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Angaben zu Vergewaltigungen durch Migranten nicht von Kriminalstatistik gedeckt

Behauptungen über Straftaten durch Asylsuchende oder Geflüchtete werden regelmäßig für die Verbreitung von Desinformationen instrumentalisiert – auch in politischen Diskussionen. So sprach der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, am Abend der Landtagswahl in Brandenburg von 52.000 Vergewaltigungen durch Flüchtlinge seit 2017 (ab Minute 18:16). Auch in sozialen Medien wird diese Zahl immer wieder verbreitet.

Bewertung

Falsch. Diese Zahl ist in offiziellen Statistiken nicht zu finden. Das BKA bezeichnet sie als nicht korrekt.

Fakten

Angaben zu Straftaten in Deutschland werden generell in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) erfasst. Nach Angaben in der Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) vom Mai 2024 auf eine Kleine Anfrage aus dem Parlament wurden der PKS zufolge von 2017 bis 2023 insgesamt 8.107 weibliche Opfer im Bereich «Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff in besonders schweren Fällen» (Strafgesetzbuch-Paragrafen 177 und 178) registriert, bei denen mindestens ein Tatverdächtiger als «Zuwanderer» klassifiziert wurde.

Ein BKA-Sprecher bestätigte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa: Die Aussage, «es seien seit 2017 mehr als 52.000 Frauen Opfer von Vergewaltigungen durch sogenannte Zuwanderer geworden» entspreche nicht der Wahrheit.

Die Klassifizierung «Zuwanderer» umfasst alle Menschen, die mit dem Aufenthaltsanlass «Asylbewerber», «Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Kontingentflüchtling», «Duldung» oder «unerlaubter Aufenthalt» registriert sind.

Die Gruppe der Tatverdächtigen ist nicht mit der Zahl der später tatsächlichen verurteilten Täter gleichzusetzen. Denn grundsätzlich trifft die PKS keinerlei Aussage darüber, ob eine Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde der Auffassung der Polizei etwa in Bezug auf die Tatverdächtigen oder die mutmaßlich begangene Tat folgt. Auch gibt diese Statistik keine Auskunft, ob die Tatverdächtigen später von einem Gericht schuldig gesprochen werden oder nicht.

Nachfrage bei Baumann gibt keine Erkenntnisse, beim BKA schon

Eine dpa-Anfrage beim AfD-Abgeordneten Baumann brachte keine brauchbaren Erkenntnisse zum Ursprung der Zahl der vermeintlich 52.000 Vergewaltigungen. Sein Büro gab zwar als Quelle einen Text auf der Website «nius.de» vom Mai 2024 an. Darin ist jedoch stattdessen die Rede von mehr als 52.000 Opfern «eines Sexualdelikts» durch Zugewanderte. Doch selbst diese Angabe ist falsch.

Zunächst: Vergewaltigungen und Sexualdelikte sind strafrechtlich nicht dasselbe. Vergewaltigungen sind nämlich nur eine Teilmenge. Zu Sexualdelikten gehören genauso weniger schwere Straftaten wie etwa sexuelle Nötigungen, sexuelle Belästigungen, exhibitionistische Handlungen, Erregungen öffentlichen Ärgernisses oder Verletzungen des Intimbereichs durch Foto- oder Videoaufnahmen.

Zwischen 2017 und 2023 gab es aber auch keine 52.000 Frauen, die Opfer der beschriebenen Sexualdelikte waren. Das geht sowohl aus der genannten BMI-Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion hervor (hier besonders: Anlage 1), als auch aus der Antwort des BKA auf eine dpa-Anfrage vom 30. Oktober 2024.

Von der Behörde heißt es: Zwischen 2017 und 2023 liege die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer bei Straftaten nach dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches (darunter fallen alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Paragrafen 174 bis 184l im Strafgesetzbuch, StGB) bei Fällen mit mindestens einem weiblichen Opfer bei 29.381.

«Nius» und CDU-Politiker de Vries verbreiten falsche Zahl

Im «Nius»-Text wird eine «Auswertung des Büros des CDU-Politikers Christoph de Vries» als Quelle genannt. Dieser hat eigenen Angaben zufolge die Kleine Anfrage formuliert, auf die das Bundesinnenministerium mit seiner Antwort reagierte. De Vries wiederum verweist auf seiner Webseite auf den «Nius»-Text, nennt die Zahl 52.000 jedoch nicht. Eine dpa-Anfrage an de Vries zu dieser Zahl blieb bis Ende Oktober unbeantwortet.

Der CDU-Politiker verbreitet mit seiner Auswertung der Kleinen Anfrage Desinformation, indem er auf seiner Website etwa schreibt: «Allein für das Jahr 2023 wurden insgesamt rund 15.700 Sexualdelikte von tatverdächtigen Zuwanderern erfasst.» Doch die BMI-Angaben, auf die er sich bezieht, geben das nicht her.

Der Fehler: De Vries und sein Büro addieren in der Tabelle in Anlage 1 alle aufgeklärten Fälle mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer im Jahr 2023. Doch das ist nicht möglich, denn

  1. in der Übersicht werden sowohl Gesamtwerte angegeben als auch Teilmengen, die in die Gesamtwerte oder andere Teilmengen derselben Tabelle aufgehen. So sind etwa die 1.120 Fälle, die unter dem Straftatbestand der Vergewaltigung (Paragraf 177 Abs. 6, 7, 8 StGB) aufgeführt werden, schon in den 4.142 Fällen enthalten, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Paragrafen 174, 174a, 174b, 174c, 177, 178, 184i, 184j StGB) erfassen.
  2. die Zahlen können nicht einfach addiert werden. Eine einzelne Tat kann mehreren Straftatbeständen zugeordnet werden. Sie kann beispielsweise unter den Straftatbestand der Ausbeutung von Prostituierten (Paragraf 180a StGB) fallen und gleichzeitig unter Zuhälterei (Paragraf 181a StGB).

Kurzum: De Vries zählt bestimmte Taten mehrfach – und kommt so auf eine viel höhere Summe als die tatsächliche.

«Nius»-Text schon einmal im Fokus

Derselbe «Nius»-Text gab schon in der Vergangenheit Anlass für Desinformation über Zuwandererkriminalität. Das Onlineportal um den entlassenen Ex-«Bild»-Chefredakteur Julian Reichelt hatte in einer ersten Version des Artikels zunächst unwahr geschrieben: «Seit 2017 werden jährlich mehr als 1000 Frauen Opfer eines Sexualdeliktes durch tatverdächtige Asyl-Zuwanderer, bei denen sie ermordet werden.» Später ruderte das Portal zurück. Ein dpa-Faktencheck hat damals die Behauptung widerlegt.

(Stand: 30.10.2024)

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Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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