Altern ist ein natürlicher Prozess und kann nicht durch Gedanken aufgehalten werden - Featured image

Altern ist ein natürlicher Prozess und kann nicht durch Gedanken aufgehalten werden

Hunderte User haben seit Anfang Juli einen Beitrag auf Facebook geteilt, wonach die menschliche DNA angeblich keine Informationen über das Altern oder den Tod enthalte. Alter gebe es den Postings zufolge nicht wirklich, denn Körperzellen würden ständig erneuert. Menschen seien lediglich darauf programmiert worden zu glauben, es sei normal zu sterben. Verschiedene wissenschaftliche Institute und Experten betrachten Alter und Tod jedoch als natürlichen Vorgang. Auch wenn die psychische Verfassung die Gesundheit des Körpers teils beeinflusse, führe dies allein nicht zum Tod. 

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptungen rund um den Altersvorgang auf Facebook verbreitet (hier, hier, hier). Auch ein deutschsprachiger Blog übernahm die Behauptung. Als Quelle wird eine polnische Facebook-Nutzerin angegeben, die einen entsprechenden Beitrag bereits Ende Mai 2022 verbreitete.

Die Behauptung: Im Netz heißt es, die menschliche DNA enthalte angeblich keine Informationen über das Altern oder den Tod. Das „Alterungsprogramm“ gebe es nur in unseren Köpfen, erläutern die Beiträge dazu. Menschen seien programmiert zu glauben, dass es normal sei zu sterben. Den Alterungsprozess gebe es nicht, denn unsere Körperzellen würden ständig erneuert. Der Mensch sterbe an der Krankheit seiner Gedanken und dem Glauben an eine gewisse Lebenszeit.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11.07.2022

Wie altert der Mensch?

Das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns erläutert auf seiner Website, es sei unter Forschenden anerkannt, dass Schäden am genetischen Material, also an Zellen und Geweben, sich mit dem Alter häufen und nicht mehr repariert werden können. Dies sei die Ursache für einen mit dem Alter verbundenen Funktionsverlust. Wodurch diese Schäden auf molekularer Ebene verursacht werden, sei weniger klar, ebenso warum diese in jungen, aber nicht in alten Lebewesen repariert werden können.

Auch das Leibniz-Institut für Alternsforschung erklärt online, es gebe verschiedene Theorien zur Ursache des Alterns. Es werde angenommen, dass die einzelnen Zell- und Gewebebestandteile im Laufe der Zeit ihre Funktionsfähigkeit verlieren und eine geringere Belastbarkeit einzelner Gewebe zur Folge haben. Dies führe zu Beeinträchtigungen der Zellfunktion. „Ob die beobachteten Veränderungen der DNA, welche die gesamte Erbinformation eines Menschen enthält, Ursache oder Folgen des Alterns sind, ist noch unklar.“

Als weitere Theorien nennt das Leibniz-Institut, dass äußere Einflüsse, wie zum Beispiel UV-Strahlen oder Umweltgifte zu „Verschleiß- und Vergiftungserscheinungen“ im Körper führen könnten. Andere Theorien gingen davon aus, dass Alter und Tod im „genetischen Programm“ jeder Zelle fest verankert sei. Eine hohe Lebenserwartung könne zumindest teilweise vererbt werden. Auch der individuelle Lebensstil wie Ernährung, Schlaf, Stress oder Rauchgewohnheiten könnte Ursache des Alterns sein.

Das Max-Planck-Institut erläutert weiter, die Lebensspanne von Lebewesen variiere stark und reiche von nur wenigen Stunden bei Eintagsfliegen bis zu fünfhundert Jahren bei Islandmuscheln. Das Altern selbst sei kein planmäßiger Prozess der Entwicklung, das heißt „es haben sich keine Gene entwickelt, die Schäden und Tod verursachen. Dies könnte auch erklären, warum es ein so variabler Prozess innerhalb und zwischen den verschiedenen Individuen ist.“

Wie schnell der Alterungsprozess voranschreitet, hänge von verschiedenen Faktoren ab. Dabei beeinflussten allerdings genetische Faktoren den Alterungsprozess eines Menschen zu etwa zehn bis 15 Prozent, so das Max-Planck-Institut. Auch der individuelle Lebensstil und äußere Umwelteinflüsse spielten dabei eine Rolle.

