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Falschinformationen in Posting über ÖVP-Bilanz

Am 29. September wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt. Die derzeit regierende ÖVP ist bemüht, sich von den gesunkenen Umfragewerten (1) seit der letzten Wahl zu erholen. In einem auf TikTok (2) häufig geteilten Bild wird nach fast drei Jahren Amtszeit von Karl Nehammer (ÖVP) als Bundeskanzler Bilanz gezogen und dabei mit wenig faktenbasierten Einschätzungen zu Inflation, Armut und dem Gesundheitssystem hantiert.

Einschätzung:

Österreich hat im EU-Vergleich nicht die höchste Teuerungs- oder Inflationsrate. Die Zahlen zu Armutsgefährdung sind seit dem Jahr 2018 weitgehend konstant. Die Aussage zum Gesundheitssystem ist faktisch schwer überprüfbar.

Überprüfung:

Die Begriffe Teuerungsrate und Inflationsrate werden im Posting als zwei Punkte angeführt. Tatsächlich werden die beiden Begriffe aber synonym verwendet (3). Im EU-Vergleich liegt Österreich im Jahresabstand zu Juli 2023 derzeit mit einer Inflationsrate von 2,9 Prozent auf dem zehnten Platz (4). Das ist zwar über dem EU-Durchschnitt von 2,6 Prozent, Österreich belegt allerdings nicht wie auf TikTok behauptet den ersten Platz.

Spitzenreiter ist momentan Rumänien mit 5,8 Prozent, gefolgt von Belgien mit 5,4 Prozent (Stand Juli 2024). Auch in Anbetracht der jährlichen Inflationsraten seit Nehammers Amtsantritt (5) im Dezember 2021 wies Österreich nie eine jährliche Inflationsrate auf, die über der aller anderen EU-Mitgliedstaaten (6) lag.

Zahlen zu Armutsgefährdung weitgehend konstant

Die Behauptung rund um eine stark gestiegene Armut innerhalb der österreichischen Unter- und Mittelschicht lässt sich durch Zahlen nicht belegen. Was schon stimmt, ist, dass im Jahr 2023 die Anzahl der Menschen in absoluter Armutslage gewachsen ist.

Laut Statistik Austria (7) stieg die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung in Österreich von 2021 bis 2023 um 0,2 Prozentpunkte an. Der Zuwachs von 2022 auf 2023 wurde von der sozialen Organisation „Die Armutskonferenz“ (8) als nicht signifikant eingestuft. Allerdings merkte die Organisation an, dass 3,7 Prozent der Bevölkerung „erheblich materiell depriviert“ seien und auch der Anstieg von 2022 auf 2023 um etwa 1,5 Prozentpunkte „erheblich“ gewesen sei.

Als armutsgefährdet gelten in Österreich laut Sozialbericht 2024 (9) des Sozialministeriums Menschen, die (in einem Ein-Personen-Haushalt) pro Monat weniger als 1.392 Euro brutto verdienen. Diese Haushalte mit niedrigem Einkommen werden in Medien auch als Unterschicht (10) bezeichnet. Als Mittelschicht gelten umgangssprachlich Ein-Personen-Haushalte, die über dieser Schwelle bis knapp über 50.000 Euro Jahreseinkommen liegen. Für Mehrpersonen-Haushalte gelten andere Schwellenwerte.

Aussage zu Gesundheitssystem schwer überprüfbar

Der letzte Punkt zum „desolaten Gesundheitssystem“ lässt sich faktisch schwer überprüfen. Feststellbar ist, dass die Zahl der Krankenhausbetten konstant rückläufig ist, die Gesamtanzahl an Krankenanstalten seit 2018 aber unverändert. Das lässt sich auf der Webseite der Statistik Austria (11) nachlesen, die diese Daten in Österreich seit dem Jahr 1985 erhebt. Die Anzahl an Ärztinnen und Ärzten sowie an nichtärztlichem Gesundheitspersonal ist in den letzten Jahren gestiegen.

Gemäß dem „State of Health in the EU“-Bericht der EU-Kommission von 2023 (12) gibt es in Österreich eine „hohe Ärztedichte“, aber „regionale Ungleichgewichte und nur wenige Allgemeinmediziner“. Im Jahr 2021 hätten die Gesundheitsausgaben pro Kopf nach Deutschland und den Niederlanden zu den höchsten in der EU gehört. Die Ausgaben für die stationäre Versorgung würden trotz eines rückläufigen Trends nach wie vor über dem EU-Durchschnitt liegen.

Drei Viertel der Gesundheitsausgaben stammen demnach aus öffentlichen Mitteln und Pflichtversicherungen. Die Sterblichkeit aufgrund behandelbarer und vermeidbarer Ursachen könnte weiter gesenkt werden und es seien „weitere Anstrengungen erforderlich, um die Krankenhauslastigkeit zu verringern“, heißt es in dem Bericht. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird allgemein als „gut“ angesehen.

Zitat nicht korrekt, aber sinngemäß wiedergegeben

Das im Posting angeführte Zitat von Karl Nehammer lässt sich auf ein Interview der Tageszeitung „Heute“ (13) am Neustifter Kirtag in Wien-Döbling im August 2024 zurückführen. Der Wortlaut im TikTok-Beitrag ist zwar nicht ganz korrekt, transportiert aber die sinngemäße Bedeutung des Zitats „Ich lebe nicht vom Problem, ich löse es“.

Quellen:

(1) Umfragetrend: https://go.apa.at/3Jw2Y4p2 (archiviert: https://go.apa.at/Tfe7cugK)

(2) TikTok-Beitrag: https://go.apa.at/P6p1pkSr (archiviert: https://perma.cc/KX4Z-DFS8)

(3) Deutsches Statistisches Bundesamt über Inflationsrate und Teuerungsrate: https://go.apa.at/76hzEoHL (archiviert: https://archive.is/m2Zjk)

(4) Eurostat über Inflationsrate: https://go.apa.at/wKWvpSl0 (archiviert: https://go.apa.at/XZlJ6sPf)

(5) Bundeskanzleramt: https://go.apa.at/4pfEJd3x (archiviert: https://go.apa.at/WKXgNy1g)

(6) Eurostat über jährliche Inflationsrate: https://go.apa.at/BQlMYxmL (archiviert: https://archive.ph/MtTRD)

(7) Statistik Austria über Armut: https://go.apa.at/gqD5WtrM (archiviert: https://perma.cc/95T4-VCR8)

(8) Aktuelle Zahlen der „Armutskonferenz“: https://go.apa.at/eFww2the (archiviert: https://go.apa.at/mNyqzsxG)

(9) Sozialbericht 2024: https://go.apa.at/k3izrEmV (archiviert: https://perma.cc/N8VP-YV9H)

(10) Moment-Institut über Mittelschicht: https://go.apa.at/c4e58STw (archiviert: https://archive.is/BwRMC)

(11) Statistik Austria über Zahlen zu Gesundheitspersonal: https://go.apa.at/DbctWz85 (archiviert: https://go.apa.at/2xum1zC9)

(12) „State of Health in the EU“-Bericht der EU-Kommission zu Österreich 2023: https://go.apa.at/xiV88fvu (archiviert: https://perma.cc/K56R-2UDG)

(13) „Heute“-Artikel: https://go.apa.at/D2FnRC94 (archiviert: https://perma.cc/6L9Y-7QQP)

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Autor(en): APA

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