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Ultraorthodoxe demonstrierten im Juni gegen Wehrpflicht in Israel

Gegen die rechte Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gibt es in Israel seit langem Proteste. Bis zum Terrorangriff der radikalislamischen Hamas gingen zum Beispiel regelmäßig Hunderttausende Menschen gegen die umstrittene Justizreform auf die Straße. Aber auch seit dem Terror-Angriff vom 7. Oktober und dem Beginn des jüngsten Gaza-Kriegs gibt es im Land viel Kritik an der Regierung. Ein Video in den sozialen Netzwerken soll angeblich ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte gegen ganz anders gerichtete Proteste abbilden. Es zeige die Verhaftung von «Juden in Israel, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren», heißt es zu der Aufnahme, in der ein Mann in der typischen Kleidung ultraorthodoxer Juden von Polizisten zu Boden gerissen wird. Wofür demonstrierte er?

Bewertung

Die Demonstranten im Video gingen nicht für die palästinensische Bevölkerung auf die Straße, sondern gegen die Wehrpflicht in Israel. Vor allem ultraorthodoxe Juden lehnen diese ab. Zu der Auseinandersetzung im Video kam es bereits im Juni. Mit dem neuen Gaza-Krieg hat es also nichts zu tun. Das zweite Video zeigt Ausschreitungen bei Protesten gegen die französische Rentenreform im April 2023.

Fakten

In den sozialen Medien kursierte das Video bereits Anfang Juni 2023. Oben links ist das Logo eines israelischen Nachrichtenportals zu erkennen. Ein Nutzer der Plattform X (vormals Twitter), der dort von sich schreibt, dass er Reporter dieses Mediums sei, veröffentlichte das Video am 5. Juni. Seinem Posting zufolge ist eine Straße vor einem Rekrutierungsbüro der israelischen Armee in Jerusalem zu sehen. Ein weiteres Video soll dem Nutzer zufolge mehr Kontext zeigen. Demnach nahmen Polizisten einen Mann in Gewahrsam. Mehrere weitere Demonstranten hätten daraufhin die Beamten angegriffen.

Mehrere Details stützen die Angaben auf X. Einige Meter vom Aufnahmeort entfernt befindet sich dem Kartendienst Google Maps zufolge tatsächlich ein Büro des israelischen Militärs. Fotos zeigen, dass es dort bereits in der Vergangenheit Demonstrationen ultraorthodoxer Juden gab.

Streng religiöse Juden lehnen den in Israel verpflichtenden Wehrdienst meist ab. Über das Thema gibt es seit Jahren politischen Streit, zum Teil gelten bereits Ausnahmen. Die Regierungskoalition, an der ultraorthodoxe Parteien beteiligt sind, will solche Ausnahmen mit einem neuen Gesetz stärker verankern. Viele säkulare und liberale Israelis kritisieren das. Seit dem Angriff der Hamas haben sich Berichten zufolge aber auch vermehrt Ultraorthodoxe für den Wehrdienst gemeldet.

Das zweite Video im Facebook-Posting stammt, so wie angegeben, tatsächlich aus Europa. Es zeigt Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten im April 2023 auf der Place de la Bastille in Paris. Dort war es über Monate zu Ausschreitungen bei Protesten gegen die französische Rentenreform gekommen.

Unklar ist, was im Facebook-Posting mit dem angeblichen Gesetz gemeint ist, wonach «Israelis die Netanjahu-Regierung nicht kritisieren dürfen». Berichte über eine solche Gesetzesänderung gibt es nicht.

Die Formulierung im Facebook-Posting, das Video zeige einen Protest «gegen den Völkermord an den Palästinensern», bezieht sich auf die von pro-palästinensischen Demonstranten wiederholt vorgetragene Äußerung, Israel begehe einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung. Angesichts der jüngsten Gewalteskalation wird diese Behauptung wieder vermehrt aufgestellt, zuletzt zum Beispiel auf einem Instagram-Account der Klimaschutzbewegung Fridays for Future.

Auch erklärte Feinde Israels wie etwa Vertreter des Iran werfen Israel regelmäßig Völkermord oder Genozid vor. International gibt es viel Kritik an dieser Wortwahl. Ermittlungen etwa des Internationalen Strafgerichtshofs gibt es zu einem solchen Vorwurf nicht. Umgekehrt schrieben zuletzt mehr 250 internationale Juristen, dass der Terrorangriff der Hamas mit mehr als 1400 Todesopfern und mehr als 200 verschleppten Menschen sehr wahrscheinlich einen Völkermord darstelle.

Gemeinhin verbindet man mit dem Begriff massenhaftes Ermorden von Mitgliedern einer Volksgruppe. Dem «Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes» der Vereinten Nationen zufolge spielt die Zahl der Opfer jedoch keine Rolle. Bei dem völkerrechtlichen Straftatbestand handelt es sich um die gezielte Verfolgung von Bevölkerungsgruppen, die sich durch Sprache, Religion und Tradition von anderen unterscheiden.

(Stand: 27.10.2023)

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Israel-Hamas-Konflikt, Politik

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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