Das bestätigte auch Joris Deelen, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, am 19. Juli 2022 gegenüber AFP: „Es gibt definitiv Dinge, die in der DNA codiert sind. Wenn man sich die Lebensspanne anschaut, werden wahrscheinlich 10 – 15 Prozent von den Genen bestimmt.“

Das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie teilte am 18. Juli 2022 auf AFP-Anfrage mit, die menschliche DNA enthalte keine Information, die das Altern „aktiv“ initiiere. Aber es gebe Eigenschaften in der DNA, die das Altern passiv verursachten.

„DNA ist ein Molekül, was durch verschiedene Faktoren beschädigt werden kann.“ Ein Beispiel dafür seien entstehende Schäden durch UV-Strahlung, die repariert werden müssten. „Diese Reparaturmechanismen können aber Fehler machen und diese Fehler häufen sich über die Zeit an. So kommt es zu Fehl- und Minderfunktionen in Zellen und Geweben, schlussendlich zum Altern und zum Tod,“ erklärte das Fraunhofer-Institut.

Zudem würden bei jeder Zellteilung die sogenannten Telomere, welche an den Enden der Chromosomen zu finden sind, gekürzt. Chromosomen selbst sind Träger von Erbinformationen und sitzen im Zellkern. Diese Kürzung begrenzt die Anzahl der Zellteilung, die eine Zelle durchlaufen kann, erläutert das Fraunhofer-Institut. Es gebe zwar Enzyme, die Telomere herstellen könnten. Diese Enzyme könnten aber nur in einigen Stammzellen produziert werden, welche „mit der Zeit auch zur Neige gehen“. Je öfter die Stammzellen aktiviert werden, um Zellen zu ersetzen, desto häufiger treten auch Zellteilungsfehler auf, so das Fraunhofer-Institut. So erschöpfe sich der Vorrat an Stammzellen.

Die Telomere und deren Verkürzung seien daher eine „genetische Information, die passiv das Altern bedingt, da fast alle Zellen dadurch ein Ablaufdatum haben“, erläutert das Institut.

Tatsächlich berichtet das Statistische Bundesamt aber von einer insgesamt gestiegenen Lebenserwartung seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen Ende des 19. Jahrhunderts. Demnach hat sich die Lebenserwartung Neugeborener seitdem mehr als verdoppelt. „Maßgebliche Gründe hierfür sind Fortschritte in der medizinischen Versorgung, Hygiene, Ernährung und Wohnsituation, verbesserte Arbeitsbedingungen und gestiegener Wohlstand.“

Auch bei der Betrachtung der fernen Lebenserwartung stiegen die Zahlen, so die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): „2016/2018 konnte ein 60-jähriger Mann im Durchschnitt damit rechnen, dass er noch knapp 22 Jahre lebt. Rund 140 Jahre zuvor waren es lediglich 12 Jahre und auch 1970/1972 nur 15 weitere Lebensjahre.“

Bei den 60-jährigen Frauen habe die fernere Lebenserwartung 2016/2018 bei etwa 25 weiteren Lebensjahren gelegen. 1871/1881 seien es noch weniger als 13 Jahre gewesen. Auch in Zukunft rechnet das Statistische Bundesamt mit einer steigenden Lebenserwartung. „Verbesserte Lebensumstände, rückläufige Raucherquoten und Alkoholkonsum sowie weitere Verbesserungen in der medizinischen Versorgung“ seien dafür der Grund.

Werden Zellen für immer erneuert?

Dass die Zellerneuerung in den Postings als Gegenargument für den Alterungsprozess angeführt wird, können von AFP kontaktierte Experten und Institute nicht nachvollziehen.

Das Fraunhofer-Institut erläuterte, es gebe viele Zellen, die sich erneuern ließen. „Der Mensch hat aber in allen Organen nur eine begrenze Anzahl an ‘Reparaturdurchläufen’, bis sich die Zellen erschöpft haben.“ Mit der Zeit führten Fehler in DNA, Proteinen und somit den Zellen dazu, dass dem Körper die „fehlerfreien“ Stammzellen ausgingen.

