung erzeugt, die lächerlich gemacht werden soll.“
Troll-Accounts erkennen
In der Flut an Informationen, die User Tag für Tag erhalten, geben sogar Expertinnen und Experten zu, dass es „kompliziert ist“, herauszufinden, ob ein Profil Verwirrung stiften will. Dennoch gibt es Hinweise, die helfen können.
„Man muss sich die Biografie [des Profils] ansehen“, sowie „die Stimmigkeit der Tweets“, sagte Meléndez und riet dazu, den User- und Profilnamen zu untersuchen. „Vielleicht sind es Konten, die soeben erst erstellt wurden“, sagte sie. Darauf wies auch Congosto hin: „Manche sind schon älter“, wie das Profil von sanchezcasrejon (von 2018), „aber die meisten wurden ab 2020 erstellt“.
Meléndez erinnerte auch daran, dass es manchmal „in den Kommentaren der Tweets“ Nutzerinnen oder Nutzer gebe, die davor warnten, dass das Profil „verdächtig“ sein könnte.
Einen anderen Hinweis führte die Beobachtungsstelle aus Salamanca an: Der Diskurs konzentriere sich „sehr stark auf ein und dasselbe Thema“, aber „fast niemand ist so ein flacher und karikierter Charakter wie der, der normalerweise in diesen Profilen gezeichnet wird“.
Außerdem sei „das Foto meistens aus einer Bilddatenbank“. Das konnte AFP in Profilen wie Valentinavaliente (beschrieben als „feministische Aktivistin, kommunistische Kämpferin und ökosexuell“) feststellen, deren Profilfotos beim Stockfotoanbieter „Alamy“ zu finden sind. Ein weiteres Beispiel ist trinidadMNovo, deren Fotos eigentlich zur kubanischen Universitätsprofessorin Lucía Argüelles Cortés gehören.
Im Fall von Jenytrans17 stammt das Profilbild von der US-amerikanischen Sängerin Ezra Furman, die in einem Tweet darauf aufmerksam machte.
Eine Frau hält ihr Smartphone während einer Demonstration gegen Polizeigewalt am 13. August 2020 in Minsk, Weißrussland, in die Höhe. – Sergei Gapon / AFP
Manchmal warnen Nutzerinnen und Nutzer, die hinter diesen Profilen stehen, selbst in ihrer Biografie vor dem Troll- oder Fake-Charakter des Profils, wie im Fall des Kontos, das jenes von Pedro Sánchez imitiert. „Viele Troll-Accounts geben in ihren Profilen an, dass es sich um eine ‚Parodie‘ handele, um nicht gegen die Nutzungsbedingungen der Netzwerke zu verstoßen oder um nicht bestraft zu werden, obwohl sie ein anderes Ziel verfolgen“, erklärte das Team der Usal.
Aber nicht alle Troll-Konten geben eine solche Warnung aus. Die erscheint außerdem sowieso nicht, wenn Nachrichten retweetet oder Screenshots erstellt werden, um sie in anderen sozialen Netzwerken zu teilen. In anderen Fällen wenden Nutzerinnen und Nutzer Tricks an, die ihre Identifizierung erschweren: Sie fügen das griechische Wort für „Parodie“ („παρωδια“) und das chinesische Wort für „inkorrekt“ („錯誤的“) ein, um eine Abmahnung der Netzwerke zu vermeiden.
Das Risiko bestehe darin, so Meléndez, „dass wenn es etwas gibt – und sei es auch noch so übertrieben – das bestätigt, was man denkt, beschließt man, es zu glauben und es weiterzuverbreiten.“ Außerdem, so die Usal-Beobachtungsstelle, „passt der Nutzer nicht auf und hält nicht inne“, sodass „wir jeder Nachricht, die wir sehen, ein paar Augenblicke widmen“ und „wenn wir etwas sehen, das uns empört, teilen wir es, antworten oder reagieren darauf sonst wie auch immer – und zwar sofort“.
Ein Account mit dem Namen „Violeta Izquierdo“ vereint die feministische Farbe Lila mit einer politischen Ideologie. Mit diesem Profil werden beispielsweise Behauptungen zur Figur Jesu oder eine angebliche Manipulation von Informationen verbreitet. Das versetzt diese angebliche Person hinter dem Profil in jene karikaturhafte Übertreibung, von der Expertinnen und Experten sprechen. Das Profil Valentinavaliente veröffentlichte einen Tweet, in dem das Recht auf Abtreibung ohne Schwangerschaft gefordert wird und der Penis als „Instrument der faschistischen extremen Rechten“ bezeichnet wird.
Nicht jede Parodie ist ein Troll, während manche Trolle wie eine Parodie wirken können
Der Unterschied zwischen einem Troll-Account und einem parodistischen oder satirischen Account mag laut Expertinnen und Experten gering sein, aber er existiert.
„Ein parodistisches Profil will nicht Verwirrung stiften und macht in der Regel deutlich, dass es sich um Satire oder Parodie handelt (…) es strebt nach Humor und kann viel stärker übertreiben, weil es nicht auf Glaubwürdigkeit abzielt“, so das Observatorium der Usal.
Andererseits „versucht der Troll-Account als das Profil durchzugehen, für das er sich ausgibt. (…) Sein Ziel ist, zu verwirren und Instabilität zu erzeugen, und wenn diese Nachrichten nicht minimal glaubwürdig sind, wird dieses Ziel nicht erreicht“, so das Team aus Salamanca.
Meléndez merkte an, dass es Accounts an der Grenze zwischen Parodie und Troll gebe, „von normalen Bürgern, die sich zum Beispiel als Stereotypen ausgeben.“ Dazu gehörten Menschen, die einer Ideologie sehr nahe stünden oder „sehr feministische Frauen“. Weiter erklärte die Professorin: „Von diesen konfusen Profilen senden sie Botschaften, die unlogisch wären für Personen, die wirklich einen linken oder feministischen Standpunkt vertreten.“
Zum Beispiel: Ein Tweet von rosadozuruta, kritisiert eine spanische Region. Oder ein anderer Tweet, von demselben Nutzer — der die Regenbogenfahne neben seinem Namen stehen hat — soll Empörung gegenüber der homosexuellen Community wecken. Ein weiteres Beispiel für widersprüchliche Aussagen findet sich im Profil der „kommunistischen Kämpferin“ Valentinavaliente: In diesem Tweet scheint die angebliche „Valentina“ Kuba zu loben, von dem sie als Erfolgsmodell spricht, das „nur aufgrund der Blockade Armut schafft“. In einem Tweet hingegen ruft die Userin dazu auf, die Geschichtsbücher umzuschreiben, um zu verbergen, „dass der Kommunismus immer gescheitert ist“.
Organisation und Typen von Trollen
Auch wenn diese Arten von Accounts „sich gegenseitig folgen und untereinander interagieren, heißt es nicht, dass immer eine Organisation dahintersteckt“, antwortete Congosto auf AFP-Anfrage. Sie fügte jedoch einordnend hinzu: „In einigen Fällen scheint es in Anbetracht des Erstellungsdatums der Profile, des Stils, in dem ihre Avatare erstellt wurden, und der Themen, mit denen sie sich befassen, eine gewisse Koordination zu geben.“
„Es gibt Gruppen, die bestimmte Interessen haben und sich vielleicht irgendwann koordinieren“, fügte das Team aus Salamanca hinzu, hält es aber für „schwierig“, zu wissen, ob es sich wirklich um organisierte Gruppen handele. „Es handelt sich um eine schmutzigere Tätigkeit, die Glaubwürdigkeit und Koexistenz ständig untergräbt, und dies kann auch ohne Koordinierung erreicht werden, indem man einfach ein Grundrauschen verursacht“, sagte das Team weiter.
Meléndez sprach von zwei Arten von Profilen: „Einer, der für sich genommen ein anonymer Kämpfer ist“, der beschlossen habe, ein Konto einzurichten, „um zu trollen, um die gegnerische Ideologie zu verteidigen“ und auf der anderen Seite, einer der „in großem Maßstab, wie so-gennanten Bot-Farmen, orchestrierte Kampagnen unternimmt.“
Das Team der Universität Salamanca stimmte dieser Einordnung zu und bezeichnete den zweiten Fall als „problematischer“.
„Bot-Farmen“ oder „Troll-Farmen“, wie die von Expertinnen und Experten genannten organisierten Kampagnen oft bezeichnet werden, wurden in Nicaragua (2021), Kuba und Bolivien (2023) zerschlagen. Die Versuche Russlands, die öffentliche Meinung durch gefälschte Accounts zu beeinflussen, sind ebenfalls gemeinhin bekannt. In Brasilien waren die Wahlen 2018 die des „schmutzigen Krieges in den Netzwerken“.
Internationales Muster
Dieses Phänomen „ist international“, sagte das Team der Usal. „Es ist nicht unbedingt koordiniert, aber das Muster wiederholt sich in anderen Ländern“, sagt es weiter.
Meléndez wies auf die Vereinigten Staaten als Ort hin, an dem „einige Dinge zuerst ausprobiert und dann in Spanien“ und anderen Ländern nachgeahmt würden. Die Professorin erinnerte an den Wahlkampf Donald Trumps im Jahr 2016 und die Brexit-Kampagne in Großbritannien als Schlüsselmomente dieser Art von Falschinformationen, was die Menge und den Einfluss bei diesen Ereignissen anbelangt. Seit 2019 seien jedoch Desinformationsversuche in mindestens 70 Ländern nachgewiesen worden.
„Es gibt Beweise für den Einsatz von Bot-Farmen (…) im Kampf darum, in sozialen Netzwerken mit einer bestimmten Idee Fuß zu fassen“, so die Expertin. „An verschiedenen Orten wurden sie getestet und leider auch perfektioniert“, schloss sie.