Bei Immunzellen führe die regelmäßige Erneuerung dazu, dass sich das Immunsystem relativ schnell erschöpfe. „Daher sind ältere Menschen schnell anfälliger gegenüber Infektionen. Das Immunsystem ist nicht mehr voll funktionsfähig, da sich die Immunzellen eben nicht ‚unendlich‘ regenerieren lassen.“

Gerade bei Zellen, die sich schnell und häufig erneuerten, würden so am schnellsten Fehler in der DNA auftreten, so das Fraunhofer-Institut.

Auch Joris Deelen erläuterte, es gebe zwar einige Organe, deren Zellen sich in der Tat erneuern. Dabei seien diese aber auf Stammzellen angewiesen, welche beispielsweise für die Regeneration des Gewebes bei der Zellerneuerung zuständig sind. Mit der Zeit nehme jedoch die Zahl der Stammzellen ab und damit auch ihre Fähigkeit, sich zu erneuern. Es gebe daher Grenzen und mit zunehmendem Alter könnten sich Organe nicht mehr richtig von Schäden erholen und würden versagen.

Sind Alter und Tod nur Kopfsache?

Die Behauptung, dass Alter und Tod lediglich auf eine Programmierung im Kopf des Menschen zurückzuführen seien, weisen die von AFP kontaktierten Experten zurück.

Es handele sich um eine lächerliche Behauptung, erklärte Joris Deelen. Zwar spielten auch Faktoren wie Einsamkeit eine Rolle bei einem erhöhten Sterberisiko. „Die psychische Verfassung beeinflusst die Gesundheit des Körpers, da gibt es einen Zusammenhang, dieser ist aber nicht allein ausschlaggebend“, erklärte Deelen. Der seelische Zustand sei wichtig, dies allein führe aber nicht zum Tod.

„Bei den meisten Menschen führt die Entwicklung einer bestimmten Krankheit zum Tod, häufig sind es Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs“, erläuterte Deelen weiter. Es gebe verschieden Prozesse, die zu Alter und Tod führen. So kann es sein, dass der Körper nicht mehr in gleicher Weise auf äußere Reize reagiert wie früher und Zellen in einen Zustand geraten, in welchem sie nicht mehr funktionieren, was zum Versagen von Organen führe.

Deelen nennt auch Beispiele dafür, etwa eine im Alter verringerte Fähigkeit des Körpers, Glukose zu verarbeiten, was zu Diabetes führen könne. Auch auf Stress oder Infektionen könne der Körper im Alter weniger gut reagieren.

Auch das Fraunhofer-Institut sieht den Alterungsprozess als natürlichen Vorgang: „Verschiedene Lebewesen haben aufgrund ihres Lebens (äußere Bedingungen, Organaktivität, Zellteilung, Metabolismus, Bewegung, usw.) eine recht klar vorgegebene maximale Lebenserwartung. Auch ein Schwamm in der Tiefsee, der fast keine Aktivität zeigt, wird älter und stirbt.“

Der Mensch könne durch einen gesunden Lebensstil zwar die Voraussetzungen für eine hohe Lebenserwartung schaffen, trotzdem sei dieser an die Funktion seiner Zellen gebunden. „Negatives Denken und andere äußere Faktoren bedingen zwar auf der einen Seite auch Erkrankungen und damit eine Verkürzung der Lebenserwartung. Das heißt aber nicht, dass im Umkehrschluss ohne negatives Denken, der Mensch unsterblich ist.“ Genauso könne positives Denken gerade in Krankheitsfällen vieles bewegen, aber der Tod ließe sich so nicht aufhalten.

Auf die Frage, ob sich das Altern aufhalten ließe, schreibt das Leibniz-Institut für Alternsforschung auf seiner Website: „Ehrlich gesagt: Nein. Es gibt kein ‚Heilmittel‘ gegen das Altern, und wahrscheinlich wird es das auch nie geben.“

Fazit: Alter und Tod sind nicht das Resultat einer Programmierung von menschlichen Gedanken. Sowohl Umwelteinflüsse, Lebensstil als auch eine abnehmende Funktionsfähigkeit der Zellen spielen beim Alterungsprozess eine Rolle. Verschiedene wissenschaftliche Institute erläutern, eine hohe Lebenserwartung könne zumindest teilweise vererbt werden.

Fact Checker Logo

Wissenschaft, Gesundheit

Autor(en): Saladin SALEM, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen